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politische Kundschau. Deutschland. Die Begegnung der Kaiser von Deutschland, Rußland und Oesterreich findet nunmehr bestimmt am Montage und Dienstage in Schloß Skiernewicze statt. Schloß Skiernemicze, wel ches genügende Räumlichkeiten und jede Sicherheit für die Monarchen zusammenkunst bietet, liegt in der Nähe der russischen Kreisstadt Skiernewicza, ungefähr 8 deutsche Meilen von Warschau entfernt. Der Kaiser Wilhelm reiste am Sonntage nebst großem Gefolge und in Begleitung des Reichskanzlers mittelst Separatzugs von Berlin ab und wurde, wie es heißt, von Kaiser Alexander bereits in der russischen Grenzstadt Alexandrowa, wo Kaiser Wilhelm die letzte Be gegnung mit dem verewigten Vater des Czaren hatte, empfangen. Von Wien aus wird gleichzeitig gemeldet, daß auch Franz Josef am Sonntage seine Hauptstadt verlassen habe und nach Rußland abge reist sei. Der österreichische Monarch dürfte an der russischen Grenze vom russischen Thronfolger Großfürst Nikolaus und dem General gouverneur Gurko empfangen worden sein. In der Gefolgschaft Kaiser Josefs befindet sich auch der Minister des Auswärtigen Graf Kalnoky und da gleichzeitig die Ankunft des russischen Ministers des Auswärtigen, Herrn von Giers in Warschau gemeldet wird, so kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Begegnung der drei Kaiser unter der Theilnahme ihrer ersten Rathgeber stattfindet. Ueber den Zweck der Monarchenzusammenkunst ist bereits soviel ge schrieben morden, daß es überflüssig ist, darüber noch Conjunkturen aufzustellen. Jeder ehrliche Politiker kennt die erprobte Friedenspo litik Deutschlands und Oesterreichs, der sich nun voll und ganz auch Rußland anschließt und der die friedliche Förderung des socialen und wirthschaftlichen Wohles der betheiligten Völker als Haupt ziel gilt. Die nachträglich veröffentlichte kaiserliche Ordre betreffend die Verleihung des Ordens xour Io mörits, an den Reichskanzler hebt hervor, daß Fürst Bismarck dem Kaiser während zweier schicksals schweren Kriege nicht nur als erprobter diplomatischer Rathgeber, sondern auch als Soldat zur Seite stand. Kaiser Wilhelm schreibt am Schluffe der Ordre: Ich weiß in Ihnen so sehr das Herz und den Sinn des Soldaten, daß ich Ihnen mit dem Orden, den viele Ihrer Vorfahren mit Stolz trugen, eine Freude zu machen hoffe. — Es bedarf der Erwähnung, daß der Orden pour 1« inorito die höchste Auszeichnung für Militärs ist. Es dürfte Niemand bezwei feln, daß der gewaltige Geist des Reichskanzlers, der übrigens in seiner Jugend auch Soldat und Reserveoffizier war, auch den Gang der militärischen Ereignisse von 1866 und 1870 wesentlich beein flußt hat. Von der militärischen Inspektionsreise, welche der Kronprinz des deutschen Reiches in Bayern in letzter Woche vornahm, liegen die erfreulichsten Berichte vor, welche unzweideutig darthun, in welch stetigem Wachsthum neben der Liebe zum angestammten Herrscher- Hause auch diejenige zu Kaiser und Reich in Süd-Deutschland ist. Ganz besonders hervorgetha» hat sich in dieser Beziehung die bayer ischen Städte Nördlingen und Nürnberg, wo der Kronprinz der Ma növer halber je einen Tag weilte. An dieser Stelle wiederholen wir auch, daß in Hinblick auf die Anstrengungen, welche die Reise nach Rußland dem Kaiser Wilhelm verursacht, der Kronprinz die Stell vertretung des Kaisers bei den Manöver» des 7. und 8. Armeecorps übernehmen wird. Kaiser Wilhelm dürfte nur die große Parade beider Armeecorps abnehmen. Das baierische Staatsministerium hat einige Amtsärzte desig- nirt, welche an einem vom Geh. Regierungsrath Dr. Koch in Berlin demnächst abzuhaltenden Cursus über Diagnose des Cholerabacillus theilnehmen soll. Alle übrigen Bundesstaaten werden ebenfalls Theil nehmer entsenden. Zur Wahlbewegung veröffentlichen wir folgende lehrreiche Kund gebung. Auf den Parteitage der Deutschen Volkspartei in Heil bronn übte der demokratische Abgeordnete Stern-Frankfurt nach dem Bericht der „Berliner Volkszeitung" folgende Kritik an der deutsch-freisinnigen Partei: „Wir werden in der Abwehr gegen jedes reactionäre Bestreben einig sein, wie mit der Fortschrittspartei, so auch mit dem neuen Verbündeten, wir stehen ihm ohne Hoffnung gegenüber, mit ihm etwas zu erreichen, aber auch ohne Furcht. Aber die Kritik uns nehmen lassen gegenüber etwaigen Fehlern der Partei, uns dem Terrorismus Nichter's unterzuordnen, der viel schlimmer ist, als der Bismarck, das thun wir nicht. (Lebhaftes Bravo.) Oesterreich. In Wiener Kreisen ist man sehr befriedigt über die Theilnahme des österreichischen Monarchen an der Kaiserbegegnung und hofft zumal dadurch ein gedeihliches Zusammenwirken Rußlands und Oesterreichs auf der Balkanhalbinsel zu erreichen. Frankreich. Die Nachrichten der letzten Tage über ein an gebliches Eintreffen der Kriegserklärung Chinas, sowie über eine beschleunigte Einberufung der französischen Kammern stellen sich als unrichtig heraus. Die französische Negierung wird vielmehr fort- fahren mit dem bisherigen Systeme der Repressalien und die Aus führung des Vertrages von Tientsin durch eventuelle weitere Zer störungen chinesischer Küstenplätze und durch Occnpation von Unter pfändern auf chinesischem Territorium zu erzwingen suchen. Der Conseil-Präsident Ferry hat sich hierüber in einer längeren Unter redung mit einem Redacteur der France ausgelassen. Ferry dementirt auf das Bestimmteste, daß China den Krieg erklärt habe, und deutet an, das China auch wenig Lust hegen dürfte, denselben zu erklären, Frankreich verlange nichts, als eine gerechtfertigte Genuglhuung. Admiral Courbet habe seine Befehle, und bald werde man Weiteres von seinen Operationen hören. Ferry sprach sich sodann über den Werth und die Bedeutung Tonkins aus und bezeichnete die Colonial- Politik als die Politik der Zukunft Frankreichs. Italien. Die Cholera scheint, den nenesten Berichten zufolge in Neapel etwas abgenommen zu haben, so daß die Zahl der täg lichen Erkrankungen ungefähr 400 ist, während die Sterbefälle etwa die Hälfte der Erkrankungen betragen. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse Neapels, insbesondere auf die in den Straßen und Häu sern herrschenden Zustände fallen nach den vorliegenden Berichten grelle Streiflichter, so daß an die italienische Regierung die unab weisbare Forderung herantritt, so rasch als möglich Wandel zu schaffen, so schwierig dies auch im Hinblick auf die gesammten Lebens verhältnisse der Süd - Italiener erscheinen mag. Dagegen verdient der Heldenmuth, mit dem König Humbert in Neapel durch sein Bei spiel wirkt und der schwer leidenden Bevölkerung vor allem mora lische Unterstützung gewährt, volle Anerkennung. Der König hat bewirkt, daß die Frage wegen Unterbringung der Bevölkerung der ungesunderen Stadttheile in Baracken außerhalb der Stadt sofort entschieden wurde, und erklärte, er werde so lange in Neapel bleiben, bis die Epidemie Nachlasse. Der König hat trotz strömenden Regens die an der Cholera erkrankten Soldaten besticht, auch dem Stadt viertel Mercato, welches am meisten von der Cholera heimgesucht ist, nochmals einen Besuch abgestattet. England. In englischen Kreisen zeigt man sich sehr beklemmt über die politischen Vorgänge der letzten Woche und fühlt heraus, daß die Zeiten vollständig vorbei sind, wo England über die Köpfe der festländischen Großmächte in der Welt schalten und walten konnte, wie es wollte. Wenn man indessen annimmt, daß die Kaiserbegeg nung direkt gegen England gerichtet sei, so irrt man sehr, denn da durch würde dem allgemeinen Frieden ein schlechter Dienst erwiesen werden. Wohl dürften aber die festländischen Großmächte gemein sam England begreiflich machen, daß die Engländer in Bezug auf wirthschaftliche und commerzielle Interessen, zumal in den zu Colo nien geeigneten überseeischen Ländern als gleichberechtigte zn be trachten haben. Rußland. Für das Czarenreich spielt sich zur Zeit eine denk würdige Epoche in Warschau und Umgebung ab. Der dortige Auf enthalt des Kaiserpaares hat bewiesen/ daß der russische Thron doch noch fester steht als nian sonst zuweilen annimmt, die Haltung der Bevölkerung war durchaus loyal und man begegnete dem Czaren überall mit Ehrerbietung, ja zum Theil mit Begeisterung. Selbst ein Theil des polnischen Adels hat nicht verschmäht, in den Salons des Kaisers zu erscheinen. Im hohen Matze imponirend haben auch die großen Truppenmanöver bei Warschau auf Fremde wie Ein heimische gewirkt und das ganze befriedigende Schauspiel wird durch die Begegnung der Kaiser von Deutschland und Oesterreich mit dem Kaiser von Rußland auf russischem Boden gekrönt, wodurch Ruß land seinen Eintritt unter die Friedensmächte feierlich besiegelt. Ein Frauenleben. Roman aus den baltischen Provinzen Rußlands. Von Milly Pabst. (Fortsetzung.) Es wurde todtenstill in dem weiten Saale, als das heißersehnte Paar einlrat. Mit grenzenlosem Staunen musterten die vielen neugierigen Blicke die in schwerseidne Stoffe gekleidete zarte Gestalt der jungen Frau, welche, von dem Kreuzfeuer der Blicke aus's pein lichste berührt, verwirrt und geängstigt die dunklen Wimpern über die Augen senkte. Wie entsetzlich lang währte ihr doch die peinliche Vorstellung! Wie verwirrten sie die vielen französischen Höflichkeits phrasen der sie geschmeidig beglückwünschenden fremden Damen und Herren! Ihr war die französische Sprache, die neben der rusischen in den meisten Häusern Petersburgs als Salonsprache herrscht, nicht ganz geläufig. Ihr alter Sprachlehrer halte es mit der franzö sischen Conversation nicht so genau genommen, und der greise Pflege vater hatte das „verflixte Kauderwälsch", wie er es nannte, bis in den Tod gehaßt. Jetzt wünschte sie, die Sprache gründlicher ge lernt zu haben, nur um ihren» heißgeliebten Gemahl keine Schande zu machen. Endlich war die Vorstellung vorüber, es bildeten sich verschiedene Gruppen, während die Diener geräuschlos und gewandt den Thee auf silbernen Tablets präsentirten. Feodor wurde von allen Seiten mit Fragen, Bitten und Neckereien bestürmt. Man wollte wissen, was er auf seinen Reisen gesehen, erlebt und empfunden hatte. Man sagt ihm tausend feine Schmeigeleien, bevorzugte ihn auf alle mögliche Weise, vermied aber geschickt jede Frage in Bezug auf seine Heirath. Lina, deren Seele unter dieser prunkenden, lebhaft parlirenden Gesellschaft unendliche Qualen litt, sah sich gänzlich ignorirt und hätte den gewaltsam aufsteigenden Thränen nicht wehren können, wenn nicht ein alter bärbeißig aussehender Obrist, ein alter Freund des verstorbenen Herrn Harders, sie in ein eingehendes Gespräch ge zogen hätte. Dem freundlichen alten Herrn gegenüber verlor sich ihre Aengstlichkeit, und sie erzählte ihm mit kindlicher Offenheit von ihren Pflegeeltern, dem hübschen Waldschlößchen und dem prächtigen großen Walde, in dem es immer so geheimnißvoll rauschte und flüsterte. Dabei vergaß sie die Gesellschaft um sich her und auch dem ergrauten Obrist versank der glänzende Salon, und er lauschte nur noch entzückt der Kunde von dem Kindheitsparadiese, die wie