Volltext Seite (XML)
100, 3. Mai 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. 5277 erfüllen. Es ist ja richtig, wenn man so im Rahmen des All tags, in der Tretmühle des Geschäftes steht, dann wird es Vor kommen, daß diese hohen Aufgaben über der Arbeit für das eigene Geschäft etwas in den Hintergrund treten. Aber das ist gerade das schöne unserer Versammlungen hier in Leipzig, daß man sich da immer wieder zusammenfindet und zusammenschließt mit alten Freunden und Berufsgenossen, daß man sich immer wieder hingewiesen fühlt auf die hohen Aufgaben des Berufes. Wie mancher wird nach Leipzig gekommen sein, gedrückt von den Sorgen des Alltags, niedergezwungen von der schweren Arbeit, die ja die überwiegende Mehrzahl von uns allen zu Hause findet; und dann spricht er sich hier mit näheren Freunden und Be rufsgenossen aus und zieht wieder hinaus mit neuen Hoff nungen, mit neuer Lust und Liebe und neuer Kraft. Wenn so das Fest, das wir alljährlich feiern, ein Fest der Begrüßung ist, so ist es leider auch immer ein Augenblick des Abschiedes. Und heute, meine lieben Kollegen, ist es für uns ein besonders ernster Augenblick des Abschiedes. Heißt es doch auf dem Posten des ersten Vorstehers wieder einmal: Ab lösung vor! Als im vorigen Jahre der Herr Oberbürgermeister der gastlichen Stadt Leipzig in dieser seiner Eigenschaft zum ersten Male den Börsenverein begrüßte und ihm freundliche Worte der Anerkennung widmete, da faßte er seine Ausführungen dahin zusammen, daß er sagte, der Börsen verein und sein Vorstand, die seien eigentlich gekennzeichnet durch die Person des ersten Vorstehers, vr. Pollert. Ich weiß nicht, ob es Ihnen ebenso gegangen ist wie mir; aber ich habe in diesen Worten ein sehr großes Kompliment für den Börsen verein gefunden; ich habe das Gefühl gehabt: Ja, wenn diese Worte in vollem Umfange und zu allen Zeiten gültig sind, dann haben wir alle Ursache, auf unfern Börsenverein sehr stolz zu sein. (Bravo.) Aber, meine Herren, wenn ich unserm vr. Bollert in dieser Stunde einen Abschied zurufen möchte, so weiß ich doch, daß es gerade seinen Gesinnungen am wenigsten ent sprechen würde, wenn ich nun auf ihn ein großes Loblied an- stimmen wollte. Sie kennen ihn alle in seiner vornehmen Zurückhaltung und Bescheidenheit, und ich würde Ihnen ja auch nichts Neues sagen können: in dieser Versammlung ist niemand, der für unfern vr. Bollert nicht ein ganz besonders sympathisches Empfinden hätte (Bravo), der sich ihm, wie es heute vom Kollegen Hartmann so richtig ausgeführt worden ist, nicht durch das Band der Freundschaft verbunden fühlte. Ich möchte aber in dieser Stunde das ganz besonders aussprechen namens seiner engeren Vorstandskollegen: Wir sind alle mit ihm in treuer und herzlicher Freundschaft verbunden, und für uns alle ist es eine schmerzliche Lücke, die sich für uns heute auftut. Wir aber, meine Herren, haben auch aus nächster Nähe beurteilen können, ein wie großes Maß von Arbeit Herr vr. Vollert im Interesse des Börsenvereins geleistet hat und mit welchem Erfolg er diese Arbeit geleistet hat. So ist es vor allem das Gefühl tiefster und aufrichtigster Dankbarkeit, das wir ihm schulden für das, was er im Interesse des Buch handels geschaffen; das Gefühl des aufrichtigsten Bedauerns, daß er, aus Gründen allerdings, die wir als stichhaltig aner kennen müssen, eine Wiederwahl abgelehnt hat. Aber, meine Herren, weit darüber hinaus geht doch das Gefühl der persön lichen Verehrung, das Gefühl der herzlichsten Freundschaft; und ich fordere Sie auf, meine Herren, fassen Sie alle diese Empfin dungen, die uns in dieser Stunde bewegen, zusammen in den Ruf: Unser lieber Vr. Vollert, er lebe hoch! I. Vorsteher des Börsenvereins, Herr vr. Ernst Vol lert (Berlin), von der Versammlung mit lebhafter und anhaltender Begrüßung empfangen: Meine hochgeehrten Herren, liebe Kollegen! Ich hätte nicht gedacht, daß einem das Abschiednehmen aus einem Amt so schwer "werden könnte; und nun muß ich doch sagen, daß die Gewißheit, mit dem Ende dieser Woche mein Amt und meine Tätigkeit als erster Vorsteher des Börsenvereins be schließen zu sollen, mir einen aufrichtigen Schmerz be reitet. Die Arbeit dieser vergangenen drei Jahre, aber auch die Freude ist groß gewesen; die Freude darüber und der Stolz darauf, daß Sie, meine verehrten Herren Kollegen, mich berufen haben, für das Wohl des Börsenvereins an Börsenblatt für Ken Deutschen Buchhandel. 77. J-chrgang. leitender Stelle zu wirken. Dieses Gefühl des Stolzes und wenn ich mir sagen darf, daß ich mit meiner Arbeit in diesen drei Jahren etwas geleistet habe, was dem Börsenverein und dem deutschen Buchhandel zum Nutzen gereicht, so fühle ich mich hoch befriedigt und reich belohnt für das, was ich für den Börsenverein getan habe. Meine verehrten Herren? Mein lieber Kollege und Freund Herr vi-. Ehlermann hat eben so freundliche Worte an mich gerichtet, und Sie haben ihm ebenso freundlich zugestimmt, daß ich ihm und Ihnen hierfür von ganzem Herzen Dank sage. Es ist gewiß etwas Schönes, wenn das, was man erstrebt und was man vielleicht auch erreicht hat, nicht ohne Anerkennung bleibt. Aber, meine Herren, die Worte der Anerkennung sind für mich nicht das Wesentlichste, sondern die Worte der Freund schaft: die Worte, in denen Herr vr. Ehlermann es mir ausgesprochen hat, daß Sie, meine lieben Vorstands kollegen und auch meine lieben Vereinsgenossen, mir eine freundliche Gesinnung entgegengebracht haben. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen; und wenn ich die Versicherung geben darf, daß ich selber an diese drei Jahre meiner Vor- steherschaft im Börsenverein die schönsten Erinnerungen mit fortnehme, so bitte ich Sie alle, bewahren Sie mir auch in der Zukunft ein freundliches Gedenken. Ich bitte darum ganz be sonders meine Kollegen vom Vorstand, mit denen ich in schönster Eintracht gearbeitet habe und mit denen zusammen das erreicht worden ist, was wir erreicht haben. Aber nun möchte ich heute, wo ich zum letzten Male in meiner Eigenschaft als Vorsteher des Börsenvereins von dieser Stelle aus zu Ihnen reden darf, auch den Mitgliedern des Börsenvereins dafür danken, daß sie, unbeirrt durch das, was ihnen an Hoffnungen und Wünschen vielleicht unerfüllt geblieben ist, treu zum Börsenverein gehalten haben. Ich blicke auf eine lange buchhändlerische Tätigkeit zurück, und ich erinnere mich noch deutlich, mit welchem Interesse ich schon als junger Lehrling die Berichte über die Hauptversammlungen des Börsenvereins im Börsenblatt gelesen habe. Wie haben sich aber seit jenen Jahren die Verhältnisse im Börsenverein geändert! Während er früher die Beziehungen der Mitglieder zu einander und zum Publi kum grundsätzlich von seiner Betätigung ausschloß, hat er sie seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in den Mittel punkt seiner Tätigkeit gestellt, und er hat es seitdem als seine Hauptaufgabe angesehen, ausglcichend zwischen den Interessen der verschiedenen Zweige des Buchhandels zu wirken. Das ist eine schwere Aufgabe, denn man kann es dabei nicht allen recht machen; aber es ist auch eine schöne und dankbare Aufgabe; denn je komplizierter im Laufe der Jahre die wirtschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen und damit auch im Buch- Handel, geworden sind, desto nötiger ist eine solche ver mittelnde Tätigkeit, die die auseinanderstrebenden Teile immer wieder auf dem gemeinsamen Boden der all gemeinen Berufsinteressen zusammenführt. Diese hat der Börsenverein zu vertreten, und ich darf es aussprechen, daß der Vorstand bei all seinen Entschließungen immer vor Augen gehabt hat, daß jedem das Seine werden möge, daß dabei aber das große Ganze keinen Schaden leiden dürfe. Meine verehrten Herren, Verleger und Sortimenter sind die beiden Brüder im Buchhandel, die geschwisterlich zueinander stehen, die aber dennoch, wie das auch bei den besten Brüdern vorkommt, nicht immer eines Sinnes sind. Wenn das nun einmal der Fall ist, dann nimmt der Vorstand des Börsen vereins sie freundlich an die Hand, um sie wieder zusammen zuführen, und unsere Hauptversammlungen sind die Stätte, an der nach manchem Kampf doch immer eine Verständigung herbeigeführt worden ist. Kampf ist Leben, und darum wollen wir ihn nicht scheuen; aber leben und leben lassen ist der Grundsatz, ohne den keine menschliche Gemeinschaft bestehen kann, und darum dürfen wir Buchhändler, in deren Beruf sehr verschiedene berechtigte Interessen zur Geltung kommen wollen, trotz aller Wahrung der eigenen die Interessen der anderen nicht außer acht lassen. In der Einigkeit liegt unsere Stärke und die Gewähr für eine gedeihliche Entwicklung; und wenn ich heute von ihr mit besonderer Wärme rede, so ge schieht es, weil ich dem Börsenverein als meinen Abschieds wunsch zurufen möchte, daß in ihm allezeit über dem, was uns vielleicht hier und da trennen mag, das uns allen Gemein- 681