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unserer Weberei noch geholfen werden kann, kann dies nur durch ein Radicalmittel geschehen. Die Zustände, wie sie jetzt sind, führen die Fabrikanten zum sichern Untergang und degeneriren die um das nackte Leben ringende Weberbevölkerung auch physisch. — Falkenstein, 11. April. Die als Generalversammlung bezeichnete Zusammeukunst von Fabrikanten am gestrigen Nachmittag war höchst schwach besucht und ließ schon in dieser äußeren Er scheinung erkennen, daß von einem gemeinsamen Vorgehen betreffs der Arbeiterentlassung nicht wohl die Rede sein würde. Die An wesenden, meist nur Falkensteiner Fabrikanten, kamen zu dem Ent schluß, von einer ausnahmslosen Einstellung der Arbeit abzusehen und nur an ledige Männer, an unverheirathete Frauenspersonen und an Landleute keine Arbeit mehr auszugeben, dagegen älteren Meistern, welche schon eine lange Reihe von Jahren ihnen getreu gedient, aus humanen Rücksichten dieselbe zu belassen. Ferner hält man es zur Verminderung der Gardinenfabrikation für rathsam, bis auf weiteres die sog. Ketienbäume, mit welchen bekanntlich be deutend mehr geliefert werden kann, nicht zu benutzen. Durch Unter zeichnung des Protokolls verpflichtete sich jeder Fabrikant, die ge faßten Beschlüsse zu befolgen und wählte man eine aus 5 Personen bestehende Commission, welche die zur Versammlung nicht anwesenden Fabrikanten von hier und den benachbarten Ortschaften zur Unter schrift aufzufordern, bez. die allseitige Durchführung der Beschlüsse zu überwachen haben. Man hofft nach ungefährer Berechnung, daß trotz der blos partiellen Arbeitseinstellung eine nicht unbedeutende Minderproduction von Gardinen und gewiß auch später eine Besser ung der Lage der Weber erzielt wird. — Glauchau, 11. April. Vorgestern Abend kurz nach 7 Uhr verschied im Alter von nahezu 73 Jahren auf hiesigem Schlosse Hinter-Glauchau Frau Gräfin Charlotte von Schönburg-Glauchau, Schwester des am 12. März d. I. verstorbenen Grafen Heinrich von Schönburg-Glauchau. — Oelsnitz bei Lichtenstein, 9. April. Vorgestern Abend er eignete sich aus bis jetzt unaufgeklärter Ursache auf dem Schacht des hiesigen Kohlenwerkes „Vereinsglück" ein schwerer Unfall. Während die Belegschaft ausfuhr, löst sich plötzlich der Schlagkasten mit der Stange des Schlagwerkes los, schlägt durch die Decke des Fahrgestells, auf welchem eben sechs Bergleute aussahren und tödtet augenblicklich den Bergarbeiter Heinrich Urlaß, während die übrigen 5 völlig unverletzt blieben. Der Verunglückte, der so schnell den Seinen entrissen wurde, hinterläßt außer der Wittwe 9 Kinder, von denen das jüngste Jahr alt ist. — Nossen, 9. April. Die erwachsene Tochter des Schuh machermeisters Hildebrandt aus Siebenlehn stand seit einigen Jahren in Dienste bei einem Hamburger Arzte. Kürzlich erschien dieselbe in Dresden, um sich nach einer neuen Herrschaft umznsehen, ver schied aber plötzlich unter Anzeichen von Vergiftung. Die Behörde verfügte die Secirung der Leiche und dabei wurde Vergiftung con- statirt. Angestellte Nachforschungen haben ergeben, daß ein Selbst mord nicht vorliegt. Die rasche Erkrankung erfolgte vielmehr auf den Genuß von Wurst, welche die H. mit aus Berlin gebracht hatte. Es liegt darum die Vermuthung nahe, daß die Wurst Gift enthielt. Zufällig sind noch Neste von derselben vorhanden, die einem Chemiker übergeben wurden und dessen Untersuchungen hoffentlich Licht über die mysteriöse Geschichte bringen. — Der Kartoffelexport nach England, welcher in Riesa im Frühjahr 1879 und 1880 den Schifffahrtsverkehr wesentlich erhöhte, ruht in diesem Jahre gänzlich, da, wie angegeben wird, Frankreich und Holland weit billiger liefern können. — Von einem grauenhaften Selbstmorde wird aus Meißen berichtet: Der dortige Schneidermeister Lohse hat sich dieser Tage in früher Morgenstunde den Leib aufgeschnitten und ist sofort an der Verwundung gestorben. Verzweiflung über mißliche Verhältnisse, bei denen seine Eltern, die es schon öfters gethan, nicht mehr helfen wollten, soll der Grund zu der That gewesen sein. Deutschland. Auf Wunsch Sr. Maj. des Kaisers wird die Hochzeit der Prinzessin Victoria von Baden mit Sr. kgl. Hoheit dem Kronprinzen von Schweden nicht, wie ursprünglich geplant, in Stockholm, sondern in Karlsruhe, der badischen Landeshauptstadt, stattfinden. Der greise kaiserliche Großvater will sich die Freude nicht versagen, dem Ehrentage seiner Enkelin persönlich beizuwohnen. Das schwedische Königspaar soll diesem Wunsche gern stattgegeben haben; es heißt, daß die Vermählung bereits Ende August oder Anfangs September vollzogen werden und gleich darauf der feier liche Einzug in Stockholm erfolgen soll. Die Nachrichten über das Befinden Sr. Maj. des Königs von Schweden lauten sehr befrie digend. — Die neulich in Kiel stattgehabte Prüfung der Schüler der Seeakademie hat einen sehr günstigen Verlauf genommen, indem sämmtlicbe 72 Aspiranten bestanden haben. Dieselben sind darauf nach Wilhelmshafen geführt worden, um dort auf dem Artillerie- Schulschiff „Nenomn" einen sechswöchentlichen praktischen Cursns durchzumachen. — In München ist die auf Sonntag Nachmittag anberaumte Versammlung, in welcher der Socialdemokrat, Reichs tagsabgeordnete Bebel Vortrag halten wollte, polizeilich verboten worden. — In Karlsruhe hat der Statthalter von Elsaß-Lothringen, Felomarschall Freiherr von Manteuffel dem Großherzog einen Be ¬ such abgestattet, derselbe ist sehr ehrenvoll empfangen und zur Tafel gezogen worden. — Der Kronprinz von Schweden ist gleichfalls zum Besuch seiner Braut, der Prinzessin Viktoria von Baden in Karlsruhe eingetroffen. — Dem Bezirkspräsidenten von Straßburg im Elsaß sind von dem Statthalter 30000 Mk. zur Begründung von landwirthschaftlichen Dahrlehncaffenvereinen überwiesen worden. Schweiz. Die angesehensten Männer des Kantons Zürich haben einen Aufruf erlassen zur Unterzeichnung einer Petition an die Züricher Negierung um Verbot des SocialistenkongresseS im nächsten Septeinber, damit nicht Zürich zum Sammelplatz jener Ausländer werde, welche die Attentate verherrlichen oder neue vor bereiten. Rußland. Petersburg, 6. April. Der Befehl der Oberpreß verwaltung, daß die Zeitungen nichts über die Verhaftungen rc. be richten dürfen, trägt wenig zur Klärung der Lage und zur Be ruhigung der Bevölkerung bei. Täglich durchschwirren neue be ängstigende Gerüchte die Stadt. Das Suchen nach Minen dauert fort. Man befürchtet, daß auch die Kasernen unterminirt seien. Im Anitschkow-Palais liegt beständig eine Compagnie des Preoba- schenski'schen Regiments, mährend früher nur 20 Mann dort Wache hielten. Das sieht aus, als befürchte man einen direkten Angriff auf den Palast seitens der Masse. Wenn auch vorläufig nicht dis geringsten Anzeichen dafür vorhanden sind, so scheint man der niederen Bevölkerung doch nicht sicher zu sein. Vor allen Dingen sollen die Nihilisten stark unter den Arbeitern gewühlt haben, unter denen sie eine größere Anhängerschaft besitzen, als man entfernt ge ahnt hat. Die großen Fabriken in der Umgegend der Stadt werden scharf bemacht. — Der Kaiser, welcher schon vor acht Tagen nach Zarskoje Sselo, dem bekannten „kaiserlichen Dorfe," übersiedeln wollte, wird nicht dorthin gehen. Man hält den Ort nicht für sicher genug. Der Zar ist auch in letzter Zeit nicht von Proklamationen des Exekutivkomitee's verschont geblieben. Die jüngste derselben zeichnet sich vor den bisher erschienenen durch einen höflicheren Ton aus; sie redet den Zaren sogar „Majestät" an. Im Grunde aber enthält sie dieselben Drohungen, wie alle anderen. — Auf der Warschau-Petersburger Bahnstrecke wurde nahe von St. Petersburg eine vollkommen fertige Mine entdeckt. Petersburg, 10. April. Die Verhaftung des Großfürsten Nikolai Konstantinowitsch hat begreiflicherweise in engeren Kreisen großes Aufsehen erregt, wennschon die Kunde davon mit ihren Einzelheiten noch immer nicht in das große Publikum gedrungen ist. Es giebt Leute, die den jungen Großfürsten vertheidigen, ihin auch gute Eigenschaften, namentlich eine mehr als gewöhnliche Begabnng nachrühmen. Nikolai Konstantinowitsch lebte in milder Ehe mit der Tochter eines Arztes aus dem Samaraschen Gouvernement, einer, wie sich geschildert wird, zwar etwas emanzipirten, aber sehr acht baren, gebildeten und anständigen jungen Dame. Nun will man zu des Großfürsten Ehre annehmen, es habe dem Kaiser blos an einer Trennung der beiden Liebesleute, deren Verhültniß ihm ein Anstoß gewesen, gelegen, als er den Verhaftsbefehl gegen seinen Vetter aussprach. Das wäre ja möglich, aber doch recht unwahrscheinlich, denn diese Trennung hätte schon längst in anderer Weise vorge nommen werden können, ohne daß man dazu den Großfürsten ver haften und unter Bedeckung nach dem Pawlowsker Schloß zu bringen brauchte. Wäre es außerdem nicht einfacher gewesen, die junge Dame zu entfernen, als den kaiserlichen Prinzen? Das dürfte doch bedeutend weniger Aufsehen gemacht haben, und noch dazu das alles in jetziger Zeit! Nein, leider kann kaum ein Zweifel darüber herrschen, daß Nikolai Konstantinowitsch in die nihilistischen Bestrebungen ver wickelt gewesen ist. Man hat das schon lange gesagt. Was jetzt schwerwiegendes Zcngniß gegen ihn ablegt, das sind eben die unbe greiflichen Depeschen, die er an seinen Vater Konstantin geschickt hat. Wenn es in einer derselben heißt: „Wir erwarten dich an der be stimmten Stelle, komm, wir sind alle versammelt!", so kann damit gewiß auch etwas anderes als eine nihilistische Zusammenkunft ge meint sein, vielleicht eine Bärenjagd, denn das sähe Konstantin nebst Sohn ganz ähnlich, sich während der tiefen Trauer und des lang weiligen Lebens in Petersburg auf eigene Faust ein wenig zu be lustigen. Aber warum dann die Verhaftung, d ie nothwendigerwcise bekannt werden und zu allen schlimmen Vermuthungen Anlaß geben mußte? Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will, man findet keinen triftigen Grund für die Verhaftung des Groß fürsten, als eben nur jenen früher angedeuteten. Uebrigens wird aus leicht erklärlichen Gründen die ganze Angelegenheit so viel wie nur irgend möglich geheimnißvoll behandelt. Daß die Verhaftung des Großfürsten eine Thatsache ist, das bestreitet man hier nicht im geringsten, man will nur nicht zugeben, daß sie wegen der Bethei- lrgung Nikolais an nihilistischen Umtrieben erfolgt sei. Petersburg, II. April, Den gestern zum Tode verurtheilten Verbrechern wurde heute Nachmittag um 4 Uhr nochmals das Ur theil in der gesetzlichen Form vorgelesen. Mit Ausnahme von Shel- jaboff baten Alle um Abschrift des Urtheils. Der Termin zur Ein reichung der Cassationsklage endet morgen um 5 Uhr. Begna digungsgesuche werden jeder Zeit entgegengenommen werden. — Der kaiserliche Hof hat sich heute nach Gatschina begeben, um dort seinen Aufenthalt zu nehmen.