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5280 Börsenblatt s. ». Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^Ik 100, 3 Mai 1910. Ein »zitternder Kientopf, (Kinematograph) mit eindrucks vollen, diesmal völlig einwandfreien Anschauungsbildern machte den sehr interessanten Schluß, Die Reihe dieser liebenswürdigen Szenen wurde nach der eisten Pause durch ein Festspiel unterbrochen, das einen der Darsteller, Herrn Carl Huth, Mitglied des Stadttheaters, zum Verfasser hatte. Die Herren Max Weg und Georg Merseburger, denen wohl auch der Grundgedanke nicht fremd ist, hatten es aus der Taufe gehoben und mit höchst wirk samem buchhändlerischem Einschlag ausgestattet. Ein Werk aus einem Guß, vortrefflich gelungen, lebendig durch das Geschick der szenischen Technik, zündend durch manchen lustigen Schlager aus dem Heiterkeilsvorrat der buch- händlerischen und schriftstellerischen Gegenwart, Das Stück hat den Titel: -Das Preisausschreiben, oder: Kantate feiern, aber wie und warum??! Ein buchhändlerisches Trauerspiel mit Gesang in vielen Akten.» Das humorvolle Stück fand wohlgelungene Darstellung durch die Herren Huth, Zadeck, Felden, Daval und Demme, sämtlich vom Leipziger Sladttheater, Zwei verlassene Festausschußmitglieder sehen sich infolge Verhinderung der beiden anderen auf die vereinigte eigene Tatkraft angewiesen. Schon zeigt der riesige Abreißkalender den 23. Februar, aber von dem für den sehr verfrühten Kantate-Montag zugesagten Festspiel ist noch kein Atom eines brauchbaren Gedankens ihrem oder einem befreundeten Hirn entsprossen. Ein Preisausschreiben soll sie der Ver legenheit entreißen. Der in die Welt gesandte Aufruf, der die Pegasusse der Kollegen und befreundeten Autoren satteln helfen soll, hat zunächst betrüblich negativen Erfolg. Aber schnell mehren sich die Einläufe, von Tag zu Tag wachsen die Mengen und steigern sich schließlich zu unheimlichen Bergen von Briefen, Packen, Ballen, Kisten, die das Arbeits- gemach bis zur Decke füllen. Unablässig lesen, prüfen, ver werfen die beiden Unglücklichen, Tischzeit und nächtliche Ruhe daheim werden geopfert, selbst eine angcstellte Hilsskraft, eine ordenbesäte köstliche Figur von wirksamster Komik (Peter Miese, »ein ernster Buchhändler aus Deutschland», der gegen alles -die allerschwerwiegendsten Bedenken» hat), vermag nicht zu helfen. Der erwartete Retter, von Anbeginn schon verblödet, war der erste, der dem Schlafe erlag. Ihm und der schließ- lichen Verblödung waren endlich auch die übereifrigen beiden Festausschußmitglieder zum Opfer gefallen, als der Abreiß kalender den 23. April verkündete und zu gutem Schluß auf seltsamem Wege persönlich noch ein Autor erschien, der in jüngster Zeit viel von sich reden gemacht hat. Dessen Ab schiebung besorgte Mucke, das den Leipziger und vielen aus wärtigen Kollegen wohlbekannte Faktotum des Buchhändler hauses, in bestgelungener Maske durch Herrn Demme (zur heiteren Befriedigung der Kenner und nicht minder des an wesenden Originals) auf die Bühne gestellt. Mucke erwies sich übrigens auch in der dichterischen Konzeption als der Aller- weltshelser, als den seine praktische Betätigung im Buchhändler hause ihn auszeichnet. Als einzig Gesunder unter den Opfern des Preisausschreibens diente er der Vermittlung mit der Außenwelt, gab er dem Ganzen den Halt und Zusammenhang und ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, mit unbefangenen Bemerkungen die Lacher auf seine Seite zu bringen. Der unerwartete Ausgang des Unternehmens veranlaßte vorzeitiges Fallen des Vorhangs. Auf ihm erschien in riesengroßem Transparent die Anzeige der betrüblichen ernsten Erkrankung der Preisrichter und die Vertröstung der Preisbewerber auf die Zeit nach Entlassung der Patienten aus dem Sanatorium. Eine unter den letzten Eingängen von Otto Petters aus Heidelberg gekommene Gitarre hatte den Vorzug, selbsttätig zu spielen. Sie benutzte Mucke (Demme) zu einem kurzen Spiel vor dem Vorhang nach der alten Melodie »Da streiten sich die Leut' herum». Die Gitarre spielte und Mucke sang das Lob des Einsenders, unsres verehrten Kollegen Otto Petters. Besonderen Anlaß dazu gab dessen sechzigster Ge burtstag, der auf diesen selben Tag fiel. Als der Sang ver klungen war, erschienen die vier Herren des Festausschusses, deren Sprecher, Herr Richard Linnemann, unter erwartungs vollem Schweigen der Versammlung das freudige Ereignis verkündete und warmberedte glückwünschende und dankende Worte an das Geburtstagskind, den braven Wohltäter im Buchhandel, richtete. Zum Angebinde ward ihm ein Rosenstrauß überreicht und der Lorbeerkranz, der im Preis bewerb seinen Berus verfehlt hatte, aufs Haupt gesetzt. Nachdem sich der stürmische Beifall gelegt hatte, dankte der Gefeierte. Völlig überrascht und tief bewegt durch das überreiche Maß der Liebenswürdigkeit und Freundschaft, das ihm in diesen letzten Tagen in Leipzig wieder entgegengebracht worden sei, danke er herzlich für diesen erneuten Ausdruck freundlicher Gesinnung und die ihm dargebrachten guten Wünsche zum begonnenen siebenten Jahrzehnt seines Lebens. Aber die Ehren, die man in Betracht seines Wirkens für Linderung der Not im Buchhändlerstande überschwenglich auf ihn häufe, könne er nur annehmen im Sinne einer damit auch zum Ausdruck kommenden Anerkennung des treuen deutschen Buchhändlerherzens, das seinem Worte allezeit Gehör schenke. Denn was nütze alles Bemühen, alle Sammel tätigkeit, wenn dem offenen Wort nicht die offene Hand sich entgegenstrecke! Er freue sich, mit dankbarer Aufrichtigkeit sagen zu dürfen, daß sein Wirken nicht vergeblich gewesen sei, daß es in steigendem Maße Erfolge gebracht habe, daß er nie vergebens angeklopft, immer die hilfbereite offene Hand gefunden habe, die er gesucht und die der Unterstützungsverein der Buchhändler leider gar so nötig habe. Denn man wolle bedenken, daß es diesem großen Verein trotz der baren 75 000 Mark, die er Jahr für Jahr zur Linderung der Not verwende, doch nicht möglich sei, allen zu helfen, die sich ver trauensvoll an ihn wenden. Aber daß er, der Redner, mit seiner schwachen Person dazu beitragen könne, daß eine so immerhin bedeutende Unterstützung jährlich zu leisten möglich sei, dafür könne er dem Buchhandel persönlich nicht dankbar genug sein, und diesen Dank hier einmal in dieser großen Versammlung auch aussprcchen zu können, sei ihm eine besondere Freude. Nicht zum wenigsten aber gebühre dieser Dank auch den treuen Arbeitern an diesem großen Wohltätigkeitswerke, insbesondere den ihrer schwierigen Auf gabe mit voller Hingebung sich widmenden Männern an leitender Stelle im Unterstützungsverein in Berlin. Ihnen allen und dem guten, treuen Herzen des gesamten deutschen Buchhandels widme er ein dankbares Hoch. — Freudig stimmte die Versammlung in fein Hoch ein. — Nach dem Festspiel und seinem eben geschilderten schönen Nachklange setzte die Reihe der szenischen Darbietungen wieder ein. Staunen und Lachen hielt die Versammlung dauernd in Atem. Es war Mitternacht, als man zum Aufbruch rüstete. Aber noch war das Programm nicht voll erledigt. Erst ein Tänzchen in den oberen Sälen des Hauses gab ihm in früher Morgenstunde den richtigen Abschluß. — Der rührige Festausschuß hat sich große Verdienste um das Vergnügen der Meßbesucher erworben: ihm sei auf richtiger Dank gesagt! — Wieder einmal haben wir Kantate gefeiert, wieder haben wir in Leipzig liebe Freunde und Kollegen begrüßen dürfe» und uns mit ihnen des Wiedersehens gefreut. Möchte uns allen diese Freude noch recht oft vergönnt sein! Auf frohes Wiedersehen zunächst Kantate 1911!