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Märchensag« von längst entschwundenem Glück zu seinem Ohre drang. Plötzlich schreckte ein Ton vom Piano her die Beiden aus ihren Träumen auf. Dian begann zu musiziren, zu singen, wobei Feodor, der einen weichen, vollen Tenor hatte, auch ein Lied zum Besten gab, dem mit stürmischem Applaus gedankt wurde. Lina's Herz beschlich ein tiefes Weh. Warum besaß sie keine geselligen Talente, mit denen sic die Gesellschaft hätte unterhalten können? Mit unendlicher Bitterkeit fühlte sie, daß sie in diesen» Hause nur als Eindringling, als überflüssig betrachtet wurde. Nach Mitternacht, als sie endlich allein mit Feodor war, fragte letzterer: „Nun, mein süßes Lieb, ivie hat Dir die Gesellschaft gefallen?" Lina schlang ihre Arme in heftiger Bewegung um seinen Hals und brach in konvulsivisches Schluchzen aus. „Wie, Du meinst? Du bist nicht glücklich?" fragte Feodor erschreckt. „O, Geliebter, laß uns heimkehren," flüsterte sie bebend, „wenn Du mich liebst, so erspare mir solche Pein, wie ich sie heute Abend erduldet!" „Die viel-n fremden Menschen haben Dich geängstigt, Du warst noch nie in großer Gesellschaft. Das wird bald besser werden, sollst sehen, mein schüchternes Herzchen, das nächste Mal wird sich die Waldfee schon weit sicherer auf dem glatten Parquetboden bewegen," schloß er zuversichtlich. Sie schüttelte hastig das Köpfchen: „Nein, nein, Geliebter, in dieser großen Gesellschaft werde ich mich nie, nie glücklich nud heimisch fühlen, sie" sie wollte noch etwas hinzufügen, verstummte aber und schmiegte sich inniger m seinen Arm. „O wenn Du Deine arme kleine Waldfee noch ein klein wenig lieb hast, so führe sie wieder zuin Walde zurück, hier wird sie verkümmern und — sterben!" Feodor mar schmerzlich und unangenehm berührt, jedoch bezwang er sich schnell und antwortete, zärtlich ihre nassen Wangen lieb kosend : „Wenn meine kleine Waldfee sich denn durchaus nicht in die großstädtischen Verhältnisse hineinleben kann, so will ich sie wieder in ihr grünes Reich zurückbringen, aber nicht nach dem Waldschlöß chen, sondern nach Hardershof, wo sie fortan als alleinige Gebieterin schalten und wallen wird." Lina schaute voll seligen Glückes in seine Augen. „Wie danke ich Dir, Du Heißgeliebter! O wie selig werde ich dort in der stillen Waldeinsamkeit vereint mit Dir sein!" „Aber morgen — oder übermorgen können wir nicht schon ab reisen" meinte er nachdenklich. „Das würde nur unnützes Aufsehen und allerhand Muthmaßungen erregen, einige Zeit mußt Du noch ausharren, niein Lieb, bis wir einen triftigen Grund zur Abreise finden. Vielleicht verträgt auch Dein zarter Körper das ungesunde, feuchte Klima hier nicht, wollen sehen, wie sich das machen läßt." — Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft reiste das junge Paar wieder ab. Die junge Frau vertrug in der That das Petersburger Klima nicht, sie sah blaß und angegriffen aus. Erst als sie wieder im Eisenbahncoupee saßen und die letzten vergoldeten Thürme und Kuppeln der Hauptstadt in der Ferne verschwanden, wich die Müdig keit von ihrem Wesen und sie plauderte wieder vergnügt und heiter von der Zukunft und den» idyllischen Leben, das sie auf Harders hof führen wollten. Frau Harders hatte zuin Abschied gemeint: „Den Winter über werde ich nicht hinauskonunen, da muß es in dem eingeschneiteu Neste zuin Sterbe»» langweilig sein, im nächsten Sommer aber wolle»» Orlowsky's und Machow's auch auf ihre Güter gehen. Die sind nicht allzuweit voi» Hardershof. Dann werde ich hinauskommen und einigen Chic in Euren jungen Hausstand bringen. Bis dahin gehabt Euch wohl!" — Lina wünschte bei diesen Worten sehnlichst in ihrem Herzen, die Orlowsky's und Manchom's möchten nicht auf ihre Güter gehen und die Schwiegermutter möchte es lieber vorziehen, in Petersburg zu bleiben. — Drittes Capitel. Der blühten- und wonnereiche Mai hatte wieder seine wunder vollen reichen Gaben über die Erde ausgeschüttet. Etwa 2 Stunden vom Waldschlößchen, dicht an den romantischen Ufer der Oger, dem Nebenflüsse der Düna, lag der stolze Gutshof des jungen Harders. Die weiten Strecken Landes, die zu dein Gute gehörten, waren weithin die fruchtbarsten und zeugten von tüchtiger Bewirthschaftung. Der Wald, der gleichfalls dazu gehörte, bestand aus mächtigen dunklen Tannen und Fichten, in deren Schutz zahl reiche Hasen, Rehe, Füchse, Dachse und anderes Wild behaglich das Dasein fristeten. Die bewaldeten steilen Ufer der Oger waren zu einem Park gestaltet morden, in dessen dämmrige schmale Gänge daS Murmeln und Plätschern des Wassers träumerisch heraufdrang. An der tiefsten Stelle der Oger war eii» reizendes Badehäuschen er baut; breite, steinerne Stufen führte»» zu ihin hinab. Ein milder Sommerabend lagerte über den dunklen Tannen wipfeln, kosend strich der Wind über sie hin; die lauschige»» Gänge des Parkes waren schon in tiefere Dämmerung gehüllt, lauter rauschte unten der Fluß. Es mar 10 schmül gewesen am Tage, doppelt er frischend wirkte nun die Nähe des Wassers. Zwischen den dunklen Taunen wandelte eine schlanke Fraueu- gestalt, deren geisterbleiches Antlitz sich scharf von dem Hintergrund abhob. Ihr Athen» ging mühsam und schwer, die weißen Händchen preßten sich krampfhaft gegen die stürmisch wogende Brust. Es war Lina, doch nicht mehr die überselige, glückstrahlende Frau, ivie wir sie am Hochzeitstage sahen, sondern ein müdes, verzweifeltes Weib, das den Schmerzensschrei ihres zackenden Herzens in die schweigende Nacht hinaustönen lassen wollte. Was hatte binnen Jahresfrist diese traurige Veräuderung be wirkt? Wo war jetzt der starke Arin, der feste Wille ihres Gatten, der am Hochzeitstage alle Wolken von ihren» Glückshimmel ver scheuchen zu können sich vermaß? O, vor ihren starren Augen zog immer wieder die Vergangen heit vorüber, mit all dem grenzenlosen Glück und all der unerträg liche'» Qual und Pein! O, sie wußte es genau, wann ihr Elend seinen Anfang genommen — mit dem Eintritte ihrer herrsch- und räukevollen Schwiegermutter ii» ihr stilles Heim war Friede», Ruhe und auch das sonnige Glück daraus verscheucht. Mit heuchlerischer Freundlichkeit hatte die stolze Frau Harders zwar die aufgezwungene Schwiegertochter als Gutsherrin begrüßt, aber der finstere Strahl, der einen Moment lang in ihrem Auge aufflammte, hatte Lina bis in's innerste Herz erzittern gemacht. Von den» Tage an mar Lina's Wesen scheu und gedrückt worden, ihre Augen waren stets von aussteigenden Thränen verdunkelt, die sie nur mühsam zurückhielt, wenn die Schwiegermutter immer wieder au ihr den Mangel an Chic, ai» Gewandtheit beim Empfang der Gäste, die große Schweigsamkeit im Kreise derselben, kurz Alles in Allem tadelte. Sie wußte es, daß ihrein Gatten nichts widerwärtiger mar, als Thränen, aber ihr sanfter Character, ihre große Schüchtern heit und die Furcht vor dem Hohne der zungenfertigen Schwieger mutter ließen sie zu keinem energischen Widerstande kommen. Für alle Kränkungen hatte sie nur Thränen als Erwiderung, wenngleich sie sah, daß jedes Mal eine Wolke des Unmuths ihres Gatten Antlitz verdüsterte. Im Beginne dieser geheimen Quälereien ihrer Schwiegermutter hatte sie mit leiser Stimme Feodor das Leid geklagt, hatte gefleht, er möge doch einen Vorwand ersinnen, damit die Mutter wieder nach Petersburg zurückkehre, er aber hatte geantwortet: „Sei kein Kind, Anuschka, weine nur nicht immer und nimm nicht jede Bagatelle gleich zu Herzen! Die Mutter meint's ja gut mit Dir, sie will Dich zur vollendeten Dame erziehen. Wir müssen ihr dankbar sein, und außerdem hilft sie Dir ja bei der Aufrechter haltung Deines Hausstandes, hilft Dir die Honneurs des Hauses machen. Deine übergroße Zurückhaltung würde alle Gäste von unserem Hause fern halten und den Ruf liebenswürdigster Gast freundschaft, der unserm Hause seit Jahren gezollt wird, »Nüssen wir aufrecht erhalten. Drum sei vernünftig, liebes Kind, den Anforder ungen der Welt an uns muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, und wenn Du muthig der Unannehmlichkeit in's Auge siehst, wird sie bald sich für Dich zur Annehmlichkeit gestalten. Nur heiter und lebensfroh blicken, diese Leichenbittermiene verunstaltet faßt Dein süßes Gesichtchen." Und mit flüchtigem Kuß auf ihre Stirn verließ er das Gemach, um auf die ausgedehnten Felder hinauszureiten, die er jetzt selbst ständig bewirthschaftete. Er sah nicht den todestraurigeu Blick, den sie ihm nachsandte. „Umsonst", murmelten ihre blassen Lippe»», „die Wolken der Trübsal kommen wie ein Gewitter über mich und ich vermag nicht, ihnen zu entrinnen! O, meine Großmutter", rief sie in heftigem Schmerz, „Du sähest sie kommen, diese Wolke»» und warntest besorgt, ich aber meinte, es könne nie anders werden zwischen uns! Doch," fügte sie sich gewaltsam ermuthigend, hinzu, „Feodor liebt mich ja noch, vielleicht verläßt uns bald die Schwiegermutter, und unser Leben wird dann wieder so still und voll seligen Glückes, wie es in den ersten Monden war. Ich will noch nachgiebiger, noch demüthiger gegen sie sein, vielleicht entwaffnet meine Sanftmuth doch endlich ihren herzlose»» Tadel!" — (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * In Eisleben hat die Sedanfeier unter den Arbeitern der kupferschieferbauenden Gewerkschaft eine»» recht ungemüthlichen Ab schluß gefunden. Gelegentlich eines Bierfestes im Wiesenhause ent stand ii» den» überfüllten Saale zwischen polnischen und deutschen Arbeitern Streit, der bald solche Dimensionen annahm, daß die Polen ihre Messer zogen und die Deutschen abgebrochene Stuhl beine requirirten. Trotz der ungeheuren Erbitterung der Streitenden stürzten die anwesenden Beamten in das Gewühl, aber ehe sie nur dei» Mund bewegen konnten, waren sie niedergeschlagen, zu Boden geworfen und auf die gemeinste Art gemißhandelt. Der gewerk schaftliche Bahnmeister wurde in den Kopf gestochen, zwei Steiger »nit Stuhlbeinen niedergeschlagen u. s. w. Verstärkte Polizeimann- schaften konnte»» endlich ai» die Räumung des Saales gehen. Aber sämmtliche Fenster, Thüren, Tische und über 100 Stühle waren demolirt, das Blut hatte theilmeise die Wände bespritzt, der Fuß boden war eine Blutlache, besät mit Glasscherben von ca. 200 Bier seideln. Von der Galerie aus warf man schwere eiserne Gartenstühle auf die im Parterre kämpfende»» Menschen herab. * In der Nacht voin 25. August ist großes Unglück über die beiden Thüringerwald-Dörfer Schmiedefeld und Frauenwald hereingebrocheu. In dem ersteren, 2000 Einwohner zählenden Orte feierte man gerade Kirmes, als abends gegen 9 Uhr die Sturm glocken ertönten und großes Feuer meldeten. Man konnte trotz der acht herbeigeeilten Spritzen nicht verhindern, daß sieben große, meist 3stöckige Häuser fast bis auf den Grund eingeäschert wurden. Man war noch in voller Löschthätigkeit, als gegen halb 1 Uhr ein Eilbote