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die Kraft des Protestantismus nicht im Buchstaben und der starren Form, sondern im zugleich lebendigen und demüthigen Streben nach der Erkenntniß christlicher Wahrheit beruhe, schloß der Prinz seine Rede, welche gleich dem Erlaß seines kaiserlichen Vaters, ein lautes Echo in allen protestantischen Herzen wecken wird. Die großen Herbstübungen der preußischen Truppen, denen die Anwesenheit des obersten Kriegsherrn seit Jahren den bezeichnenden Namen der Kaisermanöver verliehen hat, haben mit der am 17. September stattgesundenen Parade des 4. Armeecorps auf dem historischen Schlachtfelde von Noßbach ihren Anfang genommen. Dieselbe ist in glänzendster Weise verlaufen; von den nach Zehn tansenden zählenden Zuschauern wurde der Kaiser überall, wo er sich zeigte, enthusiastisch begrüßt; nach Beendigung des Parade marsches, bei welchem die fürstlichen Chefs ihre Regimenter vor führten, kehrte der Kaiser nach Merseburg zurück. Die 30. Generalversammlung der deutschen Katholiken zu Düssel dorf hat am Donnerstag ihr Ende erreicht, ohne irgend ein be- merkenswerthes Resultat erzielt zu haben. Wenigstens hat sie keinerlei Anhalt zur Beurtheilung der kirchenpolitischen Situation dargeboten, obwohl dieselbe durch den Besuch, den Herr von Schlözer vor seiner Rückkehr nach Nom dem Fürsten Bismarck abgestattet, wieder mehr in den Vordergrund der Discussion gerückt wird. Bemerkenswerth war die Düsseldorfer Katholikenversammlung nur insofern, als in ihr auch Verhandlungen über die Thesen der unlängst auf Schloß Haio versammelt gewesenen ultramontanen Socialpolitiker stattge sunden haben. Diese Verhandlungen und namentlich das Auftreten des Centrumssührers, Herrn Windthorst's, bestätigen die Annahme, daß in den Reihen des Centrums ernstliche Meinungsverschieden heiten über gewisse socialpolitischc Fragen herrschen und es ist Herrn Windthorst nur durch Stellung der „Cabinetsfrage" gelungen, die Einigkeit im ultramontanen Lager wieder herzustellcn. Recht eigen- thümlich berührt es bei den Verhandlungen des Düsseldorfer Katho likentages, daß während derselben der Chef der Centrumspartei den Vorschlag einer internationalen Katholikenversammlung gemacht hat, mit dem herausfordernden Gedanken, am 10. November, dem 400- jährigen Geburtstage Luthers, einen „Gebetsverein für die Be endigung der Glaubensspaltung" zu gründen. Die 28 Ergänzungswahlen zum sächsischen Landtage haben, wie wir bereits berichtet, die Wahl von 16 conservativen, 6 fortschritt lichen, 3 nationalliberalen Abgeordneten und eines Socialidemocraten zur Folge gehabt; über 2, nur als „liberal" bezeichnete Abgeord nete ist die nähere Parteistellung noch unbekannt. Im Allgemeinen haben die Wahlen keine Veränderungen in den Parteiverhältnissen des sächsischen Landtages ergeben. Oesterreich-Ungarn. Die aufrührerische Bewegung in Croatien zieht trotz aller versöhnlichen Dispositionen der ungarischen Regierung immer weitere Kreise. Jetzt ist auch das sogen. Banat und das Gebiet der ehemaligen Militärgrenze von ihr erfaßt worden und auch hier sind es hauptsächlich die Bauern, welche sich der Durch führung des ungarischen Staatsgedankens mit gewaffneter Hand widersetzen. Es haben an der Banatgrenze schon wiederholt blutige Zusammenstöße zwischen den Truppen und den Bauern stattgefunden und hat man in Budapest die Entsendung größerer Truppenmassen nach den insurgirten Districten ernstlich in's Auge gefaßt. — König Milan von Serbien ist zum Chef des österreichischen Infanterie- Regiments Nr. 97 und Fürst Alexander von Bulgarien zum Obersten im österreichischen Dragoner-Regiment Nr. 6 ernannt worden. Frankreich. Während die französischen und die chinesischen Diplomaten noch wegen Annam hin- und herschachern, sind in Ton kin neue und heiße Kämpfe entbrannt. Von Hanoi aus operiren die französischen Truppen zur Zeit gegen Sontay und auf dieser Linie ist es in den ersten Septembertagen zwischen den Franzosen und den Streitkräften der „Schwarzen Flagge" bei Phonhai oder Pallan zu einem blutigen Zusammenstöße gekommen. Amtliche fran zösische Quellen selbst besagen, daß der Kampf, in welchen die Fran zosen ca. 60 Mann — darunter 5 Officiere — und die Gegner 500 Mann nebst 2 Geschützen verloren haben, drei Tage gemährt habe. Den Franzosen sei die Besetzung der feindlichen Positionen gelungen, doch habe sich General Bouet zurückgezogen, um Ver stärkungen abzuwarten. Gerade wie bei der Affaire von Phukai sind die Franzosen auch jetzt wieder zurückgegangen, trotzdem daß eine kleine Abtheilung die feindlichen Positionen noch besetzt hält; es sieht dies gerade nicht nach einem glänzenden Siege der Franzosen aus. Vorläufig geht also der Krieg in Tonkin neben den Verhand lungen in Paris weiter und es liegt auf der Hand, daß die chine sische Regierung jede neue Schlappe, welche die Franzosen im Kampfe mit der „Schwarzen Flagge" erleiden würden, zu ihren Gunsten ausbeuten würde. Rußland. Kaiser Alexander dehnt seinen Besuch am dänischen Königshofe ungewöhnlich lang aus. Nachdem die Abreise des russischen Herrschers von Kopenhagen bereits auf den 15. September festgesetzt war, hat derselbe seinen Aufenthalt wieder verlängert und zwar, wie es heißt, bis zum 25. September. Trotzdem darf man wohl daran festhalten, daß hierbei keinerlei politische Motive Mit wirken; der Czar hat eben das erklärliche Bedürsniß, sich von den Mühen und Sorgen seiner Stellung einmal längere Zeit zu erholen und daß er diesmal die stillen Gärten von Schloß Fredenborg den stolzen Parks von Gatschina und Peterhof vorzieht, darf nicht über raschen, da er in Fredenborg gänzlich von dem auch in Gatschina und Peterhof herrschenden Hofceremoniell befreit ist. — Es wird versichert, daß der englische Premier, Herr Gladstone, welcher sich gegenwärtig auf einer Vergnügungstvur zur See befindet, einen Ab stecher nach Kopenhagen zu machen beabsichtigt, was allerdings gerade jetzt recht auffällig wäre. Türkei. Die zwischen der Pforte und Montenegro noch schwebende Grenzfrage scheint durch den Besuch des Fürsten Nikita in Constantinopel wirklich ihre definitive Erledigung gefunden zu habe». Die türkische und die montenegrinische Regierung sind jetzt überein gekommen, daß die christlichen Dörfer im Linnthale, welche gegenwärtig durch Montenegro occupirt sind, bei letzterem verbleiben sollen. Dagegen überläßt Montenegro alle diejenigen Ortschaften — ganz gleich ob sie christlich oder muhammedanisch sind, welche nicht von den Montenegrinern besetzt sind, obwohl sie dem Vertrage nach zu Montenegro gehören würden, der Türkei. Eine Ausnahme wird nur dort gemacht werden, wo der Berliner Vertrag ausdrücklich einzelne Namen nennt, wie die Ortschaften Sisko, Tesero und Mai- kovatz; letztere würden also unter allen Umständen bei Montenegro verbleiben. Süd-Amerika. In Lima, der noch in den Händen der Chilenen befindlichen Hauptstadt Peru's, hat sich ein neues Ministerium constituirt und läßt dieser Umstand den Eintritt geordneter Verhält nisse in diesem unglücklichen Lande erwarten. Das neue Cabinet besteht aus Barinega, Präsidium und Justiz, Lavarelle, Auswärtiges, Osma, Krieg, und Malpartida, Finanzen. Vermischtes. * Um lästige Jnsecten, namentlich Wanzen aus den Fugen und Nitze» der Möbel, Blattläuse von den Zweigen der Pflanzen u. s. w. zu vertreiben, resp. zu vertilgen, nehme man eine starke Salzauflösung und spritze solche mittels einer kleinen Handspritze in die Fugen, woselbst sich die lästigen Thiere während des Tages auf halten. Das Salzwasser trocknet bald an den zarten Gliedern und bildet eine harte Salzkruste, welche das Weiterbewegeu verhindert und hierdurch den Untergang dieser widerlichen Jnsecten bringt. * Eine üble Gewohnheit, die weibliche Kopfbedeckung durch eine über den Hutrand hinausragende, durch das Haar gesteckte Nadel ani Hiuterkopf zu befestigen, hat bereits in wiederholten Fällen Un heil angerichtet. Wo verschiedene Personen dicht an einander ge drängt saßen oder gingen, ist es vorgekommen, daß die Nadel trägerinnen zu Folge freiwilliger oder unfreiwilliger Bewegungen ihre Nachbarn im Gesichte verletzt habe», ohne dessen auch nur selbst gewahr, zu werden. In dem Interesse der öffentlichen Sicherheit muß darum vor dieser Sitte gewarnt werden, die unter den heutigen Verkehrsverhällnisseu den ernstesten Bedenken unterliegt. * München, 13. Septbr. Der Redacteur vom „Bayerischen Vaterland", Dr. Sigl, wurde wegen mehrerer Artikel vom Hofschau spieldirector Possart zum Duell gefordert. * (Eine erschütternde Scene.) In dem griechisch-katholischen Kloster „Basilika" nächst Munkacs (Ungarn) mar am 23. August Wallfahrt. Zahlreiches Volk, meist dem Bauernstand angehörig, mar herbeigeströmt und auch an den bei solchen Anlässen stets gegenwär tigen Bettlern war kein Mangel. Unter diesen erregte besonders ein Bettelknabe Mitleid, der ohne Füße vor der Kirchthüre auf den Knieen rutschend, seine Kirchenlieder sang. Jeder Vorübergehende warf ihm eine Gabe in den Hut. Alich eine Bäuerin, die daher kam, warf ihm einen Kreuzer zu und wollte vorübergehen. Da rief ihr der Knabe zu: „Mutter, auch Sie geben mir einen Kreuzer?" Die Frau ward stutzig, schaute dem Knaben ins Gesicht und wurde — ohnmächtig. Sie hatte ihr Kind erkannt, das, 7 Jahre alt, von einem baumstarkeil Landstreicher gestohlen und verstünimelt wurde, damit es als Krüppel das Mitleid errege und ihm eine Erwerbs quelle bilde. Die in der Nähe befindliche Gendarmerie nahm den betrunkenen Landstreicher sofort fest und die Bäuerin, die mittler weile sich erholt hatte, nahm ihr unglückliches Kind zu sich. * (Manöver-Douceurs.) In den verschiedenen Sparcasseu er schienen vor etlichen Wochen weibliche Dienstboten in größerer An zahl, lnn kleinere Summen von ihren Ersparnissen abzuhebeu. Was sie aus der Hand des Beamten an klingender Münze empfingen, mar zu „Liebesgaben" für den bevorstehenden „Krieg im Frieden", zu Manöver-Douceurs bestimmt. Nicht jedem Gardemann lebt ein sorgendes Mütterlein daheim. Ein guter Soldat muß sich aber zu helfen wissen und nimmt fröhlichen Mutheö seine Zuflucht zu dem Object seiner Liebe. Er zeigt sich vor dem Manöver doppelt zärt lich und malt die Zukunft am eigenen Heerde immer wieder in dem rosigsten Lichte. Dabei leitet er das Gespräch auf den Geldpunkt hinüber und flüstert, ihr die Hand drückend: „Wenn ich Dich nicht hätte, Schatz, ich hielt's nicht aus auf der Welt. Ja, das Soldaten leben ist ein schweres Leben! Alle Tage exerciren, daß die Knochen zittern und dabei nichts als Commisbrod und Menage! Wie wird's nun gar erst beim Manöver werden? Bei wildfremden Menschen kommt man in's Quartier, die lassen den armen maroden Soldaten hungern und dursten! Geld, was zu kaufen, habe ich nicht! Wenn mir doch eine mitleidige Seele ein paar Groschen borgen wollte! Ich würde ihm ewig dankbar sein!" Das zarte Wesen wird gerührt und ivandert am nächsten Tage in die Sparcasse. * (Um Sonntags auszugehen.) Von einem abscheulichen, mit fast unglaublichem Raffinement verübten Verbrechen wird aus Parchim berichtet. Seit längerer Zeit wurde das Jahr alte Kind eines dortigen Tuchfabrikanten regelmäßig des Sonntags krank, ohne daß der Arzt einen Grund der Krankheit ermitteln konnte. An einem der letzten Sonntage fand die Mutter des Kindes in der Suppe, die sie selbst für dasselbe bereitet und die das Dienstmädchen aus der Küche in die Stube gebracht hatte, mehrere Streichhölzer. Der Verdacht, die Streichhölzer böswillig in die Suppe gebracht zu haben.