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zu sein, war so groß, daß in ihrem edlen Herzen auch nicht der kleinste Funke von Argwohn Platz fand. „Hast Du Mr. Harrington gesehen?" fragte Brander nach einer Pause. „Nein ; sein Vater sagte, er sei ausgegangen, werde aber bald zurückkehren." „Und wo hältst Du Dich auf, Fanni)?" „In Gloucester, im Gasthof zur Krone. Unser Kind ist auch dort." „Ich würde Dich dahin zurückbegleiten," versetzte Brander, „aber zuerst muß ich meinen alten Freund Dir. Harrington Wieder sehen. Du aber, Fanny, mußt vorläufig nach Gloucester zurückkehren und dort warten, bis ich zu Dir komme." „O Ferdinand, willst Du nicht jetzt zu mir kommen!" „Ich kann es nicht," sagte Brander ungeduldig. „Du mußt allein in Deinen Gasthof gehen und darfst Niemand etwas sagen, daß Du mich hier gesehen hast. Wenn Du Dich gegen meine An ordnungen auflehnen willst, so thue es; aber ich sage Dir, wenn Du meine Autorität über Dich nicht mehr anerkennneu willst, werde ich Dich verlassen! Wenn Du mir gehorsam bist, ist es gut; wo nicht, sind wir geschieden für immer!" Diese Alternative war der jungen Frau gar zu schrecklich; sie konnte nicht begreifen, warum ihr Maun plötzlich so heftig, so ab stoßend gegen sie war. Schluchzend erklärte sie sich bereit, ihm zu gehorchen. „Gut denn. Fahre sogleich zurück nach Gloucester. Sobald ich kann, vielleicht schon in einer Stunde nach Deiner Ankunft in Deinem Hotel werde ich bei Dir sein. Sprich aber nicht über mich. Bedenke das wohl!" Die junge Frau ging langsam zögernd einige Schritte vorwärts, kehrte dann aber um und sagte leise: „Ferdinand, soll ich ohne Abschied, ohne Kuß von Dir gehen?" Brander beugte sich zu ihr nieder und küßte sie kalt. Fanny erwiederte diese kalte formelle Liebkosung mit der ganzen Gluth ihrer Liebe, dann wandte sie sich um und ging nach ihrem Wagen, ihr Gesicht mit dem schwarzen dichten Schleier bedeckend, um ihre Thränen vor dem Kutscher zu verbergen. Dieser sprang vom Bock, half der jungen Dame einsteigen und schloß die Thüre wieder zu. „Zurück »ach dem Hotel," rief Fanny hastig. Der Kutscher nahm seinen Platz wieder ein, gab den Pferden einen leichten Schlag und der Wagen rollte davon. Brander stand an der Pforte des Parkes und schallte einen Augenblick dem Wagen nach. Dann machte er die Thüre zu und ging langsam in den Park hinein. „Ich habe sie geschickt abgefertigt," murmelte er vor sich hin. „Das war eine vortreffliche Lüge! Ich denke, daß keine ernstliche Gefahr aus dieser Begegnung entsteht. Bor allen Dingen muß ich sehen, welches Unheil sie bei Sir Harry angerichtet hat. So viel ist gewiß, daß ich mich in einer höchst fatalen Situation befinde; Sir Harry ist die Rechtschaffenheit selbst und haßt die Lüge. Und nun stehe ich, sein vermeintlicher Sohn, vor ihm, überführt nicht nur einer, sondern verschiedener Lügen. Ich bin sehr begierig, was er dazu sagen wird." Bon dem Wunsche beseelt, die zu erwartende Scene erledigt zu haben, beschleunigte er seine Schritte und hatte bald das Haus erreicht. Er fand Sir Harry noch in seinem Privatgemach, die „Times" noch vor sich auf den Knieen. Sein Gesicht war sehr ernst und gedankenvoll, und der sorgenvolle Ausdruck schwand auch nicht bei Branders Eintritt. „Ganz allein, Vater?" fragte Brander unbefangen, indem er sich auf einen Stuhl am Kamin niederließ. „Wo ist Ella?" „Sie ist noch mit einigen armen Pfleglingen beschäftigt," ant wortete Sir Harry. „Ella vernachlässigt die Armen nie!" „Das ist einer ihrer schönsten Charakterzüge," bemerkte Brander. „Als ich draußen in der Halle meinen Ueberrock auszog, sagte mir Joseph, daß eine Dame nach mir gefragt habe. Kannst Du mir sageü, Vater, wer sie war?" „Ja", antwortete der Baron; „sie ist Fanny Brander, die Frau Deines unglücklichen Freundes Ferdinand Brander." „Wirklich!" rief der Aufdringling, anscheinend aufs Höchste überrascht. „Seine Frau? Er hat mir niemals gesagt, daß er verheirathet war. Er bat mich in jener verhängnißvollen Nacht, an eine gewisse Fanny Brander zu schreiben, wenn ihm etwas zu- stoßen sollte; aber er sagte mir nicht, in welchem Verwandschafts- verhältniß er zu ihr stand. Null ich erfülle den Wunsch meines Freundes und sandte ihr ein Kandolenzschreiben von Marseille, dem ich eine Hundert-Pfundnote beifügte, da ich dachte, daß die Dame in Brander eine Stütze verloren hätte." „Ich sah Deinen Brief," sprach der Baron kurz. „Sie beauf tragte mich, Dir einen Dank auszusprechen für Deine Freundlichkeit. „Aber, Guido fügte er fast vorwurfsvoll hinzu, indem das Auge sich erregt und betrübt auf seinen vermeintlichen Sohn heftete, „wie kamst Du dazu, der Dame zu schreiben, daß der arme Ferdinand Brander todt sei?" „Es mar mnrecht," gestand Brander mit anerkennenswerther Offenheit ein, „aber ich dachte, ich wollte ihr einen, wie mir schien, weit größeren Kummer ersparen." „Du sagtest mir," fuhr Sir Harry in seinem Verhör fort, „daß Brander keine Verwandten hätte." „So? sagte ich das? Vielleicht kam cs daher, weil ich nicht sicher wußte, ob die Dame wirklich eine Verwandte Branders war uud ich deshalb auch nicht viel an sie dachte." „Es thut mir leid, daß ich die arme Frau nicht gesehen habe. Hält sie sich in Ardleigh auf?" „Nein, in Gloucester! Sie will heute noch nach London fahren, um England mit dem Dampfschiff zu verlassen. Ich fürchte, Guido, ihr Gatte hatte eineu Fehler an sich, da er seine Frau niemals gegen Dich erwähnte. Sie gefällt mir ganz außerordentlich. Es würde ihr vielleicht angenehm sein, wenn Du nach Gloucester gingst und sie aussnchtest, da sie Dich gerne gesprochen hätte. Du kannst sie auf den traurigen Anblick, der ihrer in Sicilien harrt, vorbe reiten." „Du hast Recht, Vater, ich will mich zu ihr verfügen," sagte Brander in einem Tone, als ob er noch nicht daran gedacht hätte es zu thun, stand auf und schickte sich zum Fortgehen an. „Bitte, entschuldige mich bei Ella, da ich zum Essen noch nicht zurück sein werde." Der Baron nickte, Brander entfernte sich, befahl sein Pferd zu satteln und ritt wenige Minuten später durch die Allee der Land straße zu. Sir Harry stand am Fenster und schaute ihm nach, noch den selben ernsten, sorgenvollen Blick in seinen Augen. „Und das ist mein Sohn!" sprach er zu sich selbst. „Das ist der Gatte, deu ich für die reine, unschuldige Ella ausgesucht habe und den sie liebt? Ein Mann, angesteckt von dem modernen Laster des Lügens! Nun ich weiß, daß er diesen Schandfleck an seiner Seele hat, kann ich ihm nicht mehr trauen. Wie das Leben im fremden Lande ihn doch so gänzlich verändert hat! Ich muß ihn schärfer beobachten!" Ferdinand Brander galoppirte während dessen auf seinem Pferd dahin und hatte in verhältuißmäßig kurzer Zeit Gloucester erreicht. Als er in die Nähe des Gasthofes zur Krone kam, begegnete er Fanny, welche die Ungeduld aus ihrem Zimmer hinaus auf die Straße getrieben hatte, um ihren Gatten dort zu erwarten. Brander stieg vom Pferde und ging an Fanny's Seite in den Gasthof, wo die Wirthiu ihnen entgegen trat. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Stuttgart, 24. Februar. Gestern Abend, kurz nach 9 Uhr, ist in dem Hause Leonhards - Platz II, wo der Pfandleiher Christian Reinhardt das Parterre und den ersten Stock innehat, abermals ein schreckliches Verbrechen verübt worden, welches die Erinnerung an die Affaire Heilbronner von Neuem wachruft. Als Frau Reinhardt zur angegebenen Zeit die Ladenglocke ziehen hörte, und zum Fenster hinaussehend einen Mann erblickte, rief sie dem selben zu, daß sich ihr Gatte im Laden befinde. Nachdem es in dessen zum zweiten Mal geläutet, schickte sie ihren zehnjährigen ältesten Sohn hinab. Ein lauter Aufschrei desselben ließ sie nichts Gutes ahnen; sie eilte nunmehr selbst hinunter und fand das Gas licht ausgelöscht, ihren Mann aber blutüberströmt als Leiche am Boden liegen. Der Leichnam zeigte schwere Schnittwunden über den Augen, von einem Beil oder dergleichen herrührend; der Hals war mit scharfem Messer fast vollständig durchschnitten, die Ladcn- kasse war um 80 Mark beraubt. — In dem entkommenen Mörder vermuthet man einen Arbeiter mit altbairischem Dialekt. In den amtlichen Bekanntmachungen wird derselbe als ein junger Mann in Arbeiterkleidung geschildert. — * Die Hinrichtung der Mörder Majlaths. Aus Budapest wird vom 23. Februar berichtet: Die Hinrichtung der Mörder Majlaths hat heute Morgen im Hofe des Gesängnißgebäudes in vorschriftsmäßiger Weise stattgefunden. Außer den eximittirten Amtsorganen, an deren Spitze Richter Namenyi stand, war eine Kompagnie Infanterie, die eine Karrö bildete, ausgerückt und war ungefähr 50 Personen nebst den Journalberichterstattern Einlaß gewährt worden. Vor dem Gefängnisse hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, die von Polizeiorganen iu Ordnung gehalten wurde. Die Delinquenten verbrachten die letzte Nacht ziemlich ruhig. Berecz schlief gar nicht, Pitely schlummerte eine halbe Stunde, Spanga blos fünf Minuten. Alle drei beteten die ganze Nacht hindurch. Pitely verlangte kurz vor der Execution noch ein Glas Wasser, das er gierig trank. Die drei Richtpflöcke waren neben einander mit Intervallen von drei Schritten aufgestellt, zwischen ihnen erhoben sich verschiebbare Holzwände, so daß der später Hingerichtete die Leiche des Vorgängers nicht sehen konnte. Unter dem Galgen benahm sich Spanga resignirt, Pitely betete in brünstig und küßte fortwährend das Kruzifix, nur Berecz bewahrte den Trotz bis zum letzten Augenblicke. Nach Verlesung des Urtheils rief er: „Ich sterbe unschuldig, meine Richter haben mich unschuldig verurtheilt". Während der Hinrichtung Spangas und Pitelys stand er erhobenen Hauptes aufrecht vor dem Galgen; der katholische Pfarrer Titus Degen kniete neben ihm und sprach Gebete, die aber Berecz nicht nachsagte. Als die Reihe an ihn kam und ihm die Hände gebunden wurden, rief er vom Galgen herab aus: „Gott verdamme meine Richter!" Der Executionsleiter Gerichtsrath Namenyi befahl trommeln zu lasten und im Trommelwirbel ver hallten seine letzten Worte. Sparga und Pitely baten am Galgen die Familie Majlath um Verzeihung. Bei Spanga trat der Tod nach 14, bei Pitely nach iß, bei Berecz nach 17 Minuten ein. Zwei Stunden nach der Execution wurden die Leichen vom Galgen herabgenommen und nach der Anatomie gebracht, wo dieselben sezirt werden.