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Bertha klagte dem Geliebten ihr Leid. Sie sagte, wie druckend es ihr sei, sich in beständiger Abhängigkeit von Personen befinden zu müssen, die ihr nicht mohlmollten und sie wollte Gott danken, wenn sie erst einmal einen eigenen, wenn auch noch so bescheidenen Heerd habe. Der junge Kaufmann mar nicht in der Lage, eine Frau zu er nähren. Als aber Bertha, die nur befehlen, nicht aber gehorchen wollte und deren Stellung dadurch täglich unhaltbarer wurde, mehr und mehr in den Geliebten drang, ihr ein Heim zu bereiten, kain dieser auf die Idee, nach Amerika auszuwandern Bertha war an fangs nicht so recht mit diesen Plane einverstanden. Als ihr aber der Geliebte einredete, daß Amerika das Land aller hochstrebenden und intelligenten Menschen sei, willigte sie bei solch' verlockenden glänzenden Aussichten in seinen Vorschlag ein und sie war bald nur von dem einen Gedanken erfüllt, sobald als irgend möglich an der Seite des Geliebten drüben über dem Ocean ein herrliches, unab hängiges und sorgenloses Leben zu beginnen. Leider machte der junge Mann keine Anstalt zur Ausführung dieses Planes, so sehr ihn auch Bertha dazu drängte, — ihm fehlte das Geld zur Ueberfahrt. „Hätte ich zwei- bis dreihundert Thaler oder gar noch ein paar hundert Thaler mehr, so könnten wir uns schon in wenigen Tagen auf dem Schiffe und auf dem Meere befinden," sagte er einst zu ihr. „Wer aber sollte mir eine solche Summe verschaffen?" Der Erzähler machte eine kleine Pause. Blanka's Ruhe mar längst gewichen. Schon bei dem Beginn der vermeintlichen Erzäh lung hatte sie aufmerksam den Kopf erhoben. Jemehr der Rath sprach, desto deutlicher malte sich das Entsetzen auf ihren Zügen. Halb von den Falten des Damastvorhanges verborgen, lehnte sie an der Fensterbrüstung lind starrte mit meitgeöffneten Augen nach dem Manne hinüber, dessen Stimme ihr als diejenige des jüngsten Ge richtes erschien. Der Rath fuhr weiter fort: „Seit dieser Stunde grübelte Bertha unausgesetzt nach, auf welche Weise sie in den Besitz des nöthigen Geldes gelangen könnte. Schließlich sah sie nur einen Ausweg. In dem Arbeitszimmer ihres Dienstherrn befand sich ein eiserner Geldschrank; sie beachtete genau, wo die Schlüssel desselben aufbc- wahrt wurden und ließ sich von ihrem Bruder genau in der Me chanik derartiger Schlösser unterrichten. Eines Tages nun, als der Steuerbeamte in geschäftlichen Ver richtungen auswärts war, wurde dessen schwächliche Frau von einem seiner Starrkrampfähnlichen Leiden befallen, von dem sie seit einer schweren Krankheit nicht selten heimgesucht wurde und bei welchem sie auf kürzere oder längere Zeit in einen besinnungslosen Zustand verfiel. Bertha sandte die Magd zum Arzt und hieß die beiden größeren Kinder, welche im Nebenzimmer ihre Schularbeiten anfer tigten, zu ihren im Garten spielenden jüngeren Geschwistern hinab gehen, um sie mährend der Abwesenheit der Magd zu beaufsichtigen. Jetzt endlich war der Augenblick gekommen, auf welchen sie sich längst schon vorbereitet und den sie mit fieberhafter Ungeduld her beigesehnt hatte. Alles war günstig, denn selbst der in dem Zimmer seines Chefs arbeitende Expedient war heute wegen eines Unwohlseins nicht anwesend. Rasch eilte das junge Mädchen in ihr Stübchen, holte einen Schlüssel, mit welchem sie das Fach eines im Wohnzim mer sich befindlichen Sekretairs öffnete. Dann nahm sie aus die sem ein kleines Schlüsselbund. Mit angehaltenem Athem und latit pochendem Herzen schlich sie sich in das Zimmer, wo der Geldschrank stand, und öffnete mit fliegender Hast den Schrank. . . Da hörte sie auf dem Kieswege des kleinen Vorgartens die Magd zurückkom men. Zu Bertha's Glück verzögerte sich das Heraufkommen dersel ben dadurch, daß sie zwei sich in der Nähe der Hausthür aufhal lende Handwertsburschen abwies, wodurch die bis zum Tode erschro ckene jugendliche Verbrecherin Zeit gewann, schnell eine kleine Brief tasche aus dem Schrank zu nehmen, denselben zu verschließen und die betreffenden Schlüssel mit Blitzesschnelle wieder an Ort und Stelle zu bringen. — Als unmittelbar darauf die Magd in das Zimmer trat, fand sie Bertha noch genau in der Stellung, wie sie diese verlassen hatte. Noch immer saß sie neben dem Sopha und hatte ihren Arm unter dem Haupte der Ohnmächtigen. „Es ist gut, daß Sie da sind," sagte das junge Mädchen zu der Magd. „Mir ist es ganz bange geworden so mutterseelenallein mit der Leblosen sein zu müssen; auch schmerzt mich mein Arm." „Das glaube ich Ihnen gern, Fräulein," hatte die Magd treu herzig erwidert; „Sie sehen ja ganz blaß aus. Man sieht es, Sie sind noch wenig bei derartigen Kranken gewesen." Blanka war dem Umsinken nahe; alle ihre Gesichtsmuskeln waren krampfhaft angespannt. „Halten Sie ein!" rie sie jetzt unbewußt mit schrillem Ton; „es ist erttsetzlich, ich mag nichts mehr hören!" Der Nath nickte befriedigt. „Sagte ich nicht, meine Gnädige, daß der Inhalt meiner klei nen Erzählung interessant und fesselnd sei?" versetzte er mit scharfer Ironie. „Doch ich bin gleich zu Ende und werde mich kurz fassen." „Am andern Tage war unerwartet Kassenrevision, — es erwies sich ein Deficit von gegen tausend Thalern, — genau so viel, als sich in Werthpfpieren in der entwendeten Brieftasche befunden hatte. Der Steuerbeainte, einer der redlichsten und bravsten Männer, wurde gefänglich eingrzogen. Seine Aussage, daß er bestohlen sei, fand um so weniger Glauben, als auch nicht die geringste Annahme dafür vorlag und sich alle, hören Sie wohl, alle Hausbewohner von dem Verdachte eines Diebstahls zu reinigen vermochten. Selbst die beiden verdächtig erscheinenden Handwerksburschen wurden ergriffen und ebenso wie jede andere Person, die im Hause ein- und ausging, einem strengen begreiflicherweise aber fruchtlosem Verhöre unter zogen. . . Es blieb kein Zweifel, hier lag eine Unterschlagung vor. Der gewissenhafte pünktliche Beamte überlebte die Schmach und Schande nicht. Eines Morgens fand man ihn mit geöffneten Puls adern entseelt in seiner Kerkerzelle. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Abnorme Witterungsverhältnisse. Der Sohn eines Predigers in der Nähe von Dresden, der in Südrußland in der Nähe des Dnieper ein großes Gut verwaltet, schreibt vom 2. April an die Seinigen: Ihr werdet es wohl kaum für möglich halten, daß wir uns hier zu Lande bis jetzt einer ausgezeichneten Schlittenbahn er freuen und ich eben erst von einer lustigen Fahrt per Troika (rus sisches Dreigespann) zurückgekehrt bin, Die Wintersaaten sind noch alle mit Schnee bedeckt und die Erde kommt nur auf geackerten Feldern und an Abhängen etwas zum Vorschein. Vor dem 12. April wird wohl die Frühlingsanssaat schwerlich beginnen können, für hiesige Verhältnisse etwas unerhörtes. Noch unerhörter ist es, daß in Nicolajew, welches mehrere Grad südlich in gleicher Breite mit Mailand unter dem 46. Grade liegt, bei einer Kälte von 5—6 Grad der Bug noch zngefroren ist und die Schiffe an der Mündung des Schwarzen Meeres vor einer Eisbarre liegen, die sie nicht durch brechen können, ein Fall, der wenigstens in diesem Jahrhundert noch nicht vorgekommen ist. Einigermaßen erklärlich sind diese Thatsachen nur dadurch, daß der ans Nordost über die gänzlich unbemaldeten Steppen hinstreichende Wind die sibirische Kälte herüberträgt, mährend die von dem südöstlich gelegenen Kaukasus mit seinen himmelanstrebendcn Schneegipfeln herüberwehenden Winde eben auch keine Frühlingsboten sind. — Kein Wunder, wenn es uns beim Namen Rußland, freilich auch aus anderen Gründen, kalt überläuft. * Aus der Gegend von Zittau weiß die dortige „Morg.-Ztg." folgendes amüsante Geschichtchen zu erzählen: Ein junger Commis hatte sich in die Tochter seines Brodherrn verliebt und da leider die Frau Mama dem Verhältnisse nicht günstig war, weil sie die Tochter bereits zur Himmelsbraut bestimmt hatte, so entschloß sich das le benslustige Liebespaar zu dem so oft mit Glück betretenen Wege, der heimlichen Flucht. Mama hatte aber ausgepaßt und ereilte mit dem nächsten Eisenbahnzuge das flüchtige Pärchen. Wie ein Habicht stürzte Mama anf das girrende Taubcnpaar, welches das Nahen des Feindes nicht im Geringsten erwartet hatte. Der Entführer blieb sprachlos vor Schreck, gefaßter war die junge Maid; es ist ja un leugbar volle Wahrheit, daß die Frauen sich leichter als die Männer rasch in einer verwickelten Situation zu retten verstehen. Das Mäd chen erzählte der Mama eine Geschichte „von der Liebe, ach der Liebe, die sie so weit gebracht —" .... und es gelang ihr, die Mama zu versöhnen, ja sogar sie zu bewegen, auch den Segen des Ehegatten zu dem Herzensbund der Kinder zu erlangen. Alle Achtung vor solcher Schwiegermama! * Ein Rabenvater. Aus der Prov. Sachsen berichtet die „Post": Ani 23. v. M. hatte der Gerichtsvollzieher Wetzel bei dem - Einwohner Johannes Gehrt in Martinseld eine Execution vorzunehmen und begab sich bei Ansmchme der Pfand Objecte, vielleicht auf den Wink einer dritten Person, auch in eine an der Wohnstube des Gehrt stoßende Kammer. Hier fand er zu seinem Entsetzen unter einem Haufen Lumpen eine menschliche Gestalt, die ein Bild unsäglichen Elends bot. Anfangs hielt er das Wesen für todt, mußte sich aber nur zu bald überzeuge», daß noch Leben in demselben war. Bei näherer Untersuchung fand sich, daß es ein zehnjähriger Knabe, der leibliche Sohn des Gehrt war, den der Rabenvater wahrscheinlich schon seit November vorigen Jahres in die Kammer gesteckt, hier auf eine Hand voll Stroh gebettet und, nur mit einem Hemd bekleidet, der Kälte und dem Hunger preisgegeben hatte. Der unglückliche Knabe lag in Schmutz und Koth. Beide Beine waren ihm erfroren und in Folge dessen mit der Zeit an beiden Füßen die sämmtlichen Zehen abgefault. * In einem Dorfe bei Bayreuth habe» am 5. d. M. drei Handwcrksburschen einen 68 Jahre alten Flurwüchter ermordet und beraubt. Der Sektionsbefund war: ein Revolverschub in die Brust, ein Stich in die Brust mit Verletzung eines großen Blutgefäßes, ein Stich zwischen den zweiten und dritten Halswirbel mit vollständiger Durchschneidung des Rückgrates und neun schwere Hiebwunden am Kopfe, welche drei Schädelbrüche erzeugten. Der jüngste der Thäter ist erst 16, der älteste 19^ Jahre alt. Die Frucht des Raubes bestand in einer Baarschaft von 1 M. 80 Pf. Der Mord wurde Nachmittags um 2'/z Uhr verübt, und schon Nachts zwischen 11 und