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Trotz ihrer Ungeduld aber heuchelte sie die größte Liebenswürdigkeit und hatte für Jeden ein verbindliches Wort, einen wohlwollenden Blick und ein bezauberndes Lächeln, so daß sich Hellmann, der im Nebenzimmer einer Partie L'Hombre zusah, herzlich freute, daß sich seine Gattin, die zuweilen in der geöffneten Thür erschien oder an ihm vorbeirauschte, sichtlich so gut amüsirte. Er ahnte nicht, welche Ungeduld und welches Mißbehagen sie erfüllte! Wenn man nur wenigstens ein Tänzchen hätte arrangiren können, dann hätte Frau Hellmann, welche eine ebenso ausgezeichnete als leidenschaftliche Tänzerin war, die Langeweile etwas erträglich gefunden, aber leider bestanden die Geladenen meistens aus älteren Herren und Damen, von denen sich die Ersteren allmälich in das Spielzimmer zurückge zogen hatten, während sich die Letzteren bald eines höchst lebhaften Gespräches befleißigten. Zudem mußten noch einige Rücksichten auf das erst vor wenigen Wochen erfolgte Ableben von Hellmann's Schwager genommen werden. Fast mechanisch nahm Frau Blanka an den Gesellschaftsspielen des jüngeren Theiles der Gäste Antheil. Plötzlich aber leuchteten ihre Augen freudig auf, ihre geistige Spannkraft kehrte zurück. — Waldow's hohe Gestalt erschien in der Thür. Er kam sogleich auf die Frau des Hauses zu, um sie zu begrüßen. Blanka überhörte es, daß die Worte des Professors kalt und abgemessen klangen. Sie war in der Nähe dieses Mannes wie von einem Traume befangen; ihr Blick hing wie trunken an seinem ernsten Antlitz. Ihr Ohr vernahm mit Entzücken den Ton seiner weichen, melodischen Stiinme und sie empfand es jetzt deutlicher als je, daß nicht Gold, Rang und Neichthum ein Herz zu befriedigen vermögen, sondern nur allein die Liebe. — Trotz ihres Egoismus hatte sie sich nach Liebe gesehnt, heiß und innig, doch noch nie hatte ihr Herz in der Nähe eines Mannes lauter geklopft und nun? — Endlich schien die Stunde zu schlagen, welche die Leere in dem Innern dieses verführerischen, leidenschaftlichen Weibes ausfüllen sollte, wel ches Sterneck in seiner Warnung einen weiblichen Vampyr genannt hatte. Frau Hellmann mußte sich sehr zusammennehmen, um sich in mitten der glänzenden Gesellschaft nicht zu verrathen. Mit der Ge wandtheit einer vollendeten Salondame wechselte sie mit Waldow einige begrüßende Worte und geleitete dann denselben zu ihrem Ge mahl, der dem Professor seine ganze Gunst zugewendet hatte); und ihn sofort in Beschlag nahm. Unter anderem theilte nun Waldow dem erfreuten Banquier mit, daß er bereits in wenigen Tagen mit dem Portrait seiner Gemahlin zu beginnen gedenke. Hellmann besprach vergnügt mit dem Professor auf das Ein gehendste alle Details des zu malenden Bildes. Schließlich warf er die Frage hin, ob der Professor in N. bereits heimisch geworden sei und ob er schon nähere Bekanntschaften gemacht habe? „Was das Heimischwerden anbelangt," versetzte lächelnd der Gefragte, „so fällt das einem an das Nomadenleben Gewöhnten, wie mir, nicht schwer, am wenigsten aber hier, wo ich mich allerseits eines so freundlichen Entgegenkommens zu erfreuen habe. Außerdem fand ich hier einen meiner intimsten Jugendfreunde, den Assessor Sterneck, wieder, welcher mich bei seinen Verwandten, einem alten, liebenswürdigen Geschwisterpaare, dem Notar Rodenberg und dessen Schwester, einführte. Hellmann wandte bei Nennung von Nodenberg's Namen den Kopf weg. Als er sich wieder dem Professor zuwandte, glaubte dieser eine Thräne im Auge des Greises zittern zu sehen. Hellmann stieß einen Seufzer aus, dann aber nahmen seine Züge wieder den früheren freundlichen Ausdruck an. „Da hätte ich ja bald vergessen, Sie um Rath zu fragen," rief er mit einer Stimme, welche nichts mehr von seiner kaum bemeister- ten Bewegung verrieth. „Heute, zu meinem Geburtstage, überraschte mich nämlich meine Nichte, — die Sie noch nicht kennen — mit einer Zeichnung, die Talent verräth. Sie gestand mir auf mein Befragen, daß es seit früherer Zeit ihr Wunsch gewesen sei, sich im Zeichnen und Malen auszubilden, doch abgesehen davon, daß es in dem kleinen Landstädtcken keine Gelegenheit dazu gab, hatte der durch und durch praktische Vater die Erlernung dergleichen Dinge für überflüssig und für eine künftige Hausfrau unpassend erklärt. Ich we»ß nun, daß ich dem Mädchen keine größere Freude bereiten könnte, als ihr einen tüchtigen Zeichnenlehrer zu engagiren und ich wende mich daher mit der Bitte an Sie, mir eine geeignete Persön lichkeit vorznschlagen." „Herzlich gern," war die rasche Antwort, „ich werde es mir überlegen und Ihnen baldigst Bescheid zukommen lassen." „Nun solle» Sie aber auch meine Nichte kennen lernen. Sie müssen doch wenigstens wissen, für wen Sie sich bemühen. Darf ich mir erlauben, sie Ihnen vorzustellen?" Waldow erhob sich sofort mit einigen verbindlichen Worten und folgte den» Banquier nach dem Salon. Hätte sich Virginie auf einer öden Jn^el befunden, sie würde sich kaum einsamer gefühlt haben, als in dieser glänzenden Gesell schaft. Nur der Machtspruch der Tante hatte sie bewegen können, an dieser Festlichkeit Theil zu nehmen, wenn sie auch deren Gebot, für heute die Trauerkleider abznlegen, zu trotzen gewagt hatte. Frau Hellmann war es höchst unangenehm, der verhaßten Nichte um ihres Gatt'N willen gewisse gesellschaftliche Rechte einzuräumen. Sie rächte sich für diesen Zwang dadurch, daß sie dem jungen Mädchen höchst ungnädige Blicke zuwarf und nicht das Mindeste that, dieselbe mit den Anwesenden bekannt 'zu machen. Zwar stellte sie ihr einige Altersgenossinnen vor, doch mit einem Tone und einer Miene, der die jungen, etwas übermüthigen Mädchen nur noch in dem Glauben bestärkte, daß Virginie nur noch eine untergeordnete Verwandte sei, die man am Vesten übersieht und ignorirt. Zudem verstand das scheue, stille, schwarzgekleidete Mädchen weder von den neuesten Moden, noch von Bällen zu sprechen (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Ermordung eines Kindes. Am 20. d. M. wurden zwei Personen, der Barbier Roßbach und der Kaufmann Heß, beide in der Ackerstraße in Berlin wohnhaft, verhaftet, wegen Verdachts, am 15. d. den drei Tage alten Knaben der unverehelichten Nähterin Schmuck in der gemeinschaftlichen Wohnung der beiden Verhafteten ermordet zu haben. Die Schmuck, welche, in Folge der Entbindung schwer krank, Aufnahme in der Charite gefunden, hat gestern Mor gen, nachdem sie eindringlich ermahnt worden, über den Verbleib des verschwundenen Knabe» Auskunft zu geben, in Gegenwart von Zeu gen dem mit den Recherchen betrauten Kriminal-Kommissarius ein Geständniß dahin abgelegt, daß sie auf Veranlassung der beiden Ver hafteten den Knaben nach der Wohnung derselben gebracht, wo sie von ihnen aufgefordert worden sei, ihr Kind mittelst eines Bettstückes zu ersticken. Sie habe sich indessen entschieden geweigert, diesem An sinnen Folge zu geben, worauf der Kaufmann Heß den« Knaben die Kehle zugedrückt habe. Da Heß aber durch diese Manipulation seinen Zweck, das Kind zu tödten, nicht erreichte, habe der Barbier Roß bach aus seiner sogenannten Hausapotheke eine Flasche entnommen und dem Kinde den Inhalt derselben in den Hals gegossen, worauf dasselbe augenblicklich verschieden sei. Das Gesicht des Kindes habe sich unmittelbar nach dem Genüsse bläulich gefärbt. Die Recherchen haben ferner ergeben, daß die Schmuck in Begleitung des Kaufmanns Heß noch an demselben Tage in der GerichtSstraße mehrere kleine Packete in die dort befindliche Panke geworfen hat, welche bis heute noch nicht ausgesunden worden sind. Heute Vormittag wurde die Schmuck wieder vernommen. Dieselbe befand sich bei voller Besinn ung und hat dem sie vernehmenden Kriminalkommissarins eingeräumt, daß Heß die in eine blaue Schürze eingewickelte Leiche des ermor deten Kindes in ihrer Gegenwart von dem Grundstücke Gerichtsstraße Nr. 17 aus in die Panke geworfen hat. Heß dagegen bestreitet dies und will nicht gewußt haben, daß sich in den nach seiner Behaupt ung von der Schmuck in das Wasser geworfenen Packeten die Leiche befunden hat. Seit gestern Mittag wird das Flußbett der inzwischen wieder zugefrorenen Panke auf das Gründlichste durchsucht. Bisher ist aber die Leiche noch nicht gefunden worden. Ueber die sonstigen Beziehungen der Schmuck zu Heß und Roßbach, welcher letztere ihr bei der Entbindung Beistand geleistet haben soll, ist noch nichts Sicheres bekannt. * Berlin, 16. Januar. Die drei Kinder des Tischlers Knob lauch, im Alter von 5, 4 und 1>/z Jahren, wurden gestern Nach mittag in der Wohnung der Eltern durch Rauch erstickt vorgefunden. Wiederum war das Spielen der ohne Aufsicht znrückgelassenen Kinder mit Zündhölzchen die Veranlassung des traurigen Ereignisses. * In der Nacht vom 8. zum 9. Januar ist in Danzig ein Diann von einem Militärposten erschossen worden. Der betreffende Soldat, welcher bei der Bastion Mottlau Posten stand, behauptet, von dem Dianne, der als der Sattler Regulowski recognoscirt wor den ist, ohne jede Ursache derartig angegriffen worden zu sein, daß er sich genöthigt sah, von seiner Schußwaffe Gebrauch zu machen. Regulowski stürzte sofort zusammen und war beim Erscheinen der herbeigerufenen Polizeibeamten bereits verschieden. Die ganze Affaire ist bis jetzt noch nicht aufgeklärt. * In Seehausen am Aland (in der Altmark) findet man auf dem sogenannten „alten Kirchhofe" folgende Grabschrift, die betreffs ihrer Euriositüt wohl alles bisher Dagewesene übertrifft: „Hier ruhet in Gott Carl Ferdinand Heinrich C.... geb. am 26. Juni 1837 ertrunken am 24. Juli 1856. Der Aland war ein Sterbebett, Vergebens rief ich: rett', rett', rett'. Des Mittags ich im Fluth erlag, Weil nirgends kühne Rettung war. Flehend, kämpfend schlief ich in Todespein Im Wasser sanft und selig ein." * Einen kühnen Sprung aus einem in voller Fahrgeschwindig keit dahinbrausenden Zuge wagte in voriger Woche ein Gefangener, der aus dem Stendaler Gefängniß »ach der Strafanstalt Gommern überführt werden sollte. Der Transport bestand aus 6 Personen und war von einem Polizeibeamten und einem Civiltransportenr be-