Volltext Seite (XML)
politische Polizei unterworfen. Das Manifest enthält noch zahlreiche weitere Straferlässe bezüglich unpolitischer Verbrecher, die Aushebung zahlreicher Geldstrafen, Niederschlagung rückständiger Steuern zu Gunsten gewisser Kategorien der ärmeren Bevölkerung, weitere par tielle Amnestie und Gnadenerlasse. Die Sonne der kaiserlichen Huld und Gnade wird demnach ihre Strahlen aus weitere Kreise von Unglücklichen werfen, ob aber der Czar hierdurch allen Erwartungen gerecht wird, ist immerhin noch eine Frage. — Am Freitag Abend fand in Moskau beim russischen Minister des Auswärtigen, Herrn v. Giers, eine glänzende Soiröe statt, zu welcher nur die zur Krönung anwesende» fürstlichen Personen, die Botschafter und Mit glieder der hohen Aristocratie eingelade» waren. Die Herren waren theils in Uniform, theils im Frack erschienen, die Damen trugen hohe Coiffuren und Kleider mit langen weißen Polonaisen und Blumen geschmückt. Scandinavien. In Stockholm hat das gesammte Ministerium seine Entlassung eingereicht. Die Ursache dieses Schrittes ist in der Abstimmung des Reichstages über die Vorlage betreffs der Heeres organisation zu suchen, denn obwohl der Ministerpräsident in den Verhandlungen hierüber kräftig für die Vorlage in der Form, wie sie die Regierung beschlossen hatte, eintrat, so genehmigte der Reichs tag die grundlegenden Paragraphen des erwähnten Gesetzentwurfes doch in wesentlich veränderter Fassung, infolge dessen das ganze Ministerium demissionirte. Spanien. Die Bestrebungen zur Herstellung der sogenannte» iberischen Union werden ohne Zweifel durch den jetzigen Besuch des portugiesischen Königspaares am Madrider Hofe eine weitere Für- derung erfahren. Bei dem in voriger Woche in Madrider Königs schlosse stattgefundenen Banket trank König Alphons auf die Freund schaft von Spanien und Portugal. Sächsische Nachrichten. — Am 1. Juni wird im Verkehr zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn das Postaustragsverfahren eingeführt. Jin Wege des Postauftrags können Gelder und zwar bis zum Betrage von 400 Mark (200 Gulden österr. W.) eingezogen werden. Postausträge mit dein Vermerk „zum Protest", sowie Postaufträge zur Einholring von Wechselaccepten und zu Bücherpostsendungen sind bis auf Weiteres nicht zulässig. Zu den Postaufträgen nach Oesterreich-Ungarn kommt das im inneren Verkehr Deutschlands gebräuchliche Formular in An wendung. Bei den Postaufträgen nach Ungarn ist das Formular besonders deutlich auszufüllen; die Namen müssen mit lateinischen Buchstaben geschrieben sein. Die einzuziehenden Beträge sind bei Postaufträgen nach Oesterreich und Ungarn 'n der österr. Währung anzugeben. Einem Postauftrage können mehrere Quittungen, Wechsel rc. zur gleichzeitigen Einziehung von einem und demselben Schuldner beigefügt werden; die Gesammtsumme darf jedoch den obigen Be trag nicht überschreiten. Die Postauftragsbriefe müssen francirt sein; die zu entrichtende Taxe ist dieselbe ivie für Einschreibbriefe von gleichem Gewicht, mithin für Briefe bis zum Gewicht von 15 § einschließlich: in Deutschland 30 Pf., in Oesterreich-Ungarn 15 Kreuzer, für Briefe von mehr als 15 Z: in Deutschland 40 Pf., in Oester reich-Ungarn 20 Kreuzer. Es ist besonders zu beachten, daß während innerhalb Deutschland Porto nebst Gebühr für jeden Postauftrags brief ohne Unterschied des Gewichts 30 Pf. beträgt, im deutsck- österreichischen Verkehr für die über 15 Z schweren Postauftrags briefe ein höherer Portosatz zur Anwendung kommt. — (Wetterprognose von vr. Overzier in Köln.) 29. Mai: Morgens aufgehellt bis blau, Mittags schleierig bis kumulös, Nach mittags Anfangs besser, dann bedeckt. Es wird allgemein kühler bis subnormal. — 30. Mai: Kühl bis subnormal, windig bis stürmisch an den englischen Küsten. Die Abkühlung bringt örtlich wechselnde Trübung bis Bewölkung und zumal Nachts Niederschläge, besonders in den südlichen Gebieten und an den Gebirgsabhängen. — 31. Mai: Temperatur subnormal, im Allgemeinen wolkig bis trüb, dabei noch stark windig, zumal im Nord- und Ostseegebiete. Bei örtlich günstigen Umständen heiterer. — Es ist eine alte Bauernregel, welche in den letzten Jahren auch immer eingetroffen ist, daß sich der Ertrag der Kartoffelernte nach der Heidelbeerernte richte; die jetzt in reicher Fülle blühenden Heidelbeeren versprechen einen große» Ertrag und würde sich dem nach auch die Kartoffelernte günstig gestalten. — Um das Leibgrenadierre^iment, welches man jetzt schon viel fach als das sächsische Garderegunent bezeichnet, auch äußerlich be sonders hervortreten zu lassen, ist beabsichtigt, die Helmbeschläge und den königlichen Namenszug auf den Achselklappen in Weiß ausführe» zu lassen. Helmbeschläge und Namenszug zeigen bis jetzt gelbe Farbe. Dieser Tage wurden 6 stattliche Unterofficiere in dieser neuen Adjustirung dem Kriegsminister vorgestellt. — Auf dem Keilberge, dem sogenannten Riesen des Erzgebirges, soll in diesem Jahre auch Edelweiß angepflanzt werden, welches durch den Gärtner des Großherzogs von Toskana in Schlackenwert ge zogen worden ist. An einigen Punkten der Sächsische» Schweiz ist dieses Pflänzchen sehr gut fortgekommen, doch verliert es mit der Zeit seine schöne weiße Farbe und geht in's Grünliche über. — Lößnitz, 25. Mai. Am Trinitatisfeste feierte der hiesige Männer- und Jünglingsverein unter großer Betheiligung sein dies jähriges Stiftungsfest. Oberpfarrer Steininger gab in seiner Festrede ein interessantes Lebensbild des großen lutherischen Pastors Valerius Herberger in Fraustadt in Posen, welchem Vortrage kleinere An sprachen, Gesänge und Declamationen folgten. Den Gruß des Hartensteiner Vereins überbrachte?. Steglich. — Geyer. Ein Einwohner in Nieder-Geyer wollte am 24. Mai in seiner Wohnung Leinöl kochen. Unvorsichtiger Weise ver ließ er, kurz ehe das Leinöl zum Sieden kam, das Zimmer. Bei seiner Rückkehr sand er zu seinem größten Schreck den Fußboden des Zimmers in Hellen Flammen stehen, denn die kochende Masse mar inzwischen übergelaufen. Nach längerem Bemühen gelang es zwar dem Mann, des Feuers Herr zu werden, indem er es mit Asche erstickte, er hat sich jedoch bei diesen Löschversnchen so erhebliche Brandwunden zugezogen, daß er hoffnungslos darniederliegt. — Dieser Tage kam auf dem Bahnhose Werdau ein ita lienischer Salonwagen zurück, dessen gefüllte Näder aus Papier mit eiserne» Reife» bestanden, welche das Rad ca. 15 Centn«, breit um faßten. Das Papier war so hart wie Metall, hatte jedoch keinen Klang und war in Holzfarben angestrichen. Die Elasticität der Papierräder mit eisernen Reifen wird allgemein anerkannt, ebenso wie ihre Haltbarkeit und die Ersparnisse an Eisen. — Meerane. De» Strike der Weber in der Fabrik von L. Thieme u. Comp. darf man wohl als beendet betrachten. Die Arbeiter stellte» sich »ach und »ach i» der Fabrik ein und begannen wieder zu arbeiten. Von de» ungefähr 180 Arbeitern waren ins- gesammt 133, worunter 107 Stuhlarbeiter, am Platz, dabei allerdings neu engagirte Arbeiter aus der Fabrik von C. F. Schmieder u. Co. Der Umstand, daß die Arbeit so rasch wieder aufgenommeii wurde, mag mit darauf zurückzuführen sei», daß unter de» sinkenden Arbeitern das Gerücht verbreitet wurde, die Fabrik von C. F. Schmieder würde ganz oder wenigstens auf längere Zeit von den Besitzern selbst geschlossen werden. — Kirchberg. Wiederum ist eine Person der Trichinose zum Opfer gefallen. Viele liegen schmerkrank unter unsäglichen Schmerzen darnieder und vermögen nicht, ihre geschwollene» Glieder zu bewege». Da viele Arme mit dieser Krankheit belastet sind und bei solchen Fainilien mitunter der Ernährer liegt, so ist natürlich Kummer und Sorge in hohem Grade zu finden. Der sorgliche Frauenverein aber und noch sonstige edeldenkende Menschen greifen in lobensmerther Weise lindernd und helfend nach Kräften ein. — Treuen, 22. Mai. Die hiesige Bürgermeisterstelle ist neu zu besetzen. Während dieselbe den« früheren Inhaber ei» Fixum von 3000 Mark brachte und die Ausübung der advocatorischen Praxis gestattete, erhält der neue Bürgermeister 4500 Mk. Gehalt ohne Erlaubniß zu rechtsanwaltlichen Nebengeschäften. — Plauen, 23. Mai. Gestern erfolgte in der Strobel'schen Mordaffaire eine weitere Verhaftung und zwar wurde der Bruder des Letztverhafteten festgenommen: jener Fleischermeister, welcher an dem verhängnißvollen Sonntage ebenfalls Schlachtvieh einkaufen lassen wollte. Wegen Verdachts, den Fleischerlehrling Strobel er mordet resp. die Mordthat unterstützt zu haben, sitzen nunniehr Bauerfeind und die beiden Fleischer Schmidt. So viel soll jetzt feststehen, daß eine Person allein den Mord nicht vollbringen konnte. Ueber den Kampf des Opfers mit seinen Mördern circuliren hier schauerliche Gerüchte. — In schwindelnder Höhe bewegen sich entlang der Göltzsch- thalb rücke jetzt Fahrstühle, in denen Arbeiter beschäftigt sind, diesen colossale» Bau auf die geringsten, durch Witterungseinflüsse oder sonst herbeigeführten Schäden und Mängel zu untersuchen. Solche Revisionen finden alljährlich im Frühjahr statt. — Freiberg. Mit dem 9 Uhr in Dresden-Altstadt ahgehenden Personenzuge hatte am Vormittag '-des 25. Mai auch ein Gerichts diener aus Bautzen einen Gefangenen nach Zwickau zut ransportiren. Auf der Fahrt zwischen Edle Krone und Klingenberg hat Letzterer das Coupee selbst geöffnet und ist, die in Folge der großen Steigung dort stattfindende langsamere Fahrt benutzend, dem Zuge entsprungen. Doch nicht lange sollte er sich der Freiheit erfreuen. Der seine Strecke revidirende Bahnmeister in Klingenberg und auf der Strecke arbeitende Leute nahmen den Entsprungenen fest und brachten ihn nach dem Bahnhof Klingenberg. Der Transporteur ist in Bobritzsch ausgestiegen, um seinen Pflegbefohlenen wieder suchen zu helfen und fuhr mit ihm im nächste» Zug von Klingenberg weiter. — Die Fleischerinnung zu Dresden zeichnet sich durch be sonderes Festhalten an den alten Jnnungsgebräuchen aus. Nachdem dieselbe vor kurzem im Börsensaale ihres Schlachthofetablifsements 18 junge Männer zu Gesellen gesprochen und demselben die sogen. Verbandsbttcher eingehändigt hatte, nahm sie vorgestern ebendaselbst in feierlicher Weise ihre diesjährigen Lehrlinge, 35 an der Zahl, auf. Von den dortigen Jnnungsmeistern wird nie ein Fleischergeselle in Arbeit genommen, der nicht im Besitze eines regelrecht geführten Arbeitsbuches ist. — Ein entsetzlich trauriges Ereigniß trug sich am Donnerstag um Vz1 Uhr Mittags in Pieschen zu. Zwei Männer sahen zu dieser Zeit am Elbsalon in Pieschen eine Frau mit einem 7- bis 8- jährigen Kinde in den Elbstrom springen und sofort in den Fluthen verschwinden. Bei den sofort angestellten Rettungsversuchen wurde die Frau in Mickten bei der Schule wieder aus dem Wasser gezogen, jedoch bereits als Leiche; das Kind blieb verschwunden. Die Selbst mörderin, die also auch zur Mördmn wurde, war gut gekleidet und schien einem besseren Stande angeyört zu haben. Bei dem Sprung in die Fluthen konnten die Fernstehenden nur noch den Angstschrei des Kindes: „Mutter, Mutter!" hören. — Sayda, 27. Mai. Der elfjährige Schulknabe Preißler in Heidelberg hat gestern Nachmittags einen frechen Brandstiftungs versuch verübt; dieser vollständig verwahrloste Knabe, das bedauerns- werthe Opfer einer schlechten Erziehung, hatte vor einigen Tagen in der Behausung des Wirthschastsbesitzers Wilhelm Kaden in Heidel berg um eine Gabe angesprochen, - anstatt letzterer jedoch von der