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gelten die auf die Aristokratie der ackerbautreibenden Südstaaten ge stützten Demokraten von Alters her für Freihändler, während der industriöse Norden den Zollschutz auf die republikanische Fahne ge schrieben hat. Obgleich nun die seit zwanzig Jahren aus den Aemtern verdrängte Demokratie das Terrain zu genau gekannt hatte, um mit ihren freihändlerischen Tendenzen offen herauszurücken, und obgleich den von nordischen Glücksrittern vielfach mißhandelten südstaatlichen Elementen zu wesentlich an der Wiederherstellung ihres politischen Einflusses gelegen war, als daß dieselben nicht zu Opfern auf wirth- schaftlichem Gebiete bereit gewesen wären, ist es den Republikanern gelungen, die städtischen Wählermassen mit dem Schreckbilde einer Vernichtung der einheimischen Industrie zu Gunsten europäischer Ein fuhren zu ängstigen und dadurch zahlreiche schwankende Elemente auf ihre Seite zu ziehen. Weil der demokratische Candidat, General Hancock, das Pragramm mit unterschrieben hatte, nach welchem der künftige Zolltarif allein nach finanziellen Rücksichten geregelt werden sollte, wurde er für einen einrangirten Freihändler ausgeschrieen und dadurch im Norden unmöglich gemacht. Jenseit des Oceans hat der Protectionismus zu tiefe und zu feste Wurzeln geschlagen, als daß von einem demokratischen Wahl siege wesentliche Veränderungen des nordamerikanischen Zoll- und Wirthschaftssystems hätten erwartet werden können. Vom Stand punkte der deutschen und europäischen Wirthschaftsinteressen erscheint darum ziemlich gleichgültig, welche der beiden großen amerikanischen Parteien die Zügel führt. Ob es der Union selbst zum Vortheil gereichen wird, daß eine und die nämliche Partei ein Vierteljahr hundert alle Kräfte zu ihrer Verfügung behält, erscheint dagegen höchst fraglich, — um so fraglicher, als die Selbstsucht, Rücksichts losigkeit und Corruption der Republikaner sich weit über das landes übliche Maß hinaus gesteigert hat, seit dieselben fast ein halbes Menschenalter lang in der Lage gewesen sind, den demokratischen Süden wie eine eroberte Provinz behandeln und ausbeuten zu können und mit Hilfe der stimmfähig gemachten Negermassen den Einfluß der herrschenden Klaffen dieser Landschaften zu vernichten. Daß die heutigen Besiegten dreißig Jahre lang fast ununterbrochen geherrscht und während dieser Zeit durch Uebermuth und Rücksichtslosigkeit die vorhandenen Gegensätze g-näbrt und schließlich auf die Spitze ge trieben hatten, ist bekanntlich der Hauptgrund zu ihrem jähen Sturz und zu dem furchtbaren Bruderkriege gewesen, der die alte ameri kanische Ordnung der Dinge aus ihren Fugen rückte. Der seitdem an das Ruder gelangten Partei der damaligen Minderheit scheint eine gleich lange Herrschaftsdauer und das gleiche Geschick der eigenen Discreditirung durch Mißbrauch ihrer Macht vorbehalten zu sein. Haben ähnliche Ursachen auch nicht immer ähnliche Wirkungen, so liegt doch die Erwägung nahe, daß auch diese einseitige Partei- Herrschaft, vermöge ihrer langen Dauer dem Staate und den Staats angehörigen verderbliche Wirkungen zurücklassen werde. Tagesgeschichte. Deutschland. Wie es den Anschein hat, werden die Freund schaftsbeziehungen zu unserem Bundesgenossen Oesterreich-Ungarn sich in Bälde durch ein Band des Friedens, den Handelsvertrag, noch fester knüpfen. Die Angelegenheit kam in dem ungarischen Abgeord netenhause zur Sprache, bei welcher Gelegenheit der Negierungsver treter sich dahin äußerte, daß schon im Frühjahr die deutsche Re gierung vertrauliche Vorschläge gemacht habe. Er könne darüber so viel mittheilen, daß, wenn die im Zuge befindlichen bezüglichen Ver handlungen der Fachminister beider Theile der Monarchie bis zum Schluffe des Jahres zu einem Resultat führen würden, die Unter handlungen niit Deutschland schon im nächsten Frühjahr wieder aus genommen werden könnten. Die zwischen den beiden Nachbarstaaten bestehende innige politische Freundschaft könne nicht ohne Wirkung auf die Gestaltung auch der volkswirthschaftlichen Beziehungen bleiben. Oesterreich-Ungarn. Der bevorstehende Parteitag in Wien beschäftigt das Interesse bereits in höherem Maße als die zu Ende gehende Delegationssession, in welcher die Verfassungspartei der Ab geordnetendelegation kürzlich das letzte schon zum vornhineiu ver lorene Treffen um die Befestigungsfrage lieferte, nachdem ihre Er sparungsanträge im ordentlichen Kriegsetat bereits abgelehnt sind. Die Frage, ob es gut sei, eine verlorene Position zu halten, kommt nicht mehr ins Spiel, nachdem die Kriegsverwaltnng sich ans eine Verständigung ein für alle mal nicht hat einlassen wollen; jetzt han delt es sich für die Abgeordneten der Verfassnngspartei nur mehr darum, ihren Standpunkt vor dein Lande zn begründen. Damit ist die Opposition am Ende ihre Ausgabe. Vor dem Schlimmsten, das ihr eine Zeit lang drohte, ist sie ohnedies bewahrt worden. Dank der jUnbeugsamkert des Grafen Bylandt, daß nämlich mit einem Kompromiß die Differenzen im liberalen Lager bezüglich der aus wärtigen Politik sich gerade angesichts der allgemeinen Parteikund gebung von neuem zu einer Spaltung herausgewachsen hätten. Von dieser Seite droht der Versammlung im Sofiensaale, wenn sie nur Halbwegs mit Geschick geleitet wird, vorläufig keine Gefahr mehr. Frankreich. Der Ministerkrisis in Frankreich ist durch das Vertrauensvotum, daß Ferry zu Theil geworden ist, beseitigt. Gleich wohl zählt jene Sitzung, in der Ferry den Sieg über Gambetta davontrug, zu den denkwürdigsten, die je in einein Parlament vor gekommen sind. Der Anfang der Kammersitznna wurde durch eins Skandalscene unglaublichster Art gestört. Der legitimistische Depu- tirte Baudry d'Asson war wegen Beleidigung der Regierung, welche er auf der Tribüne ein Gouvernement von Einbrechern genannt hatte, der zeitweiligen Ausschließung und der Censur verfallen. Trotz dem erschien er auf seinem Platz. Gambetta's Aufforderung an ihn, den Saal zu verlassen, war fruchtlos. Baudry will rede», Gambettc. verweigert ihm das Wort, gestattet jedoch einein Freunde desselben, Bourgeois, statt seiner zu reden. Gambetta hebt darauf die Sitzung für eine halbe Stande auf, die Tribüne zuvor vor jeder Manifestation warnend. Alle Republikaner verlassen den Saal, die Bonapartisten desgleichen, etwa vierzig Legitimisten schaaren sich dicht um Baudry, welcher nur der Gewalt weichen zu wollen erklärt. Drei Ouästoren, begleitet von zwei Wachen, fordern Baudry auf, sich zurückzuziehen. Derselbe ist in furchtbarer Aufregung, ruft lärmend das Publikum zum Zeugen an und weigert sich standhaft. Die Rechte tobt und gesticulirt. Eine Compagnie des ersten Infanterie-Regiments unter Oberst Rui erscheint im Saal, räumt die Tribünen nnd nähert sics Baudry, der, unterstützt von seinen Freunden, faktischen Widerstand leistet. Scenen unglaublichsten Skandals folgen. Endlich nach zehl Minuten directer Prügelei gelingt es Rui, welchen! Baudry ein« Epaulette im Kampfe abgerissen, den wuthschäumenden Deputirten zu packen, mit Hilfe der Soldaten aus den Sitzungssaal hinauszu schleppen und in das eigens für widerspenstige Deputirte installirte Gefängniß im Palais Bourbon abzuführen. Die Aufregung, das Schreien, die Drohungen und das Toben auf der Rechten und ent sprechend auf der Linken spotten jeglicher Beschreibung. Aehnliches hat noch nie ein Parlament gesehen. Italien. Der Kardinal Jacobini hatte am 11. d. M. mit dem Papste eine Unterredung wegen Feststellung des politischen Pro gramms der Kurie. Allgemein wird versichert, daß er dabei die Wendung zum Frieden vertreten wolle. Die „Aurora" bringt eine Lobrede auf die bisherige Politik des Papstes, womit sie offenbar den Zweck verfolgt, Jacobini's Richtung entgegenzuwirken. Rußland. Nach dem Urtheilsspruch des Militär-Kreisgerichts sind fünf der Angeklagten, nämlich Kwiatkowsky, Schiriajeff, Tichonoff, Okladsky und Preßnjakoff, unter Verlust aller Standesrechte zum Tode durch den Strang, und die übrigen II Angeklagten, darunter drei Frauen, unter Verlust aller Standesrechte zu Zwangsarbeit von 15jähriger bis zu lebenslänglicher Dauer verurtheilt worden. Zugleich beschloß der Gerichtshof, diesen Urtheilsspruch dein Gehilfen des Chefs des Petersburger Militärbezirks behufs Milderung des Strafmaßes zu unterbreiten mit dem Ersuchen, daß in Betreff des Angeklagten Zuckermann und der Iwanowa die 15jährige Zwangs arbeit durch eine solche von 8 resp. 5 Jahren und in Betreff der beiden anderen Frauen Figner und Griasnowa, sowie der Angeklagten Bulitsch und Drigo die 15jährige Zwangsarbeit durch Verschickung nach Sibirien zum Zweck der Ansiedlung ersetzt werden möchte. Lokales und Sächsisches. Zwönitz. Die am I. December stattfindende Volkszählung macht auch hier manuichsache Vorbereitungen nölhig. Dem Vernehmen nach wird die Stadt in 17 Zählbezirke eingetheilt und sind die hierzu erforderlichen Zähler bereits bestellt. — Die kaiserliche Oberpostdirection macht zur Beseitigung von Zweifeln in einer Verfügung an sämmtliche kaiserliche Verkehrsan stalten bekannt, daß von den im Umlauf befindlichen Einthalerstücken gegenwärtig nur die preußischen Thaler aus den Jahren 1750 bis 1822 zur Einziehung gelangen. Dagegen sind sämmtliche Einthaler- stücke deutschen Gepräges, ferner sämmtliche preußische Einthalerstücke aus den Jahren von 1823 ab, und die in Oesterreich bis zum Schluß des Jahres 1867 ausgeprägten Vereinsthaler noch ferner umlanfs- fähig und daher nicht anzuhalten. Dieselben sind vielmehr, wie sie unbeschränkt in Zahlung genommen werden müssen, eben so unbe schränkt bei den zu leistenden Auszahlungen, z. B. im Postanweis ungsverkehr, bei Zahlung von Gehältern und Vergütungen, bei Be richtigung von Rechnungen von Lieferern und Handwerkern u. s. w. zu verwenden. In Chemnitz ist für Ostern 1881 die Anstellung einer Anzahl Hilfslehrer mit je einem Jahresgehalt von 1350 Mark in Aussicht genommen. Gesuche niit Zeugnissen sind bis zum 21. d. M. an den Stadtrath daselbst zu richten. In Hartenstein begrub man am 10. d. M. einen über 90 Jahre alten Veteran, Namens Richtsteiger, welcher an den Kriegen in den Jahren 1812 und 1813 thätigen Antheil genommen. Eine große Menschenmenge, unter welcher sich auch der dortige Gesang verein befand, welcher am Grabe sang, begleitete diesen alten, mackeren Ehrenmann zu seiner letzten Ruhestätte. Schwarzenberg. Ein recht betrübender Vorfall, welcher ein düsteres Bild auf die jetzige Kindereiziehung wirft, bildet das hiesige Tagesgespräch. Unter Entwickelung staunenerregender Gewandtheit ist vor einiger Zeit von zwei zwölfjährigen Selektenschülern ein .namhafter Gelddiebstahl verübt worden. Nach Theilung der Diebes-