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193, 21. August 1899. Nichtamtlicher Teil. 5953 Handlung von Konrad Häbler über das Buch im besonderen und die Pilgcrrciscn der Deutschen nach Santjago de Compostela im allgemeinen voran. Wir können hier auf die kulturgeschichtliche Bedeutung des Buches nicht näher eingehen, sondern müssen uns auf das biblio graphisch Bemerkenswerte desselben beschränken; nur für das all gemeine Verständnis sei eine Vorbemerkung gestattet. Man hat es bei dem Pilqerbuch mit einem alten Bädcker zu thun, zum praktischen Gebrauch derjenigen bestimmt, die eine Pilgerfahrt nach dem berühmten spanischen Wallfahrtsort Santjago de Compostela zu unternehmen beabsichtigten. In der Nähe der Ruinen der alten Römerstadt Jria Flavia an der Mün dung des heutigen Flüßchens Ulla an der Nordwestküste von Spanien hatten um das Jahr 800, so erzählt die Legende, Ein wohner der umliegenden Dörfer eigentümliche Lichterscheinungen nnd wunderbare Musik wahrgenommen. Der damalige Bischof Theodemio habe daraufhin in den Ueberresten der alten, von den Sarazenen zerstörten Kirche Nachgrabungen veranstalten lassen, deren Ergebnis ein wohlerhaltener Altar und die Grabmäler des hl. Jakobus und seiner beiden Schüler Theodorus und Athanasius gewesen seien. Wie die Identifizierung vor sich gegangen sein mag, wissen wir nicht; höchst wahrscheinlich hat der hl. Jakobus weder jemals das spanische Land betreten, noch ist er dort be graben worden; genug, der Ort der Auffindung wurde in der Folge der berühmteste und besuchteste Wallfahrtsort der iberischen Halbinsel, und der Heilige, dem schon die Kreuzfahrer auf dem Seeweg nach Palästina ihre Verehrung darzubringen pflegten, ist noch heute der Schutzpatron des Landes. Sehr früh gab es schon einen bestimmten Weg von den Pyre näen nach Santjago, die sogenannte Jakobsstraße, die mit Brücken ausgestattet war und an der sich Asyle und Hospitäler für die Bedürfnisse der Pilger erhoben. Nachdem der Ruf des Ortes sich auch in entlegnere Länder verbreitet hatte, kamen zu Ende des 1l. Jahrhunderts die ersten Pilger aus Deutschland über die Pyrenäen. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts müssen diese Wall fahrten recht zahlreich gewesen sein, denn aus dieser Zeit sind uns mehrere Pilgerbücher erhalten, die eine genaue Beschreibung der St. Jakobsstraße bringen. Als Vorgänger hatten sie schon mehrere Jahrhunderte lang ein reich mit künstlerischen Miniaturen aus gestattetes Buch, in dem die Geschichte des Heiligtums ausführlich beschrieben wird und das der vlamländische Pilger Aymeric Picaud schenkte. Es stammt aus dem Jahre 1140 und ist in vier Bücher eingeteilt, dessen letztes 1882 von den? Jesuiten k. Fiel Fita auf gefunden worden ist. Von den gedruckten deutschen Pilgerbüchern ist die älteste Ausgabe die von Heitz reproduzierte, das Buch des Hermann Künig von Vach, eines Mönches des Servitenordens, dessen Heimatsort sich wegen der verschiedenen oberdeutschen Orte des Namens Vach nicht feststellen läßt. Das Büchlein, das 24 Seiten kleinen Oktav formats stark ist, beginnt seine Beschreibung des Weges, wie alle seine Nachfolger, jenseits der deutschen Grenze. Dieser geht zu nächst zu Unserer Lieben Frau von Einsiedeln, dann über Luzern, um den Pilatus nach Bern und von dort nach Freiburg in der Schweiz, Romont und Lausanne. Von hier führt er die Pilger nach Genf, Rumilly, Aix-les-Bains, Les Echelles und Arbons; in Antoine de Piedmont wird die von Einsicdeln 100 Meilen ent fernte Landcsgrenze zwischen Savoyen und Frankreich überschritten; der Reiseführer gelangt weiter durch das Thal der Jssre nach Va- lence und rhoneaufwärts zum Pont Saint Esprit und nach Nis- mes. Da die Bergpfade, auf denen man dorthin gelangt, schlecht sind, so rät der Verfasser, sich vorher die Schuhe flicken zu lassen. Nach Montpellier gelangt, geht der Weg weiter über Bezitzres nach Cabszac, wo die Einöde beginnt und auf acht Meilen nur ein paar ärmliche Wirtshäuser angetroffen werden. An Marseillette und Trsbes vorbei, gelangt der Pilger weiter über die Pilger straße, die später zur Anlage des Kanals du Midi benutzt worden ist, nach Toulouse, von wo das gebirgige Land dem Pilger bis St. Jean Pied-de-Port und weiter den Pyrenäenpaß aufwärts sehr beschwerlich wird. Auf seiner Höhe liegt das Kloster Ronce- valles; dann geht es abwärts nach Pampelona, dann nach Puente Reina und über Los Arcos nach Logrono, der ersten Stadt im Herrscherbereich des Königs von Kastilien. Die Pilgerstraße be rührte weiter San Domingo de la Calzada (— steile Straße), die mächtige Stadt Burgos mit 32 Pilgerherbergen, Leon, Ponferrada, Lugo, um endlich am Ziel, Santjago, anzukommen. Der Verfasser unterläßt übrigens niemals, die Sehenswürdig keiten, Unterkunftsgelegenheiten u. a. bei den einzelnen Orten, meist allerdings nur ganz kurz, zu bemerken; im übrigen ist die Wegweisung sein einziger Zweck, und die Trockenheit des Gegen standes wird noch vermehrt durch die oftmalige Wiederkehr der selben Ausdrücke. Das Buch sollte eben kein Lesebuch sein, sondern, sozusagen auf der Landstraße entstanden, auch auf der Landstraße gebraucht werden. Der Verfasser sieht sogar von einer näheren Beschreibung des Zieles seiner Reise ab, deren übrigens auch da mals schon solche von anderen Reisenden Vorgelegen haben mögen. Ziemlich summarisch schließt sich dann die Beschreibung des Rückweges über Pampelona, Bayonne und Bordeaux an. Bis vor kurzem waren von diesem St. Jago-Pilgerbuch nur zwei datierte Exemplare bekannt, von denen eines aus der Nürn berger Offizin des Jobst Gutknecht stammt und mit der Jahres zahl 1520, die andere das Erzeugnis eines unbekannten Leipziger Druckers aus dem Jahre 1521 ist. Außer diesen datierten Ausgaben waren noch drei undatierte bekannt, die aber bezüglich des Druckes nicht bestimmt werden konnten. Erst im vorigen Jahre ist es nun Konrad Häbler in Dresden gelungen, in der Berliner Königlichen Bibliothek eine Ausgabe zu entdecken, die, wenn sie auch der Angabe des Druckjahres entbehrt, doch mit Grund als die älteste angesprochen werden kann. Sie allein enthält nämlich folgendes Kolophon: Ich Hermannus künig ordens der mergenknecht <— Marien knecht; Mönch des Servitenordens) Hab gedicht diß buchelyn recht Das dan Heist sant Jacobs straß Got wolle mich nymmer gesterben laß Ich solt dan ewiglichen by im blieben Als man schryb Äoooe vnnd xov ist eß geschryben Uff den tag der Heyligen frawen sant Annen Gott wolle vns behüten vor den ewigen banden. Amen. Es steht kein Bedenken im Wege, anzunehmen, daß diese Aus gabe kurz nach dem angeführten Datum (26. Juli 1495) gedruckt worden ist und daß wir also in dieser reproduzierten die älteste Originalausgabe vor uns haben. Die Sprache läßt darauf schließen, daß sie nicht weit von Straßburg gedruckt worden ist, und aus der Aehnlichkeit der verwendeten Typen mit denjenigen des Straß burger Druckers Mathias Hupfuff, der von 1496 bis über 1500 hinaus festgestellt worden ist, schreibt Häbler den Druck dieser Offizin zu. Daß das Büchlein trotz seiner schlechten Verse eine weite Verbreitung gefunden hat, läßt sich daraus schließen, daß es bis 1521 an ganz verschiedenen Orten neu oder nachgedruckt worden ist. Die älteste Ausgabe zeigt als Titelbild einen Pilger mit Nimbus (oder soll es der hl. Jakobus sein?). Es ist auf schwarzem Grund, scheinbar von einer in Schrotmanier ausyeführtcn Metallplatte gedruckt und kehrt noch zweimal wieder, nämlich aus der zweiten und auf der letzten Seite. Die Straßburger, Nürnberger und Leipziger Ausgaben zeigen andere Titelbilder in Holzschnitt: die erstgenannte einen wandernden Pilger, die zweite einen Wallfahrer, der dem Heiligen seine Verehrung darbringt, und die Leipziger von 1521 zwei sich begegnende Pilger. Die getreue Wiedergabe des seltenen Büchleins ist jedenfalls verdienstlich, und der Sammeltitel, unter dem es als erstes Bändchen erschien, läßt auch auf fernere Gaben des eifrigen In habers der Straßburger Firma hoffen. —r. Kleine Mitteilungen. Nichtanmeldung des Arbeiters bei der gesetzlichen Krankenversicherung — als Betrug bestraft. (Nachdruck verboten.) — Ein der gewerblichen Innung nicht ungehöriger Arbeitgeber hatte einen bei ihm in Beschäftigung getretenen Handwerker, der bei anderen Kassen nicht versichert war, im aus drücklichen Einverständnisse mit diesem bei der allgemeinen Orts krankenkasse zunächst nicht angemeldet. Kurz vor dem Austritt des Arbeiters aus der Beschäftigung holte er dies nach, indem er aber den wahren Eintrittstag des Arbeiters verschwieg und statt dessen den Tag der nachträglichen Anmeldung als Eintrittstag auf dem Formular angab. Dieses Verhalten hat für den Arbeit geber eine Bestrafung wegen Betruges zur Folge gehabt, und obwohl der Arbeitgeber den Fall bis vor das Reichsgericht brachte, so hat die Beschreitung des Rechtsweges ihm nichts genutzt; das Reichsgericht hat das auf Betrug lautende Urteil vom 29. April 1899 bestätigt. Es sei, so heißt es in der Begründung des Urteils, in der wahrheitswidrigen Angabe eines falschen Eintrittstages, weil sie bewußterweise vom Arbeitgeber erfolgte, eine falsche Vorspiegelung gegenüber der Versicherungskaffe zu erblicken, die, hierdurch in Irrtum versetzt, die wöchentlichen Versicherungsbeiträge nicht ein ziehen konnte und um diesen Betrag in ihrem Vermögen geschädigt worden sei. Der Entgang jener wöchentlichen Beiträge von 16, bezw. 32 H sei aber der Vermögensvorteil für den Arbeitgeber ge wesen, aus den er, da ihm sein Arbeiter als versicherungspflichtig bekannt gewesen sei, bewußterweise einen Anspruch nicht gehabt habe. Dieser Thatbestand enthalte also alle subjektiven und objektiven Merkmale des Betruges. H 8l des Krankenvcrsicherungs- gesctzes, der die bloße Nichtanmeldung eines Versicherungs pflichtigen als Spezialdelikt mit einer Ordnungsstrafe bedrohe, komme in solchen Fällen nicht in Betracht, denn die mit einer Nichtanmeldung verbundene Absicht, sich gleichzeitig einen Ver mögensvorteil durch Einsparen von Kassenbeträgen zu verschaffen, 792