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ßischen Finanzministerium vermag das allgemeine Interesse nicht mehr zu fesseln, da die endgültige Lösung dieser Frage sich jetzt mit ziemlicher Gewißheit varaussehen läßt. An der Ernennung des Staatssecretär im Reichsschatzamt, Scholz, zum Nachfolger des Herrn Bitter zweifelt Niemand mehr, auch dürste Herr Scholz die Leitung der preußischen Finanzen nicht nur provisorisch, sondern definitiv übernehmen, denn die von einem Berliner Blatt gebrachte Nachricht, daß der Reichskanzler selbst das Finanzministerium übernehmen und daß ihn Herr Scholz in der Leitung desselben nur vertreten werde, ist bis jetzt nicht bestätigt worden und kann man diesen Gedanken überhaupt wohl als aufgegeben betrachten. Auch das Gerücht von einer Verschmelzung des preußischen Finanzministerium mit dem Neichsschatzamte bewahrheitet sich nicht, beide Aemter werden auch ferner neben einander bestehen und bezeichnet man mit Bestimmtheit Herrn Burchard, den bisherigen Director im Neichsschatzamte, als den künftigen Leiter dieses Ressorts. In der bayerischen Armee wurden in diesen Tagen zwei seltene Regimentsjubiläen begangen. Das in München garnisonirende In fanterieregiment „Kronprinz" feierte am 29. Juni das 200jährige Jubiläum seines Bestehens und die gleiche Feier beging an demselben Tage das in Nürnberg garnisonirende 1. Chevauxlegers-Regiment. Dem erstgenannten Regiments waren anläßlich dieser Feier neue Fahnenbänder für die Fahnen vom Könige verliehen worden, welche die Prinzessin Ludwig an die Fahnen heftete. Das Münchener Nathskollegium hat einen Beweis religiöser Intoleranz gegeben. In seiner Sitzung vom 30. Juni beschloß das genannte Collegium mit 16 gegen 6 Stimmen, den Altkatholiken die ihnen seit dem Jahre 1871 zur Benutzung eingeräumte Kirche wieder zu entziehen. Ob die Staatsregierung diesen Beschluß gutheißen wird, ist noch nicht bekannt. Oesterreich-Ungarn. Die den österreichischen Ministern Baron Conrad, Dr. Prazak und Graf Falkenhayn durch die Verleihung des Ordens der eisernen Krone 1. Klasse zu Theil gewordene Auszeich nung wird in den Wiener maßgebenden Kreisen als ein Vertrauens- zeichen des Kaisers für das Cabinet Taaffe betrachtet. Häufig hat in Oesterreich die Verleihung solcher Auszeichnungen für den be treffenden Minister die Bedeutung eines Vorboten für die baldige Versetzung in den Ruhestand, diesmal aber wird die Sache in der That keine ominöse Bedeutung haben. Das Cabinet Taaffe erfreut sich beim Kaiser nach wie vor des größten Vertrauens und seine Stellung ist zur Zeit eine derartig gefestigte, daß hiergegen alle ferneren Angriffe der Verfafsungspartei sich als nutzlos erweisen werden. Eine andere Auszeichnung ist dem F.-Z.-M. von Dahlen und dem F.-M.L. Baron von Jovanovic durch die Verleihung des Großkreuzes vom Leopoldorden mit der Kriegsdecoration zu Theil geworden, als Anerkennung für ihre hervorragende Dienste bei der Pacificirung der insurgirten Provinzen. Frankreich. In Frankreich tritt di? Antipathie gegen jede auswärtige Actionspolitik immer schärfer hervor, wozu das Mißge schick Frankreichs in seiner egyptischen Politik unzweifelhaft sehr viel mit beigetragen hat. Es ist noch nicht erwiesen, ob England der französischen Negierung wirklich den Vorschlag gemacht hat, gemein sam in Egypten offensiv vorzugehen und ob, falls dies wahr gewesen, das Pariser Cabinet diese Proposition abgelehnt hat, daß aber das Ministerium Freycinet sich gegen jedes derartige Unternehmen ent schieden ablehnend verhalten würde, kann nicht bezweifelt werden. Seit den Enthüllungen des Gelbbuches denkt man eben in Frank- reich über den Werth einer Allianz mit England sehr nüchtern, man ist nicht mehr gewillt, den Engländern wie in der Krim, in China, in Mexiko, nun auch am Nil die Kastanien aus dem Feuer zu holen und die Franzosen haben hierin durchaus nicht Unrecht. England. England setzt seine kriegerischen Rüstungen, unbe kümmert um die Eonstantinopler Conferenz, wo man sich zu einheit lichem Handeln verpflichtet, fort. Die Einberufungsordres für die Reservisten erster Classe liegen zum Versandt bereit, die Militärde pots, wo sich die Reserven einfinden, werden mit den nöthigen Waffen und Uniformen versehen und olle Werkstätten in Woolwich sind in regster Thätigkeit. Trotzdem soll im englischen Cabinet noch große Uneinigkeit herrschen; Lord Granville ist für ein Zusammen gehen mit Frankreich, Lord Kimberley redet der türkischen Interven tion das Wort, während die Herren Chamberlain und Diike für ein frisches, fröhliches Losschlagen in Egypten sind. Die englische Ne gierung braucht aber in der egyptischen Frage gerade nicht so sehr ins Zeug zu gehen, denn cs fragt sich überhaupt, ob die andern Mächte ein bewaffnetes Vorgehen Englands in Egypten gestatten würden. Tann aber hat die englische Negierung im eigenen Hause noch genug zu ihun; die irischen Angelegenheiten würden jedenfalls auf eine größere auswärtige Action immerhin lähmend einwirken. Tie neuen Mordthaten in Irland beweisen, daß es dort weiter gährt und kann England bei dieser Stimmung unmöglich daran denken, die in Irland stehende Truppenmacht zn schwächen und einzelne Re gimenter mit in Egypten eventuell zu verwenden. Italien. Von Italien fließen nur sehr spärliche Nachrichten ein und laßt sich nicht verkennen, daß seit den stürmisch bewegten Tagen der Garibaldi-Feier eine gewisse Abspannung eingetreten ist. Ueber die beabsichtigte Ueberführung der Leiche Garibaldi's nach Nom verlautet noch immer nichts, ebensowenig darüber, ob die sterblichen Ueberrcste des verblichenen Helden noch verbrannt werden sollen. Etz machen sich indessen immer mehr Stimmen in der italienischen Nation geltend, welche verlangen, daß der letzte Wille Garibaldi's bezüglich der Verbrennung seines Leichnams erfüllt werde n»d die italienische Negierung wird diesem Verlangen wohl um so lieber nachgebeu, als die Ueberführung der Leiche Garibaldi's nach Nom von den Nadicaleu sicher zn einer großen politischen Demonstration ausgebeutet werden würde. Rußland. Die russichen Nihilisten sind wieder flott bei ihrer Maulwurfsarbeit, wie die abermalige Verhaftung von 18 verdäch tigen Personen rind die Entdeckung neuer Vorräthe von Dynamit und Sprengbomben beweist. Außerdem wird aber einer der höchst gestellten russischen Beamten beschuldigt, in Verbindung mit den im Auslande lebenden Nihilisten zu stehen. Der nenernannte Gehilfe des Ministers des Innern, General Orschewski, soll nämlich früher, als er noch Gendarmerie-Commandant in Warschau war, mit den in Genf lebenden Nihilisten correspondirt haben, falls sich dies bewahr heitet, wäre natürlich sein Verbleiben auf seinen Posten unmöglich, obwohl vorläufig noch nichts von einer Untersuchung verlautet. Orient. Ueber die Lage in Egypten liegen neue Nachrichten von Belang nicht vor. Die Zustände in Alexandrien werden noch immer als sehr unsicher geschildert und eine neue Katastrophe wird für gar nicht so unwahrscheinlich gehalten. Derwisch Pascha soll zwar die eingeborene Bevölkerung von Alexandrien in einer Procla- mation aufgefordert haben, dem Khedive zu gehorchen und sich mit den Europäern zu vertragen, doch wird versichert, daß die Bevölker ung ihre feindselige Haltung gegen die Europäer beibehalte. Gerücht weise verlautet, Arabi Pascha habe sich entschieden, nach Constanti- nopel zu gehen. Amerika. Der Präsidentenmörder Guiteau ist Freitag Mittag 12Vs Uhr zn Washington durch den Strick hingerichtet worden; der Tod erfolgte sofort. Die Hinrichtung des elenden Guiteau ist nur die gerechte Strafe für seine verruchte That, welche die ganze civi- lisirte Welt in Entsetzen versetzt und mit Entrüstung erfüllt halte und es wird daher dieser Act der Gerechtigkeit überall nur mit Be friedigung ausgenommen werden. Guiteau soll seinen anmaßenden und zugleich lächerlichen Eigendünkel bis zuletzt beibehalten haben und sogar noch in den letzten Stunden auf Begnadigung gehofft haben; mit seinem Tode endet eines der widerlichsten Schallspiele, welches das amerikanische Gerichtsverfahren der Welt je darge boten hat. Was die Liede vermag. Roman von Ed. Wagner. (Fortsetzung.) 39. Kapitel. Ein nochmaliger heimlicher Besuch. Einige Tage nach der Uebersiedelung in ihre neue Wohnung erhielt Valerie einen Bries von ihrer Mutter mit dem Poststempel Guildford. Der Inhalt desselben erfüllte sie mit einer Glückseligkeit, wie sie solche zuvor nie gekannt hatte. Er athmete die zärtlichste Mutterliebe und keine Silbe verrieth die trostlose Verzweiflung der Schreiberin. Lady Romondale hatte um Mitternacht in ihrem Zimmer ge schrieben und am Morgen den Brief selbst auf die Post in Guilförd gegeben. Sie wagte diese offene Widersetzlichkeit gegen ihren Gemahl, der ihr mit strengster Ueberwachnng gedroht hatte, weil er sie zu fällig nicht begleitete, und sie wohl wußte, daß er zu stolz sei, um die Diener zu befrage», ob sie das Schloß in seiner Abwesenheit verlassen habe. Tie Hoffnung, diesen Briefwechsel ungestört fortsetzen zn können, und die Liebe ihres kleinen Knaben waren die einzigen Lichtpunkte in ihrem plötzlich wieder so traurigen Dasein. Die Lady benachrichtigte Valerie in ihrem Schreiben, daß es ihr für den Augenblick unmöglich sei, sie zn besuchen, daß sie es aber bald einzurichten hoffe. Mit warmen Segensworten dankte sie ihr, daß sie ihre Wünsche so bereitwilligst durch den Wohnungs wechsel erfüllt habe. „Arme Mutter," dachte Valerie voll Theilnahme und Trauer. „Blau gönnt ihr nicht einmal einen freien Tag. Aber das muß anders werden. Ich will mich sogleich ohne weiteren Zeitverlust nach einer lohnenden Beschäftigung umsehen." Ihr Geldvorrat!; reichte wohl aus, um mit Gertrude ein volles Jahr behaglich leben zu können. Der Wunsch jedoch, ihre Zeit nützlich zu verwerthe», veranlaßte sie, sich um einen passenden Erwerb zu bekümmern. Die Frage war nur: wo einen solchen finden? Nahm sie eine Stelle als Erzieherin an. so hätte sie sich von Gertrude trennen müssen und dies wollte sie nur im äußersten Noth- all thnn. Sie beschloß daher, in der Musik sowohl wie im Zeichnen Interricht zu ertheilen. Nachdem sie ihren Plan mit Gertrude be- procheu lind bei derselben jeden Widerspruch überwunden und das wohlgemeinte Anerbieten der eigenen Rente abgelehnt hatte, zog sie