Volltext Seite (XML)
Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donnerstag und Sonnabend (Vormittag). AbonnementsprciS beträgt vierteljährlich l Mark SO Pf. priemnueranäo. Anzeiger für Inserate werden bis spätestens Mittags des vorhergehenden Tages des Erscheinens erbeten und die Corpusspaltenzeile mit 10 Pf., unter „Eingesandt" mit 20 Pf. berechnet. Zwönitz und Umgegend. Amtsblatt für den Stadtgemeinderath, den Kirchen- und Schulvorstand zu Zwönitz. Verantwortlicher Nedacteur: Bernhard Ott in Zwönitz. 127. Sonnabend, den I. November 1879. 4. Jahrg. Die Vagalmn-ennsch. Ueberall in großen und kleinen Städten wie auf dem vlatten Lande hört man laute Klagen über das Ueberhandnehmen der soge nannten „reisenden Handwerksburschen" und wenn über diesen Noth stand in der Presse auch Manches geschrieben ist, so glauben wir doch das Interesse unserer Leser für uns zu haben, wenn wir etwas näher auf diesen Gegenstand eingehen, um so mehr als er eine große sittliche und nationale Gefahr in sich birgt. Die Landstreicher, welche sich heute in jedem Hause als „arme Reisende" vorstellen und um einen Zehrpfennig bitten, sind durchaus nicht zu verwechseln mit den früheren wandernden Gesellen, welche nach vollbrachter Lehrzeit in die Welt hinauszogen, um sich in ihrem Handwerk auszubilden, um Land und Leute kennen zu lernen, damit sie später als selbstständige Meister mit ihren Kenntnissen und Er- fahrungen der menschlichen Gesellschaft von Nutzen, ja eine Haupt stütze sein konnten. Der heutige Landstreicher oder Vagabund ist ohne festen Beruf und ohne Wohnsitz. Wir erkennen ihn leicht an seinen erdfarbenen Kleidern, durchlöcherten Schuhen und meist mangeln der Wäsche; sein ganzes Reisegepäck besteht aus einem Stock. So wandert er von Ort zu Ort, nur im Winter in den Herbergen über nachtend, während er in den milden Jahreszeiten bei „Mutter Grün" Quartier nimmt. Zu dem geschilderten Kostüm kommt bei älteren Vagabunden das bärtige, finstere Gesicht, welches sein unheimliches Aeußere vervollständigt. Wie aber ist sein Inneres beschaffen? Das Herz ist meist verschlossen allen edleren Regungen, es hat keine Liebe, nur Haß gegen die Besitzenden, es glaubt an keine gött liche noch weltliche Autorität, es klopft nur höher beim Klange des Geldes, denn dieses ist ihm das Mittel, sich Branntwein zu kaufen, und andere unlautere Begierden befriedigen zu können. Sehen wir jetzt etwas näher zu, wie der Vagabund entsteht. Da das übermäßige Vagabundiren seit dem Jahre 1870 datirt, wird häufig angenommen, der Krieg sei die Ursache desselben. Dies ist indessen nicht der Fall. Eher schon läßt sich dieselbe in der Arbeits- und Verdienstlosigkeit suchen. Es giebt viele Beispiele, vor nehmlich in großen Städten, wo junge Männer ans selbst anständigen und gebildeten Familien durch maucherlei Schicksalsschläge um ihre Brodstelle gekommen sind, trotz aller Anstrengung, trotz aller Hoff nung wieder in Arbeit und Verdienst zu kommen, geschieht dieses nicht, sie müssen ihre Sachen verpfänden, die gemiethete Wohnung räumen, um in die Schlafstelle zu ziehen, und werden entgegengeführt dem Spiel, dem Trunk, endlich dem Bettel und selbst dem Diebstahl. Die Arbeits- und Verdienstlosigkeit ist indessen auch nicht die volle Ursache der Vagabundage, da in der Landwirthschaft in vielen Gegenden über Mangel an Arbeitskräften geklagt wird, und bei Bahn- und anderen Bauten häufig Italiener beschäftigt werden; ein Zeichen, daß Arbeiter immer noch gesucht werden. Das Vagabundenthum ist ein Produkt unserer ungesunden Verhältnisse, nicht nur der gewerblichen und socialen, sondern vor Allem der sittlichen und religiösen. Kain war der erste Vagabund, der von Vater und Mutter ge trennt, von Gott entfremdet, unstät umherwanderte. Die Entfremd ung von Gott, das Schwinden des Glaubens, das Abläugnen gött licher Wahrheiten, sowie die allgemeine fieberhafte Sucht ohne Mühe sich Erwerb und Genuß zu verschaffen, sie haben das heutige Vaga bundenthum geschaffen und führen ihm immer neue Nahrung zu. Früher ivurde das einzelne Individuum, wenn es seinen inneren Halt verloren hatte, geschützt und getragen von Gemeinde und Zunft, von Heimath und Familie. Für Altar und Herd kämpften die Alten in glühender Begeisterung. Heute will man den Altar nicht mehr kennen und tausende von Familien haben gar keinen eigenen Herd. Beispielsweise waren 1875 in Berlin von 1000 Wohnungen 231 ohne Küche, und 10,000 Menschen leben dort, die nicht einmal mehr einen heizbaren Raum haben. Soll's ihnen im eigenen Heim noch wohl werden können? Von Jugend an träumt der Mensch von Glück, welches er früher durch ernste Arbeit erringen wollte, heute aber durch Zufall erlangen will. Dies ist die Ursache von dem ungeheueren Zuzug der Landbewohner in die großen Städte, in denen sie das Glück zu finden hoffen, in denen ihnen aber die scheußlichsten Laster entgegengetreten, sie zum Leichtsinn verführen und endlich, wenn das ersehnte Glück nicht kommen will, den Händen der Socialdemokratie überliefern. Daß dieser Mißstand eine große Anzahl von Rekruten für die Vaga bundage stellt, ist gewiß klar. Das Gesetz aber schützt das Vaga- bundiren, der Preßzwang ist abgeschafft, Wanderbücher sind nicht mehr nöthig, die Freizügigkeit ist eingeführt. Durch statistische Untersuchungen ist festgestellt, daß die Zahl der Vagabunden in Deutschland ca. 100,000 beträgt, welche an Almosen von dem deutschen Publikum ca. 36,500,000 Mark jährlich erhalten, nicht gerechnet die Gaben an Lebensmitteln und Kleidern. Diesen Zahlen gegenüber wird man darauf sinnen müssen, wie diesem Uebel abzuhelfen ist. Das Geben der Almosen als ein Act christlicher Nächstenliebe ist gewiß zu loben, wenn es auch im großen Ganzen nur das Vaga bundiren zu einem einträglichen Geschäft macht. Nicht selten er bettelten solche arme Reisende 3 bis 4, ja 5 Mark den Tag. Das Uebel muß an der Wurzel angefaßt werden. Die Gesetz gebung müßte das Fortgehen aus der Heimath erschweren, die Heim kehr erleichtern. Durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz verlieren täglich Tausende ihren Unterstützungswohnsitz. Wie schwer aber kann der Vagabund einen anderen finden, da er in seinem un« säubern Aufzuge nur selten Arbeit bekommt, und dann meistens nur zur Aushülfe, weßhalb ihm die Aussicht, sich durch zweijährigen Auf enthalt in einer Gemeinde den Unterstützungswohnsitz zu erwerben, täglich mehr schwindet, er dazu verdainmt ist, bis an sein trauriges Ende heimathlos herumzuirren. Eine Revision des bezügl. Gesetzes würde dem Vagabundiren sicher viel Abbruch thun. Wanderbücher für Handwerker nicht nur, sondern auch für Tagelöhner müssen einge führt werden. Die Hauptsache ist indessen eine christliche Kindererziehung, Gründung von Sonntagsschulen, Jünglingsvereinen und Herbergen zur Heimath, Abschaffung der Sonntagsarbeit, Beschränkung der öffentlichen Lustbarkeiten und der Schankwirthschaften. Tagesgcschichte. Deutschland. In dem am Freitag Abend abgehaltenen Minister- rathe war der Entwurf der Thronrede festgestellt worden. Daß in derselben die neuesten Vorgänge auf dem Gebiete der allgemeinen Politik nicht berührt sind, ist daraus zu erklären, daß schon seit Gründung des Norddeutschen Bundes grundsätzlich daran festgehalten wird, die auswärtige Politik, als eine'Sache des Reiches, nicht zum Gegenstand der Mittheilungen in den preußischen Thronreden zu machen. Und daß die gegenwärtig in der Oeffentlichkeit allerdings viel erörterten Fragen über Kirche und Schule unberührt gelassen worden, hat seinen triftigen Grund in der Thatsache, daß im Augen blick weder auf kirchenpolitischem Gebiete, noch in Bezug auf Schul fragen ein legislatorisches Vorgehen in Aussicht steht. Somit blieben der Thronrede als wesentlichster Gegenstand der Erörterung die drei großen Aufgaben der Session: die Wetterführung der Finanzreform, auf Grundlage der im Reiche angebahnten Reform, die Eisenbahn frage und die Weiterführung der Verwaltungsreform. Neben diesen drei großen Aufgaben trat dann noch eine Anzahl kleiner hinzu: die Wiedervorlage des Kommunalsteuergesetzes, die Jagdordnung,