Volltext Seite (XML)
gemußt haben? Und sollte Nenard seinen großen Einfluß bei seinem Herrn zu Gunsten Gregg's verwendet haben?" Sie hatte sich der Mühle genähert und ging jetzt an dem säst zehn Fuß hohen Ufer weiter. Sie sah, daß das große Mühlrad in Bewegung war. Auf dem Steg spielte ein Knabe von etwa drei Jahren. Dies war des Müllers einziger Sohn und Abgott. Sechs Töchter waren seiner Ehe entsprossen, aber zu seinem großen Be- trübniß war kein Sohn gekommen, der seinen Namen erben konnte, bis endlich dieser Knabe erschienen war. Der Müller war besorgt für die Zukunft seines Sohnes und machte gerade um diese Zeit Anstrengungen, sein lebenslängliches Vesitzrecht in eine Miethezeit von neunundneunzig Jahren umzu wandeln, wodurch die Zukunft seines Sohnes gesichert worden wäre. Er hatte einen Brief deßwegen an den Marquis geschrieben, aber der Brief war bis jetzt unbeantwortet geblieben, weßhalb er sich vor genommen hatte, selbst zu Lord Montheron zu gehen, sobald dieser von London zurückkehren würde, um ihm eine formelle Petition zu überreichen. Der Müller war bei seiner Arbeit, als Alexa kam; seine Frau und Töchter waren nirgends zu sehen, und der Knabe, welcher der Gegenstand so viel väterlichen Stolzes und väterlicher Hoffnung war, setzte sein kostbarer- Leben auf's Spiel, indem er das niedrige Geländer des Steges erkletterte. In diesem Augenblick trat der Müller vor die Thür und sah die Gefahr, in welcher sein hoffnungs voller Sprößling schivcbte. In seiner Bestürzung stieß er einen Schrei aus, welcher die Katastrophe herbeiführte, die er fürchtete. Der Knabe erschrak, sah auf, um zu sehen, was geschehen sei, verlor dabei das Gleichgewicht und stürzte hinab in das Wasser. Der Müller'stand da wie erstarrt. Der Schreck hatte ihm die Geistesgegenwart genommen. Alexa eilte an den Steg. Ein Blick auf das rasch dem Wehr zustürzende Wasser und das im vollen Gange befindliche Nad ge nügte ihr, die Gefahr für das Leben des Kindes zu ermessen, und die Gefahr verlieh ihr den Muth, welche zur Rettung nothwendig war. Sie warf ihren Hut und Mantel ab, sprang das hohe Ufer hinab und stürzte sich in den Strom. Einige kräftige und rasche Bewegungen brachten sie zu dem Kinde, welches sie auf den Arm nahm, und dann strebte sie, mühsam gegen die Strömung kämpfend, dem Ufer zu. Der Müller war inzwischen herbeigeeilt und nahm das Kind zu sich, während ein Müllerbursche, den der Angstschrei des Vaters herbeigerusen, Alexa herauszog. Jetzt kamen auch des Müllers Frau und Töchter, klagend und weinend. Die Frau fiel Alexa um den Hals und pries sie in rührenden Worten. Der Mann stammelte schluchzend seinen Dank, küßte Alexa's Hand und bat sie, zu gestatten, ihr auf irgend eine Weise seine Dankbarkeit zu erkennen zu geben. Die Töchter aber baten Alexa, in's Haus zu treten, sich zu wärmen und trockene Kleider anzuziehen, welche Einladung die junge Dame sogleich annahm. Das Kind hatte keinen Schaden gelitten; seine Mntter traf die uöthigen Vorsichtsmaßregeln, um einer etwa folgenden Kälte vorzu- beugen, während Alexa in ein Zimmer geführt und mit den trockenen Kleidern der ältesten Tochter des Hauses, eines hübschen Mädchens von siebzehn Jahren, versehen wurde. Als dies geschehen, folgte Alexa dem Mädchen in die große Wohnstube, wo ihr der Ehrenplatz am Kamin angewiesen wurde und die Familienmitglieder sich um sie drängten, nm nochmals ihren Dank auszusprechen sür den großen Dienst, den sie ihnen erwiesen, und um sie zu preisen ihres MntheS und ihrer Geistesgegenwart wegen. „Ohne Sie, Miß, wäre unser Kind ertrunken!" äußerte der Müller. „Ich war wie vom Blitz getroffen und stand da wie von Stein, im Geiste das Kind schon dem Wehr zutreiben und vom Rade erfaßt sehend; bis ich Sie ihin nachspringen sah." „Wir wollen Ihre Kleider trocknen, Miß," sagte Mrs. Gregg. „Sie müssen sich unbehaglich in Mary's Kleidern fühlen, da Sie so groß sind und sie so klein ist. Mary, mache der Dame ein Glas Glühwein, damit sie sich wieder erholt." Alexa hatte sich bald so durchwärmt, daß sie keine nachtheiligen Folgen von ihrem kalten Bade zu befürchten hatte. Mrs. Gregg und die beiden ältesten Töchter bemühten sich fortwährend, es ihr so angenehm wie möglich zu machen. Der Müller saß an der andern Ecke des Kamins, seinen Sohn in den Armen haltend. Plötzlich fragte er, wem er die Erhaltung des Lebens seines Kindes zu dan ken habe. „Sie sind wahrscheinlich eine Fremde und wohnen im Dorfe Mont Heron, Miß?" fügte er hinzu. „Ich bin Bliß Strange, ein Gast von Mrs. Jngestre auf dem Schloß Montheron," antwortete Alexa. Der Müller betrachtete sie schärfer. „Sind Sie ein Mitglied der Familie Montheron, Miß?" fragte er weiter. „Sie haben große Aehnlichkoit mit derselben. Ihre Augen und das Haar besonders erinnem mich an Lord Stratford Heron." „Es ist mir schon von Andern gesagt worden, daß ich etwas Aehnlichkeit mit Lord Stratford Heron habe," entgegnete Alexa ruhig und froh, daß er die Anregung zu einer Unterhaltung über den Gegenstand, mit welchem sie mit ihm zu sprechen wünschte, gab. „Es heißt, daß er der Mörder des letzten Marquis war; ist es nicht so?" und ihre furchtlosen Augen waren forschend auf den Müller gerichtet. „Es heißt so?" stammelte Jacob Gregg, die Farbe wechselnd. „Nein, er war der Mörder." „Glauben Sie wirklich, daß Lord Stratford Heron seinen Bruder mordete?" fragte das Mädchen, die Augen noch immer fest auf ihn gerichtet. Der Müller wurde todtenbleich unter des Mädchens scharfem Blick und der kühnen Frage. Seine plötzliche Unruhe und das Zucken seiner Augen überzeugten Alexa, daß er mehr über das Mont- herondrama wußte, als irgend Jemand ahnte. „Das ist eine seltsame Frage, Miß," sagte er, sich zu einem Lächeln zwingend. „Jedermann glaubt es und warum sollte ich etwas Anderes glauben?" „Ich habe gehört, daß Sie zur Zeit des Mordes Gärtner auf dem Schlosse waren," sagte Alexa, „und daß Sie in der Nacht, als das Verbrechen begangen wurde, im Schlosse waren. Ich dachte, daß Sie etwas gesehen oder gehört haben könnten." „Ich, Miß? O, nein, ich hörte nichts und sah nichts." „Zu welcher Zeit verließen Sie in jener Nacht das Schloß?" fragte das Mädchen, scheinbar unbefangen. „Um elf Uhr. Ich erinnere, daß gerade die Thurmuhr schlug, als ich über die Terrasse ging. Hat Jemand darauf hingedeutet, daß ich etwas von dem Morde sah oder hörte?" „O nein. Niemand hat einen solchen Verdacht laut werden lassen. Ich habe die Geschichte zu verschiedenen Malen gehört und interessire mich sehr dafür. Da Sie nun auf Lord Stratford Heron anspielten, dachte ich, Sie könnten vielleicht etwas mehr Licht in die Sache bringen." „Ah!" stieß der Müller in leichterem Tone hervor. „Ich dachte, die Leute hätten sich etwas Freiheit im Gebrauche meines Namens erlaubt, der bisher noch in keiner Weise mit der traurigen Sache in Verbindung gebracht worden ist." „Sie haben hier eine hübsche Besitzung," bemerkte Alexa, sich umsehend. „Ja, Miß, ich bin ein glücklicher Mann, aber ich würde sicherlich der unglücklichste im ganzen Lande^geworden sein, hätte ich meinen Sohn verloren. Er ist die ganze Welt sür mich und ich hoffe, er wird dereinst ein Müller werden, wie ich selbst es bin." „Und dieses schöne Grundstück erben?" fragte Alexa. Des Müllers Stirn umwölkte sich. „Ich hoffe es," sagte er zögernd. „Lord Montheron ist sehr generös gegen Sie gewesen. Ich habe gehört, Sie stehen sehr in Ansehen bei ihm, Mr. Gregg. Der Müller lächelte, sehr seltsam, wie es Alexa schien. (F. f.) Zweite Sage aus der Pestzeit. Ein Schutzmittel gegen die Pest oder: Der Tod ans der Gottesackermauer. Zum zweiten Male kam die Pest r Da kamen eilig Jung und Alt, Den Menschen zum Bewerben, Zu thun nach seinem Willen, Zu prüfen ihres Glaubens Rest Den grossen Jammer alsobald In einem grossen Sterben. z Durch frommes Werk zu stillen. Es geigelte den Menschenschwall § Zum Gottesacker zogen sie Der Todesengel überall. ! Und sanken betend auf das Knie: Da bebten wohl in Dorf und Stadt i „O Herr, beende uns're Pein! Vor Furcht und Angst die Herzen. s Allvater, hab' Erbarmen! Man aß vor Kummer sich nicht satt i Es greift zu uns der Tod herein Und saß in Gram und Schmerzen. > Mit seinen Knochenarmen. Noch ehe ihn die Pest erreicht, ! Ach, wende unser Leid und Weh, War Manchem schon das Haar gebleicht, s Christ Kyr>e, Christ Kyrie!" Auch hier erkannte man die Noth : Da klingt es plötzlich wundersams Mit Seufzen und mit Trauern, ? Durch all' die tiefe Trauer. Und dachte an den schwarzen Tod > Wer sagt es wohl, woher er kam, Mit bangen Grabesschauern. Der Tod dort auf der Mauer? Man rang sich schier die Hände wund, ! Er sieht sie liegen in dem Staub, Und Seufzer lösten sich vom Mund. Des Schmerzes, vcr Verzweiflung Raub. Man suchte Beistand, Hilf' und Rath r Von seinen Lippen tönt ein Wort, Bei einem frommen Manne, s Zum Heil für sie erkoren; Zu fei'n durch eine heil'ge That z Von Lipp' zu Lippe klang es fort, Des Lebens kurze Spanne. ! Und nimmer ging's verloren: Er rieth, durch einen Büßerzug ' „Mt Wkernel, trinkt Aattnan, Zu heben dieser Krankheit Fluch. l Sonst müßt Ihr Heuer Me bran!" Das war ein Wort von gutem Klang, Zu rechter Zeit gesprochen. Beendet war der Krankheit Gang Und ihre Kraft gebrochen, Und dankbar spricht der schlichte Mann Vom Bibernell und Baldrian. A. Rother. * * Das Schutzmittel (?) gegen die Pest, wie e« bicr angegeben Ist, scheint auch in der oberen Gegend des BogtsaudcS bekannt gewesen zu sein. Der Spruch, den die Sage wörtlich so wieder- giedt, wie er im Volks,nunde bewahrt geblieben, ist dem Verfasser auch von einem „Selsniver Kinde" in ähnlicher weise nlitge,heilt worden. („Trinkt Baldrian, sonst müh« Ihr Alle dran."! Die Quellen, aus denen der Verkäster schöpfte, lieben bei der Erscheinung aus der Mauer die Wahl zwischen einem Engel und einer Gestalt. Nehmen sich di« Worte: „Eht Bibernell, trinkt Baldrian, sonst miibt Ihr Heuer Alle dran" im Munde eines Engels höchst sonderbar aus, so ist eine Gestalt auf's Geratbewohl hier nicht recht geeignet, ein deutliches Bild entstehen ,n lasten. Der Verfasser glaubte, in der „Gestalt" den „Tod" sehen zu diirsen, der, müde von der ent- seitlichen Arbeit, eine milde Regung verspürt, aber nicht umhin kann, da» rettende Mittel in Korm einer Drohung zu gehen. DerBerfasfer.