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London, 14. April. Die Morgenblätter besprechen fast sämmtlich die beoorstenden kriegerischen Eventualitäten. „Times" meint, daß die Türkei durch ihr Cirkular ihr Bestes gethan habe, die Kriegserklärung zu beschleunigen,- möge auch vielleicht Rußlands Haltung Tadel ver dienen, so habe doch die Türkei unbestreitbar das Protokoll in ein KriegSinstrument verwandelt. Die „Morningpost" fordert die Schlicht ung der vorliegenden Streilfragen zwischen Rußland und der Türkei durch eine Mediation, wie sie im Pariser Vertrage vorgesehen sei. „Daily Telegraph" dagegen bezweifelt, daß die Diplomatie in dem gegenwärtigen Stadium der Sache nach etwas auSrichten könnte. London, 14. April. Reuter'- Bureau meldet: Einer Peters burger Privalmeldung zufolge, wird die Kriegserklärung nicht unver züglich erfolgen; Rußland wird wahrscheinlich erst eine die Situation erklärende Note an die Großmächte richten. Sind hierauf der Stam- buler Botschafter und sämmtliche Cousuln in der Türkei abberufen, dann werde der Czar nach Kischeneff gehen, von wo aus die Kriegs erklärung datirt werden dürfte. Bukarest. 13. April. Gestern fand ein Ministerrath statt. Dem Vernehmen nach ist die Einberufung der Reserven beschlossen nnd über die Haltung Rumäniens bevorstehenden Eventualitäten gegenüber be- rathen worhen. Bukarest, 12. April. Seit gestern haben die an der rumänischen Grenze echellonirte» Russen eine allgemeine Vorrückung gegen die trotz mehrtägigen Regens vollkommen praktikable Heerstraße Jassy-Bukarest begonnen. Petersburg, 12. April. Das „Journol de St. Petersbourg" meint, cS bliebe keine Hoffnung, daß die Türkei den Forderungen Europas werde gerecht werden. Der „Golos" äußert sich dahin, daß die gegenwärtige Situation fast keine Hoffnung auf eine friedliche Lösung der orientalischen Frage lasse. Die Occupatio» der christlichen Pro vinzen der Türkei durch Rußland wäre die logische Folge der Weigerung der Pforte, die in dem Protokoll aufgestellten Forderungen der Mächte zu erfüllen. Das Ziel der Occnpalion schließe jedwede ehrgeizigen Pläne Rußlands aus, welches ausschließlich Humanilälszwecke verfolge, indem es für die christlichen Unterthanen der Pforte cintretr. Nachrichten, die auS Petersburg nach Berlin gedrungen, geben, wie der „Boh." geschrieben wird, von der Stimmung des russischen HofeS ein Bild, das ans eine radikale Aendernng in der Gesinnung der maßgebendsten Persönlichkeit schließen läßt. ES heißt darinnen: „Bis vor Kurzem lagen noch zwei Parteien im Kampfe, die Kriegs- und die Friedcnspartei. Der letztere scheint jedoch auSgespielt und verloren zu haben. Der Czar selbst, der bisher immer dem Frieden das Wort ge sprochen, ist inS andere Lag-r übergegangen und ist nun zum Kriege entschlossen. ES ist die« eine Wandlung von solcher Bedeutung und solcher Tragweite, daß daneben alle Fragen, die augenblicklich auf der Oberfläche schweben, die Frage der Haltung der Pforte, die Frage des montenegrinischen Friedensschlusses fast nebensächlich erscheinen. Wenn einmal Kaiser Alexander den Kriegögedanken erfaßt hat, dann müßte es mit Wundern zngehen, wenn noch ein friedlicher Umschlag eintrelcn sollte. Die Berichte, die auö dem Hauptquartier Kischeneff in PeterS- bürg einlaufen, stellen den Zustand der russischen Süvormee als voll ständig befriedigend dar. Die Armee sei kampfbereit und erwarte mit Ungeduld den Befehl zum AuSmarsch. Wenn nur erst die Knospen Blüthen treiben und die aufgeweichten Wege von der Sonne getrocknet sein werden, dann werde der Befehl zum Vormarsch einlrefsen, gleich- gillig ob die Pforte das Protokoll blos theoretisch oder selbst praktisch aeceptirt hat." Uorales und Sächsisches. Zwönitz, 16. April. Am vergangenen Sonnabend frgh 4 Uhr wurden die Bewohner unserer Stadt durch Feuerlärm aus dem Schlafe gerufen. Es brannte nämlich im nahen LenkerSdorf das Gut des Herrn Fröhlich vollständig nieder. — Am Sonntag Nachmstlaqs 5 Uhr brach abermals in LenkerSdorf Feuer aus und brannte diesmal das Gut des Gutsbesitzers Güulher. — Heute NachmittagCam in Stollberg in .dem früher Graf gehörigen Hause Feuer auS, das alsbald gelödtel wurde. — Zur Notiz für Bieneufreuude: Gerade jetzt ist es Zeit zur Bieneufülteruug; aber nicht etwa des Hungers halber, denn Heuer haben die Bienen sehr viel Houig, sondern der Schwärme wegen. Wenn man nämlich jetzt dünnflüssigen Honig füttert, wozu täglich ein Löffel Honiganflösung (auch CandiSzncker eignet sich dazu) hinreicht, werden die Bienen angeregt, viel Brut auzusetzen, was Schwärme zur Folge hat. Beim Beschneide» darf man weder habsichtig noch verschwenderisch sein. Wer zu viel schneidet, muß es sich gefallen lassen, wenn der Stock bei Eintritt schlechten Wetters verhungert; denn die Biene beschämt mit dem Fleiß, den sie für das Gedeihen ihrer Nachkommen aufwendet, manche Mutter, d. h. sie spart in der Zeil der Brut auch das Futter nicht, weswegen man ihr zur Hilfe kommen muß. Wer Schwärme haben will achte auf diesen Wink, welcher dem Dzierzon'schen Bicnenbuche entnommen und geprüft ist. Aus Dresden, 10. April, wird dem „L. T." geschrieben: Der hiesige Stadtrath bat beschlossen, fortan das Milbringen von Hunden in geschlossene Räumen von Gastwirtüschaflen rc. zu verbieten und das freie Umherlaufen der Hunde in wen öffentlichen Gartenanlagen außer halb der Wege ait Strafe zu bedrohen. Gegen diese in Aussicht ge nommene Maßregel hat nnn der Kynologische Verein in Dresden ein Flugblatt erlassen, in welchem die Anschauungen des StadlratHS ziemlich hart mitgenommen werden. Auch über die letzte Hunvesperre wird der Stab gebrochen und eine Menge Dinge aufgesührt, welche angeblich die Folge der Hunvesperre gewesen sein sollen. So seien — man lache nicht — sichere Anzeichen dafür vorhanden, daß die durch die Hunde- sperre vorgerufene Mißstimmung namentlich in den ärmeren Classen der Bevölkerung auf den so beklagten Ausfall der letzten-ReichSlag«walfl in Altstadt-DreSdeü nicht ohne Einfluß geblieben ist. Der Nath wird sich wahrscheinlich in seinen Entschlüssen durch die Kundgebungen des Kynologischen Vereins wenig beirren lasse». Dresden, l2. April. Die Direktion des unter der hohe» Präsidentschaft Ihrer Majestät der Königin Carola stehenden Albert- vereinS in Dressen beabsichtigt im Saufe dieses Sommers zum Betten des in DreSoen in Ausführung begriffenen „CarolahanieS" (Heim für die Krankenpflegerinnen des Vereins Sitz der Verwaltung, Hospital) eine große Waarenverloosung zu unternehmen, die zugleich, da nur sächsische Fabrikate verloost werden sollen, der sächsischen Industrie eine in der gegenwärtigen flauen Geschäftszeit doppelte willkommene neue Absatzquelle eröffnen soll. Der Bau des Carolahauses ist auf 620,000 M. excl. des für 180,000 M. erworbenen Bauplatzes, ver anschlagt, wozu die vorhandenen Mittel bei Weitem nicht ausreichen. Nach dem vom königlichen Finanzministerium bereits genehmigten Lot- terieplane sollen 200,000 Loose L 5 M. auSgegeben werden. Die Zahl der Gewinne (Werth von 5 bis 30,000 M.) soll 20,000 im Gesammtwerthe von 454,650 M. betragen. Beim Ankäufe der Ge winne (das Direktorium wird nur reelle und solide, dem angegebenen I Werthe thatsächlich entsprechende Gegenstände verloosen) sollen die GlaShütter Uhrenindustrie, die Lausitzer Damast- und Leinenindustrie, die erzgebirgische und voigtländische Spitzen- nnd Weißwaareninvustrie, die Chemnitzer, Glauchauer uno Meeraner Webwaaren - Industrie rc. vor Allem berücksichtigt werden. Leipzig, 13. April. (1. Meßbericht des „Dr. I.") Der Verlauf der Lerermessc ist im Ganzen unbefriedigend zu nennen. Dos Geschäft war schleppend und die erzielten Preise für Garleder lassen den Fabrikanten — bei den verhältnißmäßig tbeuren Rohprodukten und Gerbstoffen — kaum einen dürftigen Arbeitslohn verdienen. Die Zufuhr einzelner Gattungen, z. B. schwerer Sohlleder, war weit ge ringer als sonst, doch fehlte eS auch an Käufern. Die Letzteren klagen allgemein über schlechtes Jncasso nnv hieraus läßt sich wohl genugsam erkennen, daß die Borgwinbschaft auf Handel nnd Gewerbe den »sch- lheiligsten Einfluß übt. Die zugeführten Meßsortimenle der ver schiedenen Ledersorlen, namenllich in Fahlleder, Kipsen, Sohlleder unv Vache waren kaum mittelmäßig — gering. — Auch dies war ein Grund mehr, daß ungeordnete Waaren zu arg gedrückten Preisen ab gegeben werden mußten. Einzelne Fabrikanten konnten überhaupt keinen Verkauf der Waaren erzielen und es gingen letztere auf Commissionslager. Chemnitz, 14. April. Vorgestern früh wurde auf einen offenen Güterwagen des von Chemnitz nach Oederan gefahrenen Gnterzngs vaselbst ein junger Mensch schlafend ausgefuncen. Es ergab sich, daß derselbe, ein schon oft bestraftes Individinm, am Abens zuvor siw in den Wagen eingeschlichen hatte, um daselbst billig zu übernachten. Oer schon zum Abgang bereit stehende Zug war nun früh abgefahren, ohne daß der Schläfer dadurch erwcckt worden war. Der Kontra venient wurde uunmehr festgenommen und nach Chemnitz vehufs seiner Bestrafung remillirt. Crimmitschau, 12. April. Bei dem hiesigen Standesamts ist heute der gewiß seltene Fall vorgekommen, daß eine Eheschließung an zwei Taubstummen vollzogen worden ist. Erwähnenswerih erscheint hierbei, daß dem EheschließungSacte außer den gesetzlichen Zeugen noch zwei ebenfalls taubstumme Freundinnen der Braut beiwohnten. Freiberg. Die Zeil ist für gewisse französische Kreise immer noch nicht zu ernst, um dumme Späße über Deutschland zu machen. Man such! ans diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege die Agitation gegen die Sieger von 1v70 fortzusetzen, ohne daß der Regierung da raus Verlegenheiten erwachsen könnten. Der „Figaro" schlägt vor Lothringen zurückzukaufen. Die Gelegenheit ist günstig, Deutschland schwebt ja finanziell am Abgründe uns Irr öello Branns ist eine so reiche Person. Machen wir eine Anleihe, erschallt das Echo im „XIX. Sincle", wenn Deutschland bereit ist, Lothringen für 400 Millionen znrückzugeben! Jeder patriotische Franzose wird mit Freuden zeichnen. Glaubt das XIX. Siöcle wirklich, dem „Prestige" Frankreichs mit solchen Albernheiten aufhelfen zu können?" Meerane, 22. April. Ein äußerst romantischer Zug, eine Zigeunerbande passirte gestern Nachmittag hier durch. Dem Trupp voraus, das Terrain absuchend, zogen mehrere zum Theil mit Spröß- lingen auf den Rücken beladene Weiber. Dann folgte das GroS der aus wohl über 20 Köpfen bestehenden Gesellschaft. Lange sahen wir nicht so unverfälschte Raco; Haar, Zähne, liefdunkle Hautfarbe und malerisch zerlumpte Costumirung, Originale durch und durch, von denen jedes einzelne Vorlagen für den Genremaler bildete. Man mußte staunen über die Zugkraft der zwei elenden Klepper, welche dem in Wiederspruch mit der Bande stehenden großen modernen