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Tagesbericht. — Daß es noch immer Leichtgläubige giebt, welche bei „Wunder doctoren" Heilung von Gebrechen aller Art erhoffen, davon liefert die vor einigen Tagen vor der Leipziger Strafkammer stattgefundene Gerichtsverhandlung abermals den besten Beweis. Wohl selten war die Zeugenbank so eigenartig besetzt, wie in dieser Hauptverhandlung gegen den des Betrugs angeklagten Handarbeiter August Benjamin Jentzsch aus Volkmarsdorf, denn in der Hauptsache waren die Vor geladenen Zeugen Lahme, Blinde und Ausgewachsene. Dem Ange klagten wird zur Last gelegt, daß er verschiedene Leichtgläubige, die sich zu ihm in die „Cur" begeben und denen er versichert hatte, sie von ihren Leiden heilen zu können, um Geldbeträge gebracht habe. Jentzsch betreibt seit 32 Jahren die Heilung von Kranken durch Sympathie. Er will die Kunst von einer alten Tante gelernt haben; er heilt durch Auflegen der Hände auf den kranken Theil, durch Streichen und durch Anhauchen. Aber auch andere Mittel zur Heilung macht er sich dienstbar. In der Hauptverhandlung waren zwei Zeugen mit ausgesprochenen Höckern erschienen; um letztere wegzubringen, entnahm Jentzsch von denselben drei Tropfen Blut auf ein Blättchen Papier unter Murmeln von gewissen Formeln. Diese Papierblättchen trug er dann in den Wald und bohrte sie in einen Baum ein, und das sollte helfen; die Zeugen tragen aber ihre Höcker heute noch. In ganz ähnlicher Weise curirt er Brüche. Ebenso waren als Zeugen zwei Staarleidende erschienen; sie hatten gehört, daß Jentzsch schon eine blinde Frau geheilt habe. Jentzsch hauchte den Blinden die Augen an, bestrich sie und ließ ihnen die Nacht über eine in einen Leinwandsäckchen eingenähte „Stinkwurzel" auf die Augen binden; außerdem aber blies er ihnen von Zeit zu Zeit ein Pulver in die Augen, welches er dadurch bereitete, daß er Köpfe von schwarzen Katzen sammelte und diese verkohlen und zu Pulver reiben ließ. Die erschienenen Zeugen waren trotz der Cur blind geblieben. Jentzsch blieb dabei stehen, daß seine Mittel gut seien und daß er heilen könne, welche Krankheiten, das sei ihm einerlei. Auf die Frage des Herrn Vorsitzenden, ob er denn auch das Katzen kopfpulver für heilsam halte, antwortete er: „ei ja, das is Sie sehre gut". Die Bezahlung, welche Jentzsch verlangte, war verschieden. Buckel und Brüche kosteten 15 Mk.; für Streichen berechnete er 1 Mk. Für das Heilen eines Staarblinden hatte er sich für den Fall des Erfolges 30 Mk. ausbedungen. Dec Angeklagte wurde wegen Betrugs zu 3 Monaten Gefängniß vernrtheilt. — Vor dem Reichsgericht, 3. Senat, kam die Klage des preu ßischen Ministers Maybach gegen die Nedacteure der „Dresdu. Nachr", vr. E. Bierey uud Oskar Köhler, wegen Beleidigung zur letztin stanzlichen Verhandlung. In einem Artikel des genannten Blattes, als dessen Verfasser sich der erstere bekannte, während der letztere als danialiger verantwortlicher Nedacteur mit aufzukommen hatte, waren die auf den preußischen Staatseisenbahnen im vorigen Jahre sich in so erschreckendem Maße häufenden Unglücksfälle zum Gegen stand einer Kritik gemacht, dabei die Ersparnißmaßregeln des Herrn Ministers Maybach einer freimüthigen Besprechung unterzogen und war endlich vor dem Neichseisenbahnproject energisch gewarnt worden. Excellenz Maybach glaubte sich dadurch beleidigt und wurde - klagbar, jedoch erfolgte vor der 2. Kammer des Dresdner Landge richts die Freisprechung der beiden Angeklagten. Obwohl in den Erkenntnißgründen dargethan war, daß der Angeklagte nur zur Wahrung der berechtigten Interessen des Publikums uud Fahrper sonals seinen Artikel abgefaßt und dabei nicht die Grenze einer er laubten Besprechung überschritten hatte, wendete die Kgl. Staatsan waltschaft, vertreten durch Herrn Justizrath Neiche-Eisenstuck, Revi sion ein. Vorige Woche hat nun das Reichsgericht in Leipzig das eingelegte Rechtsmittel verworfen; der Rechtsanwalt von Stenglein plaidirte selbst aufs gründlichste für die Verwerfung der Revision, so daß die Bertheidigung, Rechtsanwalt Freitag I., sich dem nur an- schließen konnte. — Leipzig, 7. Juni. Am vorigen Sonnabend trafen unter persönlicher Leitung des Herrn Pinkert mehrere für dessen zoolog ischen Garten in Pfaffendorf von ihm angekaufte Thiere wohlbe halten hier ein. Es waren ein indischer Elephant (Kaufpreis 8500 Mark) ein Leopard, zwei Lamas, zwei Känguru, ein Pfefferfresser und mehrere Affen und Papageien. Der Transport der Thiere war jedoch nicht so ganz glatt verlausen. Der Elephant war während der Fahrt im Eisenbahnwagen wild geworden und hatte den Wagen stark geschädigt. Die von Hamburg mitgenommenen Wächter wagten sich nicht an ihn. Es gelang jedoch Pinkert selbst, welcher uner schrocken in den Wagrn sich begab, das Thier zu beruhigen, worauf dieses sich geduldig in einen anderen Wagen unterbringen ließ. Nach siebenstünvigem Aufenthalt konnte die Fahrt fortgesetzt werde». — Zwickau, 8. Juni. Bei dem gestern Nachmittag 6 Uhr 40 Min. von Chemnitz abgehenden, 8 Uhr 22 Min. hier ankommenden Personenzuge ist auf der Strecke Chemnitz—St, Nicolai beim Cou- pieren der Billets der Schaffner Bach aus Neichenbach von einem Wagen gestürzt und tödtlich verunglückt. Bach, der verheirathet und Vater von fünf Kindern ist, wurde erst auf der nächsten Station vermißt. — In Hartenstein verschied am Pfingsttage ganz plötzlich der dasige allgemein beliebte und hochgeschätzte Amtsrichter Schmidt; sein Verlust wird schmerzlich beklagt. — Markneukirchen. Bei einem Spaziergang, den kürzlich Schüler in dein benachbarten böhmischen Ort Rehau mit ihrem Lehrer Zahn machten, kroch dem 6'/z Jahre alten Sohne des Steinmetz- meisters Heinritz eine Otter in der Hose am Bein hinauf. Auf das Geschrei des Knaben untersuchte der Lehrer dessen Stiefel, konnte aber nichts finden. Der Knabe beruhigte sich etwas, um später wie der beim Heimgehen auf's Neue zu klagen. Als er, zu Hause ange kommen, sich auszog, sprang die Schlange aus den Kleidern heraus und wurde sofort getödtet. Es war eine Kreuzotter von bedeutender Größe, 70 Ctm. lang. Es ist ein wahres Wunder, daß die Schlange, die doch über eine Stunde sich in den Kleidern des jungen Heinritz aufgehalten haben muß, nicht gebissen hat. — Bautzen. Die „Serbske Now." theilen mit, daß in ver gangener Woche auf einer herrschaftlichen Wiese zu Werben in der Niederlausitz ein Topf mit ca. 1000 Jahre alten Münzen aufgefun- den worden sej, welche ein röthliches Ansehen und die Größe eines Zehnpfennigstückes hatten. Die Münzen waren sehr dünn und die Schrift auf denselben war nicht zu lesen und zu entziffern. Deutschland. Da der Vertrag wegen des Zollanschlusses mit Hamburg erst in der zweiten Hälfte dieses Monats, und zwar am 18., die dortige Bürgschaft beschäftigen und von dieser, wie man hier vermuthet, zunächst an eine Commission verwiesen wird, so ist die Befassung des jetzigen Reichstages mit der Kostenbewilligungs frage definitiv aufgegeben. Der Plan, die Anzahl der Reichskassenscheine zu 5 und 10 Mk. zu vermindern, liegt bereits in Form eines Antrages dem Bundes- rathe vor. Danach soll der für diese Scheine bestimmte Betrag von je 40 Millionen Mark auf 10 Millionen herabgesetzt werden, indem die Scheine theils gegen solche zu 50 Mark umgetauscht, theils in dem jährlichen Betrage von 3,649,320 Mark eingezogen werden. Begründet wird der Antrag durch den Hinweis auf die geringe Be liebtheit der zu reduzirendeu Markscheine, die in der Regel alsbald nach der Verausgabung wieder zu den Kassen zurückzuströmen pflegen. Die dagegen auszugebenden Reichskassenscheine von 50 Mark würden im Gegentheil beim Publikuin um so willkommenere Aufnahme finden, als das künftig für diese Scheine zur Anwendung kommende Pflanzenfaserpapier einen wirksamen Schutz gegen Fälschungen bietet. Die Vorarbeiten für die Herstellung der Scheine aus solchem Papier sind, wie officiös geschrieben wird, soweit vorgeschritten, daß dem nächst mit der Ausfertigung solcher Scheine und zwar zunächst zu 50 Mark begonnen werden kann. Karlsruhe, 8. Juni. Die allgemeine deutsche Lehrerversamm lung faßte heute folgende Resolutionen: 1) Die Bildung des Charak ters im Kinde ist eine Hauptaufgabe der eigentlichen Schulthütigkeit. 2) Der Erzieher bedarf einer gründlichen logisch-psychischen Durch bildung. 3) Logik und Psychologie müssen deshalb im Lehrplan des Seminars gebührend berücksichtigt werden. 4) Es ist eine pädago gische, methodische und nationale Forderung, daß in der deutschen Volksschule von den Lehrern nur in hochdeutscher Sprache unter richtet werde. Ungarn. In Paks und Umgegend wurden „zwei neue Gold gruben" entdeckt. Von Seite der Behörden wurden bereits Maß nahmen getroffen, um die Ausbeutung zu beginnen. Frankreich. Die Bonapartisten fangen sich jetzt an zu regen. Prinz Napoleon wird nächstens ein Manifest veröffentlichen, in wel chem er alle Bonapartisten bei den nächsten Wahlen unter seine Fahne rufen will. Rußland. Das Kriegsgericht verurtheilte die Hauptgustifter der letzten Judenhetze, und zwar einen zu 20, einen zu 15, eine» zu 10, eine» zu 6 Jahren Zwangsarbeit, 2 zur Verbanuung nach Si birien, 3 erhielten Gefängniß mit Milderungsgründen. Das Urtheil wurde dem Generalgouverneur Drenteleu zugestellt. Serbien. Es erhält sich die Nachricht, daß Fürst Milan von Serbien die Reise an die europäischen Höfe unternommen habe, um dieselben wegen der Erhebung Serbiens zum Königreiche zu son- diren. Die österreichische Negierung soll ihre Zustimmung zurKünigs- Proklamirung gegeben haben. Auch in Berlin dürfte dem Wunsche des Fürsten nichts in den Weg gelegt werden. Was das Brod theuer macht — das ist nicht der mäßige, von oppositioneller Seite so grimmig befehdete Kornzoll, sondern der überflüssige Zwischenhandel und der Wucher. Deutschland erzeugt bekanntlich nicht so viel Getreide als es verzehrt. Etwa der zehnte Theil unseres Bedarfes muß durch Einfuhr gedeckt und verzollt werden. Was will aber, so führen die „Dresdn. Nachr." treffend aus, dieser winzige Zoll sagen, gegen den Tribut, den völlig unkontrolirt, der Getreidewucher dem Volke auf legt? Bis zum 1. Oktober 1879 hatte man den Preis des Roggens auf 140 Mk. pro 1000 Kilogramm gebracht. Das galt schon als etwas Außergewöhnliches nnd mau erwartet in Anbetracht der guten Ernteergebnisse eine beträchtliche Preisermäßigung. Man hatte aber die Rechnung ohne die Berliner jüdischen Kornmucherer gemacht. Für den Getrcidepreis in Deutschland ist nun einmal die Berliner Börse der maßgebende Centralpunkt. Hier aber dominirt der Korn wucher, der sich von dem soliden Getreidegeschäst ebenso genau unter-