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und einige Andere einem Verhör unterwerfen wollten, würden Sie sich leicht von der Wahrheit überzeugen können. Soll ich Ihnen einen jener alten Zeugen herüberschicken?" „Noch nicht. Vielleicht werde ich sie später verhören." Der Marquis erhob sich. Er sprach von der Anordnung weiterer Festlichkeiten und entfernte sich dann. Lady Wolga sah ihm, als er über den Rasenplatz ging und sich zu den Spielenden gesellte, mit jenem seltsamen Ausdruck ihres Ge sichts nach, der schon am Tage vorher Alexa so sehr erschreckt hatte. Eine Weile später sah sie ihn sein Pferd besteigen und die Allee hinabreitcn. Sie ging in's Haus und schloß sich in ihrem Zimmer ein. Sie erschien beim zweiten Frühstück wie gewöhnlich und nahm dann an den Zerstreuungen ihrer Gäste Theil, wobei sie heiter wie immer war. Später unternahmen die Damen eine Fahrt auf dem Straudweg, Lady Wolga aber entschuldigte sich, daß sie sich nicht dabei betheiligen könnte, begab sich auf ihr Zimmer und ließ Alexa bitten, zu ihr zu kommen. Alexa kam und las ihr aus Byron's Gedichten vor, aber weder die Schönheit und der Inhalt der Gedichte, noch die weiche, und doch so ausdrucksvolle Stimme des Mädchens vermochten sie zur Aufmerksamkeit zu veranlassen. Alexa bemerkte ihre Zerstreutheit und innere Unruhe, und schrieb dieselbe dem heutigen Besuch des Marquis zu. „Ich bin heute nicht ganz in der Stimmung zum Zuhören, Alexa," entschuldigte sich Lady Wolga. „Ich bin so sehr von anderen Dingen erfüllt, daß es mir unmöglich ist, meine Gedanken zu be herrschen. Sie sehen blaß aus, mein liebes Kind. War der genrige Abend zu aufregend für Sie?" „O, nein, Malady," antwortete Alexa rasch. „Ich habe," sagte Lady Wolga freundlich, „mehrmals auf Ihrer» Gesicht einen Ausdruck gesehen, der nicht zu Ihrer Jugend paßt, einen Ausdruck, der auf ein bestimmtes Vorhaben, eine feste Entschlossenheit folgern läßt. Es ist ein sonderbarer Ausdruck, und es mag sein, daß ich ihn falsch ausgelegt habe. Es scheint mir, als hätten Sie einen geheimen Kummer. Wenn Sie einer Freundin bedürfen, hoffe ich, daß Sie sich vertrauensvoll an mich wenden." „Sie sind sehr gütig —" „Ich bin nur selbstsüchtig. Ich liebe es, glückliche Gesichter um mich zu sehen. Giebt es nichts, was ich für Sie thun kann? Ich hege große Freundschaft für Sie, und was ist die Freundschaft werth, wenn kein Anspruch auf Theilnahme oder Hülfe an sie gemacht werden kann?" „Ich bedarf keiner menschlichen Hülfe," antwortete Alexa. „Niemand kann nur helfen als Gott, welcher in alle Herzen schaut und dem alle Geheimnisse bekannt sind." „Sie sind vielleicht bekümmert um Ihren Vater?" fragte Lady Wolga, von ihrer Zuneigung zu dem jungen Mädchen angespornt, zu versuchen, ob sie Alexa nicht zu Mittheilungen bewegen könne. „Ist dies nicht Ihre erste Trennung von ihm?" „Die erste seit meiner frühesten Kindheit. Wir sind einander Alles in Allem gewesen, so lange ich zurückdenken kann." „Dann wundere ich mich nicht, daß Sie manchmal so besorgt sind. Es ist sehr hart, getrennt zu werden von denen, die wir lieben," und Lady Wolga seuf-te schwer. „Haben Sie von Ihrem Vater etwas gehört seit Ihrer Anwesenheit in England?" „Nein, Mylady; aber ich erwarte recht bald einen Vries." Die Züge des schönen Gesichts waren so ernst und sorgenvoll, daß Lady Wolga's Herz tief ergriffen wurde. Sie konnte nicht ahnen, daß dieses Mädchen ihre Tochter sei, weil diese ihrer Meinung nach todt war, — eine solche Möglichkeit konnte idr im Traume nicht einfallen, — und doch fühlte sich ihr Herz zu Alexa hingezogeu mit einer Zärtlichkeit, welche sie sich nicht zu erklären vermochte. „Sie haben mir noch nichts von ihrem Vater erzählt," sagte sie in gewinnender Weise, die des Mädchens Herz höher schlagen machte. „Ich wollte so gern, daß Sie mir mehr werden möchten, als eine bloße Gesellschafterin. Erzählen Sie mir etwas über Ihren Vater, Alexa. Ihre Mutter ist schon lange todt, sagten Sie, wenn ich nicht irre?" „Ich habe meine Mutter nicht gekannt." „Haben Sie keine Verwandten in England?" „Keine, welche von meinem Dasein wissen." „Und Sie wurden in Griechenland erzogen?" „Ja." „Entschuldigen Sie, mein Kind, aber ich vermuthe, daß Ihr Vater Verluste gehabt hat, welche ihn zwangen, in's Ausland zu gehen," sagte Lady Wolga schonend. „Es giebt viele Engländer, welche aus diesen Ursachen gezwungen sind, im Auslande zu leben. Ich wünsche nicht, Ihnen aufdringlich zu erscheinen, aber wenn es irgend etwas giebt, was ich thun kann, um Ihren Vater Ihnen näher zu bringen, so würde ich es mit Freuden thun. Ich habe Einfluß, und durch meinen Bruder, den Herzog von Clyffebourne, könnte ich ihm eine Staatsanstellung verschaffen, wenn ihm eine solche zusagen sollte." „Sie sind sehr gütig, Mylady," sagte Alexa mit schmerzerfüllter Stimme; „aber mein Vater wird nie nach England zurückkehren: es sei denn, daß ein großes Glück über ihn käme, — ein Glück, welches jetzt noch in so weiter Ferne blinkt, wie der Abendstern von der Erde." „Das Hinscheiden eines Verwandten vielleicht, den Ihr Vater zu beerben hofft?" fragte Lady Wolga. „Sie brauchen nicht zu ant worten, Alexa, ich kann warten, bis Sie mir Ihr Vertrauen schenken. Aber denken Sie über meinen Vorschlag nach und erwähnen Sie denselben gegen Ihren Vater in Ihrem nächsten Briefe. Sehen Sie Ihrem Vater ähnlich?" „Ja, aber ich bin auch meiner Mutter ähnlich," antwortete Alexa ruhig, obwohl ihr Herz so bewegt war, daß es ihrer ganzen Anstrengung bedurfte, um ihre Ruhe zu behaupten. „Ihr Vater muß ein stattlicher Mann sein," sagte Lady Wolga forschend. „Gleichen seine Augen den Ihrigen?" „Sie sind blau wie die meinen," antwortete das Mädchen vor sichtig, „und er ist so herzensgut, wie er edel ist." „Ich wundere mich, daß Sie ihn verlassen konnten. Sie waren sein einziges Kind, wie Sie sagten?" „Unser Haus wurde von Räubern niedergebrannnt, und der Hauptmann hatte geschworen, mich fortzuführen, dehhalb war ich dort nicht sicher und bat meinen Vater, mich nach England reisen zu lassen. Es war hart für ihn, seine Zustimmung geben zu müssen, aber er sah ein, daß es so am Besten sei." „Lord Kingscourt hatte unlängst ein gefährliches Abenteuer mit griechischen Banditen," sagte Lady Wolga. „Er wurde von ihnen längere Zeit gefangen gehalten, und darauf lag er mehrere Monate krank in der Hütte eines Weingärtners. Wie war der Name Ihres Verfolgers?" „Spiridion." „So hieß auch derjenige, welcher Lord Kingscourt gefangen nahm. Sie sollten einmal mit dem Grafen darüber sprechen." Alexa war mehr als einmal versucht gewesen, Lady Wolga zu sagen, daß sie den Grafen schon in Griechenland kennen gelernt hatte. Es schien ihr ungerecht, vor ihrer Mutter ihre Bekanntschaft mit dem Grafen geheim zu halten. Das Bekanntwerden ihrer Beziehungen zu Lord Kingscourt konnte ihre Mission nicht beeinträchtigen oder ihrem Vater gefährlich werden. Ihr Gesicht wurde glühend roth, als sie schüchtern sagte: „Haben Sie die ganze Geschichte von Lord Kingscourt's Aben teuer gehört?" „Gewiß, ich hörte sie von Lord Kingscourt selbst und von Mr. Bertin Kollys. Sie erzählten von ihrem Leben in der Räuberhöhle, von Spiridion's Grausamkeit und von ihrer Befreiung im Augenblick der höchsten Gefahr durch ein junges griechisches Mädchen. Der Graf muß sein Herz an diese liebliche Griechin verloren haben. Er blieb drei Monate in ihrem Hause, wo er krank daniederlag." Alexa's Antlitz übergoß glühende Nöthe. „Lady Wolga," sagte sie entschlossen, „das junge griechische Mädchen, welches Lord Kingscourt und Mr. Kollys befreite, bin ich." „Sie?" „Ja, Mylady. Und Lord Kingscourt war nicht krank in der Hütte eines Weingärtners, sondern in meines Vaters Hause. Unsere Diener pflegten ihn." „Davon hatte ich keine Ahnung!" rief Lady Wolga erstaunt. „Ich würde es Ihnen schon früher gesagt haben, aber ich hatte keine Gelegenheit dazu," erklärte Alexa, „auch war ich noch nicht mit mir selbst einig, was ich thun sollte." „Und Sie sind das junge griechische Mädchen, von welchem ich so viel gehört habe?" fragte die Lady. Haben Sie mir Alles erzählt?" „Nicht Alles," antwortete Alexa, ihre Augen niederschlagend. „Der Graf war mir zugethan und wollte mich heirathen, mein Vater aber verweigerte seine Einwilligung, und — das ist. Alles. Als ich nach England kam, dachte ich nicht daran, daß ich mit dem Grafen zusammentreffen würde." „Ich bin davon überzeugt. Aber welch' ein interessantes Aben teuer! Ich habe nie vermuthet, daß Sie den Grafen früher gesehen hatten, aber nun wundere ich mich, daß ich so blind gewesen bin. Ist die Heirath ganz außer Frage, Alexa?" „Sie ist unmöglich, Lady Wolga, es sei denn, daß das Glück, von welchem ich vorhin sprach, meinen Vater wieder nach England zurückkehren läßt. Es besteht keine Verlobung zwischen Lord Kings court und mir. „Ich kenne ihn hinreichend, um zu wissen, daß, wenn er einmal liebt, er für immer liebt. Ich kenne ihn als ein Muster von Ehr lichkeit und als würdigen Repräsentanten eines großen und vornehmen Hauses, und es würde mir lieb sein, wenn ich die Rolle der guten Fee für Sie Beide spielen könnte. Seien Sie aufrichtig gegen mich, Alexa. Sind es ungünstige Vermögensverhältnisse, welche Ihrer Verbindung entgegenstehen?'" „Nein, es ist mehr als das!" rief Alexa leidenschaftlich. „Sie können uns nicht helfen, Lady Wolga. Niemand als Gott kann uns helfen! Selbst wenn mein Vater seine Einwilligung zn der Heirath geben würde, könnte ich Lord Kingscourt nicht heirathen." „Und doch, lieben Sie ihn?"