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sind freilich geeignet, die aus Petersburg. London und anderen Orten gemeldeten Friedenshoffnungen herabzustimmen. Tagesgeschichte. Berlin. Die parlamentarischen Arbeiten werden binnen kurzem wieder beginnen. Der BundeSralh wird — wie die „Prov. - Corr." meldet — schon in den nächsten Tagen seine Arbeiten wieder auf» nehmen und voraussichtlich in einer der ersten Sitzungen den Gesetz entwurf über den Sitz des Reichsgerichts auf Grund der Beschlüsse des Reichstages zur weiteren Erledigung bringen. Der Reichstag tritt am Dienstag (den 10. d. M.) wieder zusammen. Derselbe wird, da der NeichshauShaltSetat nunmehr jedenfalls bis zum 30. April festgestellt werden muß. die nächsten Wochen vor Allem dem Budget» berathungen und zwar den zunächst in der Budget - Commission vor- berathenen Abschnitten, und der Beschlußnahme über die Deckung der Mehrbedürfnisse des Etats widmen. Einen hervorragenden Gegenstand der Erörterungen dürften demnächst die allgemeinen wirthschastlichen Fragen bilden, über welche aus den verschiedenen Parteien des Reichs tags Anträge von hoher grundsätzlicher Bedeutung gestellt sind. — Eine neue Gruppirung des Reichstages nach Bürger- und Adelstand crgiebt 259 Bürgerliche und 138 Adelige; unter den letzteren befinden sich 1 Prinz, 1 Herzog, 6 Fürsten, 33 Grafen, 29 Freiherrn, 68 mit dem einfachen „von". Berlin. Der „Nat.-Ztg." berichtet man: Der Reichskanzler Fürst v. Bismarck hatte sich, wie aus bester Quelle verlautet, am Sonnabend, als am Borabend seines Geburtstages, eine kleine auserlesene Herren gesellschaft geladen. Während der Tafel überraschte der Reichskanzler seine Gäste mit der Nachricht, daß er seine Entlassung beim Kaiser eingereicht habe und daß er diesmal fest entschlossen sei, auf seinem Gesuch zu bestehen. Fürst Bismarck bezeichnete sich alSvan» als einen „kaputen Mann"; scheide er völlig aus dem Staatsdienste uno könne der Ruhe pflegen, so sei eine Wiederherstellung seiner Gesundheit immerhin noch fraglich, zwinge man ihn aber zur Weiterführung der Geschäfte, so würbe ihn die Arbeitslast „bald völlig ruinircn." Er habe seinen Abschied erbeten, „um noch einige Jahre leben zu können." Berlin. Der Kronprinz begleitete am Mittwoch früh 7 Uhr den Kaiser von Brasilien nach Charlottenburg und verweilte dort längere Zeit mit demselben im königlichen Schlosse und im Mausoleum. — Wie man erfährt, hat auf Veranlassung des Reichskanzlers die königliche Münzdirektion in Berlin einen Entwurf zur Veränderung des Fünfzigpfennigstückes angefcrtigt. Es wird vorgcschlagen, auf der Adlerseite des genannten Geldstücks den Adler nahezu um die Hälfte zu verkleinern und ihn mit einem Eichenkranz zu verzieren. Das Münzzeichen, das jetzt doppelt sich vorfiudel, soll nur einmal angebracht werden. Die Schriflseile des Fünfzigpfenuigstücks wird nach dem Ent wurf der Schriftseite des Einmarkstücks Hochgebildet, und hierdurch würde die Schriftseite des Fünfzigpfennigstücks augenfällig abweichende Form erhalten. Die beabsichtigte Veränderung in dem Gepräge macht eine Abänderung des MüuzgesetzeS nicht nölhig; es soll einfach die Aehnlichkeit der Fünfzig- und Zehnpfcnnigstücke, die häufig zu Ver wechslungen Anlaß gegeben hat, vermieden werden. Eine Einziehung der bereits auSgegebenen Fünfzigpfennigstücke zum Zwecke der Um- Prägung findet nicht statt; die Reichsregierung will nur dem Neste der noch auszuprägenden Fünfzigpfennigstücke veränderte Adler-und Schrift- feiten geben. — Eine Wiener Meldung der „Post" besagt: England und Oesterreich drängen die Pforte zur Nachgiebigkeit in der Prolokollsrage. In türkischen Kreisen steht die Ueberzeugung chon dem Ausbruch des Krieges unerschütterlich fest, mau glaubt, die Abrüsluugsfrage werde den Bruch veranlassen. Deshalb wird unausgesetzt fcrlgcrüstel. Die Tscherkessen sollen binnen Kurzem einberufen werben. AuS Odessa meldet das „Wiener Tageblatt": Die Sübarmee erhalte drei Armee- corps zur Verstärkung. Auö Metz wird berichtet: Die Hoffnung, welcher wir vor Kurzem Ausdruck gaben, unseren allverehrten Kaiser demnächst auch in unsern Mauern zu sehen, scheint sich früher als wir geahnt, m verwirklichen. Es steht ziemlich fest, daß Se. Majestät am Abens des 3. Mai hier eintreffen und die beiden folgenden Tage in unserer Stabt verweilen wird. Wien, 7. April. Die „Politische Correspondenz" meldet aus Constantinopel, daß der englische Geschäftsträger vielfach mit den türkischen Staatsmännern über den Protokollbeilrilt konferire. ES heißt, England suche die Pforte zu der Erklärung zu bewegen, wodurch sie für eine bestimmte Zeit eine europäische Kommission in den auf ständischen Provinzen zur Ueberwachung der Durchführung der von den Mächten verlangten Reformen acceptirt. Paris. Heute wurde ein socialistischer Schusterzeselle, welcher in der Trunkenheit in einer Schenke über den Präsidenten der Re publik geäußert hatte, derselbe sei ein Mörder, weil er auf Paris zu feuern kommandirt habe, gerichtlich zu drei Monaten Gefängniß ver- urtheilt. Nom, 2. April. Die ministeriellen Blätter veröffentlichen lange Listen von Namen der in den letzten Wochen durch die sicilianischen Behörden unschädlich gemachten Verbrecher und melden die Festnahme von vielen Nauberhehlern. AuS Palermo wird dem „Diritto" ge schrieben, daß vor einigen Tagen die Polizeidiener in dem Hause eines Barbiers zwei der berüchtigtsten Räuber der Provinz, auf deren Hab- haftwerdung je 2000 Lire Prämie gesetzt sind, verhaftet und in das dortig« Gefängniß eingeliefert haben. Eine zahlreiche auf den Straßen versammelte Menge begrüßte die muthigen Agenten der öffentlichen Sicherheit enthusiastisch, und die ganze Stadt ist über diese- Ereigniß erfreut. London. Ein fürchterliches Eisenbahnunglück ereignete sich am Sonntag Vormittag unweit Morpelh, im Norden England-. Der unter dem Namen „der fliegende Schotte" bekannte Eilzug von Schott land nach London hatte kaum die Station Morpelh verlassen, als er entgleiste und in einem Nu der vordere Theil de- Zuges in einen Trümmerhaufen verwandelt war. Fünf Passagiere blieben auf der Stelle tokt, während viele sehr schwere Verletzungen bavontruzen. Einige Passagiere wurden in die Trümmer der Waggons so eingeklemmt, daß sie sich nicht von der Stelle rühren konnten. Da- Wehegeschrei der Unglücklichen war herzzerreißend, unr eS verstrich einige Zeit, ehe irgend welche Hilfe herzukam. Rechtzeitige Signale geboten dem von Newcastle kommenden Nordzuge Einhalt, der kurze Zeit nach der Kata strophe fällig war. Bon Aork und Newcastle langten mehrere Aerzte sobald als möglich an. Der Zug legte 30 Meilen per Stunde zurück als die Katastrophe stattfand. Constantinopel, 6. April. Die montenegrinischen Bevollmächtigten ballen eine Besprechung mit Savfet Pascha und hielten dabei alle zu letzt geltend gemachten Forderungen, insbesondere die Abtretung der Distrikte von Niksic, Kucci und Kolatschiu aufrecht, bestanden auch auf einer endlichen bündigen Antwort. Savfet Pascha erklärte, Montenegro müsse diese drei Punkte fallen lassen, inbeß könne er doch seine Ant wort heute noch nicht als eine definitive bezeichnen, die Frage müsse nochmals erwogen werde». Die Montenegriner erneuerten darauf ihr Verlangen mit dem Bemerken, daß sie angewiesen seien, alle ihre Forderungen aufrecht zu erhalten und stellten für den Fall, daß sie keine baldige definitive Antwort erhielten, ihre Abreise, die spätestens im Laufe der nächsten Woche erfolgen solle in Aussicht. — Das Londoner Protokoll ist der Pforte am Dienstag durch den englischen, am Mittwoch durch den russische» Geschäftsträger zugestellt worden. Der deutsche, französische, italienische und österreichische Geschäftsträger haben das Protokoll dem türkischen Minister gegenüber auf das leb- haflesle befürwortet. Einige Geschäftsträger richteten die Frage an Savfet Pascha, welcher Aufnahme das Protokoll sich bei der Pforte zu erfreue» habe» werde, Savfet Pascha erklärte, es sei ihm für jetzt noch nicht »täglich, eine Antwort zu geben, die Regierung babe noch keinerlei Entschließung gefaßt. Die Geschäftsträger der Mächte werden dem Vernehme» nach am nächste» Sonnabend ihre Schrille erneuern, um die Pforte zu einer günstigen Aufnahme des Protokolls zu be stimmen. Nach einer Miltheilung aus Brod, 5. April, bat einer der reichsten türkischen Grundbesitzer Bosniens, der Beg Kapetanovils, eine Schaar von 2000 Manu unter seiner Anführung gesammelt, mit welcher er die Christen in den an Oesterreich grenzende» bosnischen Bezirke» be droht. I» Fotze dessen herrscht unter den Christen eine Panik. Nußland. Der Prozeß StrouSberg wird, wie neuerdings feslgcstellt worden, am 6. April im Krimmal-Kassalions-Deparlement des diri- gircnden Senats in Moskau zur Verhandlung kommen. Von der Komplizirthnl dieser KassationSsachcn kann man sich einen Begriff mache», wen» man sich vergegenwärtigt, baß im Ganzen 298 einzelne KassalionSklagen eingelaufen fink. Die Gesammtzahl der verschiedene» KassalionSgrünke, wie sie in den Klagen gellend gemacht sind, beläuft sich auf 174. Bekanntlich hat Or. Strausberg keine Kassatwnsklage erhoben; auch die Prokuratnr hat nickt protestirt. Das Referat zur Sache hat der Senator M. K. Katakash, Bruder des vormaligen Gesandten in Amerika. Als Prokurator fungirl der Senator D. B. Bär, vormalS Präsident des Petersburger AppcllhofeS. DaS Spruch kollegium wirb aus folgenden Senalore» bestehen: Tschernoglasow, Präsident; Pollner, Tiesenhause», Fürst SchachowSki und Lego. Ma» glaubt, daß die Verhandlungen nunteslenö drei, vielleicht auch fünf Tage dauern werden. Petersburg, 6. April. Der „Golos" unterzieht die durch das Protokoll geschaffene Lage einer eingehenden Betrachtung und kommt dabei zu dem Schluffe, daß die Situation mit Zugeständnissen von Seilen der Pforte endigen werbe. Die Unterzeichnung des Londoner Protokolls sei ein Beweis dafür, daß England zu Allem bereit sei, nur um einer bewaffneten Einmischung Rußlands in die Angelegenheit der Türkei vorzubcugen und diese Bereitwilligkeit Englands erklärt sich aus der Ueberzeugung, daß die öffentliche Meinung Englands eine birecte Unterstützung der Türkei nicht zulassen werde. Aus Warschau, 2. April, wird der „Osts.-Ztg." geschrieben: Di« jüngste» Londoner Friedenstelegramme finde» im russische» Publikum wie in der russischen TageSprcsse keinen Wiederhall, erregen vielmehr bei der wieder stärker gehende» kriegerischen Strömung und Angesichts der ununterbrochenen Truppentransporte nach dem Süden satyrisckeS Lächeln. Die russische» Blätter sprechen sich einstimmig dahin auö, raß Rußland in die von England verlangte Demobilisirung seiner Armee ohne Verletzung seiner Nationalehre unmöglich einwilligen