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„Lommatzsch-Riesa", „Zwickau-Falkenstein". Ist der Fahrplan einmal festgestellt, so macht dessen Aenderung in der Regel große Schwierig keiten, es empfiehlt sich daher dringend, daß von Seiten der betheiligten Ortschaften rechtzeitig Schritte gethan werden, daß die jedenfalls rentable Bahn, andern unrentablen Bahnen nicht nachsteht. Waldenburg. Eine mysteriöse Auffindung macht seit einigen Tagen im unserm Städtchen Verschiebens von sich reden und bietet zu vertraulichen Unterhaltungen und mancherlei Vermuthungen will kommenen Anlaß. In einem noch kein halbes Jahrhundert alten Wohnhause hier, haben Maurer bei Gelegenheit eines Veränderungs baues zufällig ein zeither ganz unbekannt gebliebenes Gewölbe ent deckt und in demselben einige größere und kleinere Knochen gefunden, die mit Lehm, Sand u. dergl. schlichtenweise bedeckt waren. Mue Tochter Hamburgs. Roman aus der Franzosenzeit von I. Steinmann. (Fortsetzung.) Im Wollnow'schen Hause herrschten große Unruhe und Besorg niß. Bernhard hatte am späten Abend das Haus verlassen und war nicht zurückgekchrt und alle Fragen und Nachforschungen bei Freunden und Bekannten erwiesen sich erfolglos. Niemand hatte ihn gesehen. Frau Wollnow lag auf dem Sopha, unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Ihre Augen brannten, aber keine Thräne kühlte ihren Schmerz; in den Schläfen pochte und hämmerte es zum Zerspringen und nichts war im Stande, ihre Unruhe zu beseitigen. Selbst die Nachricht, daß die Franzosen im Begriff seien, die Stadt zu verlassen, um den Russen unter Oberst Tettenborn Platz zu machen, konnte nicht den Druck, welcher auf dem Wollnowschen Hause lastete, Hinwegräumen. Es war beinahe außer allein Zweifel, daß Bernhard auf irgend eine Weise mit einem Franzosen in Streit gerathen und entweder gefangen genommen oder gar getödtet worden sei. Das Herannahen der Russen hatte die Wuth der Feinde nur noch mehr aufgestachelt, und sie waren eiligst bemüht, durch neue Grausamkeiten die Erinnerung an ihre Anwesenheit zu befestigen. Frau Wollnow's Zustand hatte einen Grad erreicht, welcher ihren Gatten veranlaßte, zu emem Arzte zu senden. Sie siel von einer Ohnmacht in die andere und der Schreck schien ihre Zunge vollständig gelähmt zu haben. Herr Wollnow saß an ihrem Lager und hielt ihre eiskalte Hand in der seinen. Da richtete sie sich plötzlich auf. Die Hausthür war in's Schloß gefallen, — ein rascher Schritt mf der Treppe und — „Bernhard!" schrie Frau Wollnow auf. Es war in der That ihr Sohn, welcher die Schwelle überschritt, aber wie sehr hatte er sich verändert! Herr Wollnow war seinem Sohne entgegengegangcn. Man nannte ihn einen stolzen Mann, niit einem harten Herze, und viel leicht nicht mit Unrecht. Manche behaupteten, das Unglück, welches so schwer über die Vaterstadt hereingebrochen, machte ihn so. — Andere sagten, der Tod seiner einzigen Tochter habe ihn zu Boden gedrückt. „Bernhard, — was ist geschehen?" rief er. „Ich bin in Gefangenschaft gerathen, aber — Gott sei Dank, ich' habe mich befreit." Leichenblässe bedeckte Frau Wollnow's Antlitz. „Bernhard, wenn, — wenn man Dich wieder ergreift." „Ich hoffe nicht," sagte er, indem er mit der Hand über die Stirn fuhr, als wolle er den Nebel verscheuchen, welcher seine Sinne umfangen hielt. „Die Franzosen sind auf der Flucht!" Eine Pause trat ein, — Niemand wagte sie zu unterbrechen, Niemand seine Befürchtungen laut werden zu lassen. Bis die Stadt nicht in der That von den Russen besetzt wurde, war Alles möglich. „Was ist geschehen, Bernhard, sprich!" wiederholte Herr Wollnow. Bernhard wurde noch bleicher und preßte die Rippen fest auf einander. „Erspare es mir, Dir das zu sagen, mein Vater. Ein Streit —" „Du hast einen Franzosen getödtet!" schrie Frau Wollnow auf. „Nicht getödtet, nur schwer verwundet, Mutter, — im ehrlichen Zweikampfe. Er hat es selber gewollt." Eine unheimliche Ahnung dämmerte in Frau Wollnow auf. „Wer war Dein Gegner?" fragte sie mit heiserer Stimme. „Lefort!" Während Frau Wollnow mit einem schweren Seufzer ihr Haupt in die Kissen drückte, glitt über das Gesicht ihres Gatten der Aus druck des Triumphes. Das starre Antlitz, welches seit Jahren von keinem Freudenschimmer erhellt wurde, war weich und sanft, ja, in seinen Augen glänzte ein feuchter Schimmer. „Bernhard, — Du bist mein Sohn," sagte er, sich zu demselben wendend. „Dieser eine Augenblick söhnt sich mit Vielen aus, — besser noch, Lefort's Name wäre ganz von der Erde vertilgt. Mein Fluch wird sich an ihm erfüllen. Was aber wird aus Dir?" „Ich fürchte mich nicht," entgegnete Bernhard ruhig, „mein Leben steht in Gottes Hand. Lefort hat den Zweikampf gewollt, nicht ich, — aber ich kann nicht läugnen, daß ich gut gezielt habe." Das letzte Wort erstarb ihm auf den Lippen. Gegen die Hausthür wurden laute, donnerähnliche Schläge ge führt. Gleich darauf hörte man einen Schuß. „Man sucht Dich!" schrie Frau Wollnow auf. Ihr Gatte war es, welcher sich zuerst faßte. „Still, — kein Wort! Folge mir, Bernhard, — ich werde Dich in Sicherheit bringen." Im nächsten Augenblick hatten beide Männer das Gemach ver lassen. Frau Wollnow saß, halbtodt vor Schreck und Angst, zusammen- gekauert in der Sophaecke. Sie sollte nicht lange darüber im Zweifel bleiben, ob ihre Befürchtungen sich als berechtigt erwiesen. Wollnow und sein Sohn konnten kaum die Hintertreppe erreicht haben, als bereits fünf bis sechs französische Soldaten in das Gemach stürmten. Die Franzosen stießen wilde Verwünschungen und Drohungen aus, als sie die Frau des Hauses allein sahen. Man hatte ihnen gesagt, daß sie die ganze Familie beisammen finden würden, und nun sahen sie sich schwer getäuscht. Frau Wollnow's zusammengcsunkene Gestalt, das bleiche Gesicht, von weißem Haar umrahmt, übte aber dennoch einen sichflichen Eindruck auf die wüsten Gesellen aus. Sie sprachen einige Worte mit einander, und dann stürzten sie durch dieselbe Thür fort, durch welche Herr Wollnow und Bernhard ver schwunden waren. Frau Wollnow stieß einen Schrei aus und dieser bestätigte den Suchenden, daß sie sich auf richtiger Fährte befanden, — mit lautem Jubelruf stürmten sie nach der Hintertreppe. Wer zählt die Minuten guallvoller Angst, welche jetzt vergingen? Wenn sie ihren Gatten und Sohn fanden, und — sie konnten beide finden, — durfte sie nur einen Augenblick darüber im Zweifel sein, was mit Beiden geschehen würde? General Lefort, — schon der Ge danke an den Mann, welcher für immer den stillen Frieden ihres Hauses gestört hatte, ließ sie zusammenschauern. — Bernhard hatte ihn tödtlich verwundet, vielleicht war er sogar schon in diesem Augenblick todt, was anders hatte ihr Sohn zu erwarten als Blut für Blut? Mehr als eine halbe Stunde verging. Für die unglückliche Mutter wurde die halbe Stunde zur Ewigkeit und während dieser ganzen Zeit tönte kein Laut in ihr stilles Gemach hinein. Nur von feru- herüber hatte es wie Kanonendonner gedröhnt, auch auf der Straße waren hintereinander mehrere Schüsse gefallen, aber das war nichts Besonderes, und sie war zu schwach im Glauben geworden, um zu hoffen, daß die Rettung so nahe sei. Aber auf der Straße wurde es lebendig, man hörte laute, jubelnde Zurufe. Was war das? Sollte wirklich die Befreiung nahen? Frau Wollnow erhob sich, obschon ihre Kniee wankten und ihre Füße sie kaum tragen wollten, um an das Fenster zu treten. Da hörte sie auf dem Hinteren Korridor Stimmen, — eine Minute später standen die Franzosen ihr wieder gegenüber, — allein. „Wir haben nichts gefunden, Madame, und für den Augenblick könnte uns ein einzelner Feind auch wenig nützen," sagte der Eine spöttisch. „Wir müssen fort, — die Russen sollen schon eingerückt sein. Aber, — vergessen Sie nicht, wir kommen wieder und werden unsern General rächen, — wir kommen wieder, Madame." Wenige Stunden später war Hamburg geräumt und Bernhard Wollnow gerettet. 4. Kapitel. E r inne r uugc n. Die Hände über die Brust gekreuzt, durchwanderte Bernhard sein Gemach. Die letzten Ereignisse hatten ihn sichtlich angegriffen, er sah blaß und krank aus; um seine Augen lagerten düstere Schatten. An wen dachte er? Es gab für ihn seit etwa zwei Wochen nur noch den einen Ge danken, an Hella Wolferding. Er hatte sie wiedergefunden, um sie beinahe in demselben Augenblick wieder zu verlieren. An jenem Abend war es zu einem Wortwechsel zwischen ihm und dem General gekommen, der sein Ende damit fand, daß derselbe ihn forderte. Bernhard wünschte keinen Zweikampf mit dem Manne; er hätte ihn lieber einem höheren Richter überlassen, aber — es blieb ihm kein Ausweg. Und als er ihn dann vor sich sah, das falsche Gesicht von der Morgensonnc beleuchtet, als er sich all' des Jammers erinnerte, den dieser Mann über seine Familie gebracht hatte und dann, — die letzte Nacht, wo er ihn aufschreckte aus einem süßen Traum, um ihm in's Ohr zu flüstern, daß Alles Lug und Trug und ein Weib wie das andere sei, war er zum Aeußersten entschloßen. Seine Hand zitterte nicht, als er die tödtliche Waffe auf seinen Gegner richtete und als Lefort zusannnenbrach und sein Blut die Erde röthete, da war keine Spur von Neue in ihm lebendig geworden. Es war nichts weiter als die Gerechtigkeit, welche den Franzosen zu Boden streckte. Man hatte Bernhard Wollnow verhaftet, aber, — die Furcht vor den Russen bemächtigte sich der Franzosen, die Disciplin fehlte und es wurde ihm leicht, zu entkommen. Die Aufregung in der Stadt begünstigte sein Vorhaben und — so war er gerettet worden. Vierzehn Tage waren seitdem verflossen. Das Regiment der Russen lastete kam minder schwer auf der Stadt, obschon Tettenborn