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muthlich nur wenige Wochen zusammenbleiben, aber die Entscheid ungen, die er in dieser kurzen Zeit zu treffen hat, sind hochwichtige und deshalb sieht man den Verhandlungen desselben mit besonderer Spannung entgegen. In erster Linie hat der Reichstag die zweiten Lesungen der Monopol-Vorlage, der Vorlage betreffend die Ab änderung des Zolltarifes und die Novelle zur Gewerbeordnung vor zunehmen, woran sich die zweite Berathung der zu einem Gesetzent würfe vereinigten Vorlagen über die Arbeiter-Unfallversicherung und die Krankenkassen schließen soll. Was indessen diesen letzteren Gegen stand anbelangt, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die Berathung hierüber abgebrochen werden wird, da sowohl die Kürze der Zeit als auch die Massenhaftigkeit des Stoffes einer Erledigung der beiden Versicherungsvorlagen noch in dieser Session Schwierigkeiten bereiten. Zur Zeit läßt sich nicht einmal absehen, wann das Kränken- und Un fallversicherungsgesetz aus dem Schooße der Commission wieder an das Plenum gelangen wird, da der Abgeordnete Lohren (freiconser- vativ) einen förmlichen Gegenentwurf zur Regierungsvorlage einge bracht hat, wodurch sich die Berathungen der Commission sehr in die Länge zu ziehen drohen. — Bezüglich der drei erstgenannten Vor lagen erregt natürlich die wahrscheinlich noch in dieser Woche statt findende Endberathung über den Tabakmonopol-Entwurf das meiste Interesse. Die zur Vorberathung dieses Entwurfes eingesetzte Com mission hat denselben bekanntlich mit großer Majorität abgelehnt und es ist anzunehmen, daß auch das Plenum des Reichstages sich in diesem Sinne entscheiden werde, immerhin darf man aber der ausschlaggebenden Debatte über diesen Gegenstand, welcher so ge raume Zeit den Mittelpunkt unserer inneren Politik gebildet hat und noch bildet, mit berechtigter Spannung entgegensehen. Der Bundesrath hat fein durch das Pfingstfest und die Theil- nahme der Mitglieder an den Gotthardtbahn-Feierlichkeiten unter brochenen Arbeiten ebenfalls wieder ausgenommen und am ver gangenen Sonnabend seine erste Plenarsitzung nach Pfingsten abge halten. Wie die „Weser-Ztg." meldet, ist in Wilhelmshafe» der Befehl eingetroffen, die Panzerfregatten „Kaiser" und „Deutschland", die gedeckte Corvette „Bismarck", sowie sämmtliche dort liegende Panzer kanonenbote in die erste Reserve zu stellen, auch sollen die Torpedo bote in Bereitschaft gesetzt werden. Berliner Zeitungen bezweifeln zwar noch diese Nachricht, aber es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß auch Deutschland Kriegsschiffe ausrttstet und sie gegebenen Falles zur Wahrung seiner Interessen gleich andern Mächten in die egyp- tischen Gewässer sendet. (Vorstehende Meldung ist inzwischen offtciös dementirt worden). In dem am Freitag vor dem Münchener Landgerichte verhan delten Socialistenprocesse wurden die Angeklagten wegen Theilnahme an verbotenen geheimen Verbindungen zu Gefängnißstrafen von 6, resp. Sl/z und 5 Monaten verurtheilt. In der auswärtigen Politik herrschen die egyptischen Angelegen heiten fast ausschließlich vor und der telegraphische Meinungsaus tausch hierüber ist zwischen den einzelnen Cabineten lebhafter als je. Derselbe bezieht sich zumeist aus die von Frankreich in Anregung gebrachte Botschafterconterenz in Constantinopel, von welcher man nunmehr die Wiederherstellung der Ordnung in Egypten erwartet. England hat sofort zustimmend geantwortet, auch Rußland und Italien sollen ihre Bereitwilligkeit erklärt haben, die Conferenz zu beschicken. Oesterreich soll auf die Einladung Frankreichs zur Conferenz erwie- dert haben, es sei geneigt, die Einladung anzunehmen, müsse sich aber, bevor es definitiv antwortete, mit den übrigen Mächten be nehmen. Bezüglich Deutschlands wird versichert, daß dasselbe durch seinen Botschafter in London dem dortigen Cabinet seine Geneigtheit in Betreff des Conferenzprojecles ausgedrückt habe. Frankreich. Die ministerielle Position des französischen Mi- nistcrpräsidenten Freyeinet hat durch die Verhandlungen der Depu- tirten-Kammer über seine egyptische Politik am Donnerstag eine ent schiedene Kräftigung erfahren. Mit 298 gegen 70 Stimmen nahm die Kammer schließlich die von dem Depntirten Carnot beantragte Tagesordnung an, wonach die Kammer ihr Vertrauen auf die Re gierung erklärt und wenn auch ein Theil der Abgeordneten der äußersten Rechten sowohl wie der äußersten Linken sich hierbei der Abstimmung enthielt, so ist trotzdem das von der Kammer Herrn Freyeinet ertheilte Vertrauensvotum als ein durchaus beachtens- werther Erfolg des gegenwärtigen französischen Cabinets zu betrachten. Dieser Erfolg Freycinet's bedeutet aber gleichzeitig eine empfindtiche Niederlage Gambetta's, denn von diezem ging der Angriff auf das Ministerium aus und die nachdrückliche Zurückweisung, welche dieser Angriff von Seiten Freycinet's erfuhr, sowie der lebbafte Beifall, welcher die Ausführungen Freycinet's begleitete, waren eine empfind liche Demüthigung für den Ex-Diktator. Die Kammer widerstrebt eben entschieden der abenteuerlichen Politik Gambetta's und diese Wahrnehmung kann jeden Freund des europäischen Friedens nur mit Genugthunng erfüllen. England. In beiden Häusern des englischen Parlaments bildeten am Donnerstag die egyptischen Angelegenheiten den Mittel punkt der Debatten. Im Oberhause machte der Unterstaatssecretär im Auswärtigen Amte, Dilke, Nir. Dilke, Mittheilung von dem Con- ferenzvorjchlage Frankreichs, dem die englische Regierung zugestimmt habe, auch erklärte Dilke hierbei, daß in den Ansichten Englands und Frankreichs bezüglich der egyptischen Frage nach wie vor völlige Uebereinstimmung herrsche. Im Unterhanse beleuchtete der Staats sekretär des Auswärtigen, Lord Granville, die Lage in Egypten und bequemte sich zu dem Zugeständniß, daß dieselbe ziemlich kritisch sei. Zugleich versicherte Granville, daß die englische Regierung den jetzigen Vicekönig von Egypten unterstützen werde, doch Näheres über die eigentlichen Absichten Englands bezüglich der egyptischen Bewegung war von Granville nicht zu erfahren. Rußland. Die Gerüchte über den bevorstehenden Rücktritt des rnssischen Ministers des Innern, Grafen Jgnatieff, erhalten sich mit einer eigenthümlichen Hartnäckigkeit., Sie haben sogar noch dadurch eine Verstärkung erhalten, daß der Gehülfe Jgnatieff's, Gotowzeff, seinen Abschied eingereicht hat. Trotzdem muß man diese Gerüchte mit größter Reserve aufnehmen, da Jgnatieff vorläufig noch immer fest in der Gunst des Czaren steht. — Das westsibirische General gouvernement ist aufgehoben und statt dessen die Bildung eines Steppengouvernements angeordnet worden, das die Gebiete von Ak- molinsk, Ssemigpalatiysk und Ssemiretschinsk umfaßt. Egypten. Die in Sicht stehende Botschofterconferenz zu Con stantinopel beherrscht augenblicklich das Feld der egyptischen Ange legenheiten. Die mannigfachsten Vermuthungen werden bereits an dieses noch gar nicht in's Leben getretene Projekt geknüpft, aber es ist kein Grund vorhanden, allzugroße Hoffnungen auf diese Berath ungen der Botschafter zu bauen, denn wenn die englisch-französische Panzerflotte nicht im Stande war, Egypten der Ordnung wiederzu geben, so wird dies der projectirte Meinungsaustausch der Herren Diplomaten in Constantinopel noch weniger thun. Inzwischen hat sich die Lage in Kairo nicht geändert, das neue Cabinet ist noch immer nicht gebildet und Arabi Pascha spielt den unumschränkten Gebieter, während der Khedive Tewsik Pascha in seinem Palais einem Gefangenen gleich bewacht wird. — Aus gewissen Vorkehrungen der türkischen Regierung zur See schließt man, daß die türkische Flotte im Begriff stehe, nach Alexandrien auszulaufen. / Was die Liebe vermag. Roman von Ed. Wagner. (Fortsetzung.) Einen Augenblick noch sah das junge Mädchen, wie in süßes Träumen versunken, in das edle, schöne Antlitz ihrer Mutter; dann aber plötzlich begegnete ihr Auge dem zärtlichen, innigen Blick, der aus den tiefblauen Augen der Lady leuchtete, und Valerie war es, als ob ein holder Zauber sie gefangen nehme. Die ganze Sehnsucht eines Mutterherzens nach dem geliebten Kinde lag in diesem einen Blick, der das Herz des jungen Mädchens mit der Allgewalt der reinsten Kindesliebe schlagen machte. Das war ihre Mutter, nach der sie sich so oft und so schmerzlich gesehnt; und nun stand sie vor ihr, strahlend in Schönheit lind das Antlitz verklärt von Glück, das verloren geglaubte Kind wiedergesunden zu haben. Nur wenige Sekunden überwältigten diese Regungen Valerie; dann aber breitete sie die Arine aus und sich an die Brust der Lady werfend und ihr Haupt an deren Schulter lehnend, rief sie mit von Freudenthränen fast erstickter Stimme aus: „Meine Mutter! Ja, ich bin Dein Kind, das sich nach Dir und Deiner Liebe sehnt! Endlich habe ich Dich gefunden, um Dich nie wieder zu lassen, meine Mutter, meine theure, geliebte Mutter!" Lady Nomvndale führte ihre Tochter zu einem Sopha und ließ ihre Blicke entzückt auf Valeriens Gestalt ruhen. „Du bist in Trauer?" fragte die Lady nach einer kurzen Parise plötzlich besorgt. „Starb Jemand auf der Farm?" „Nein, Mutter; aber die Dame, bet der ich als Gesellschafterin war, ist vor Kurzem gestorben." „Sie ist todl? So stehst Du wieder allein in der Welt?" „Nein, Mutter," erwiderte Valerie; „ich bin weder allein noch unbeschützt. Miß Winham hat mir nämlich zehntausend Pfund hinter lassen und so habe ich für mein ganzes Leben eine jährliche Rente von vierhundert Pfund. Ist das nicht herrlich?" Diese in Valeriens Augen so bedeutende Summe war in den Augen der Lady nur eine Kleinigkeit im Verhältuiß zu dem, was dieselbe von Mrs. Fulgor geerbt und was sie von ihrem Gemahl als Margengabe erhalten hatte. „Dieses Vermögen hat doppelten Werth für mich," fuhr Valerie fort, „weil es mich unausgesetzt an meine Woblthäterin erinnern wird; auch um Deinetwillen preise ich den glücklichen Zufall, der mir das Vermögen zufallen ließ. Aber nun mußt Du sogleich Deine Stelle aufgeben, denn Du sollst Dich nicht länger quälen. Wir werden uns ein schlichtes Heim gründen, wo Du die Herrschaft führen wirst und ich werde Dir eine liebevolle Tochter und das glücklichste Mädchen in England sein." Dieses friedliche Bild war verführerisch schön für Lady Nomon- dale. Sie wußte kaum, wie sie die so bald bevorstehende Trennung von ihrer miedergefundenen Tochter würde ertragen können. „Erzähle mir von Deiner Kindheit, Valerie," sprach sie nack- wenigen Augenblicken des Stillschweigens, „ich habe ja leider keinen Platz in Deinen frohen Erinnerungen aus Deiner Kindheit. Ach,