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8 ls. Wer für einen verbotenen Verein oder für eine verbotene Versamm lung Räumlichkeiten hergiebt, wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre bestraft. tz 19. Wer eine verbotene Druckschrift (88 1l, IS), oder wer eine von der vorläufigen Beschlagnahme betroffene Druckschrift (8 15) verbreitet, fortsetzt oder wieder abdruckt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft. 8 so. Wer einem nach 8 16 erlassenen Verbote zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft. Außerdem ist das zufolge der verbotenen Sammlung oder Aufforderung Empfangene oder der Werth desselben der Armenkasse des Orts der Sammlung für verfallen zu erklären. 8 2l. Wer ohne Kcnntniß, jedoch nach erfolgter Bekanntmachung des Ver bots durch den Neichsanzeiger (88 6, lS) eine der in den 88 17, 18, I9 ver botenen Handlungen begeht, ist mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft zu bestrafen. Gleiche Strafe trifft Ten, welcher nach erfolgter Bekanntmachung des Ver bots einem nach 8 16 erlassenen Verbote zuwiderhandelt. Die Schlußbestimmung des 8 so findet Anwendung. 8 22. Gegen Personen, welche sich die Agitation für die im 8 l Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zum Geschäft machen, kann im Falle einer Vernrtheilung wegen Zuwiderhandlungen gegen die 88 17 bis SO neben der Freiheitsstrafe auf die Zulässigkeit der Einschränkung ihres Aufenthaltes erkannt werden. Auf Grund dieses Erkenntnisses kann dem Verurtheiltcn der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften durch dieLandespolizeibehördc versagt wer den, jedoch in seinem Wohnsitze nur dann, wenn er denselben nicht bereits seit 6 Monaten inne hat. Ausländer können von der Landespolizcibchörde aus dem Bundesgebiete ausgewiesen werden. Die Beschwerde findet nur an die Aufsichts behörden statt. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre bestraft. 8 23. Unter den im 8 22 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann gegen Gaflwirthe, Schankwirthe, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibenden Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lese- kabinetcn neben der Freiheitsstrafe auf Untersagung ihres Gewerbebetriebes erkannt werden. 8 24. Personen, welche eS sich zum Geschäft machen, die im 8 1 Absatz 2 bezeichneten Bestrebungen zu fördern, oder welche auf Grund einer Bestimmung dieses Gesetzes rechtskräftig zu einer Strafe vcrurtheilt worden sind, kann von der Landespolizeibehörde die Befugniß zur gewerbsmäßigen oder nicht gewerbs mäßigen öffentlichen Verbreitung von Druckschriften, sowie die Befugniß zum Handel mit Druckschriften im Umherziehen entzogen werden. Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt. 8 25. Wer einem auf Grund des 8 23 ergangenen Urtheil oder einer auf Grund des 8 24 erlassenen Verfügung zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark, oder mit Haft oder Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft. 8 2(i. Zur Entscheidung der in den Fällen der 88 8, 13 erhobenen Be schwerden wird eine Kommission gebildet. Der Bundesrath wählt vier Mitglieder aus seiner Mitte und fünf aus 'der Zahl der Mitglieder der höchsten Gerichte des Reichs oder der einzelnen Bundesstaaten. Die Wahl dieser f""f Mitglieder erfolgt für die Zeit der Dauer dieses Ge setzes und für die Dauer ihres Verbleibens im richterlichen Amte. Der Kaiser ernennt den Vorsitzenden und aus der Zahl der Mitglieder der Kommission dessen Stellvertreter. 8 27. Die Kommission entscheidet in der Besetzung von fünf Mitgliedern, von denen mindesten drei zu den richterlichen Mitgliedern gehören müssen. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist den Betheiligten Gelegenheit zur münd lichen oder schriftlichen Begründung ihrer Anträge zu geben Die Kommission ist befugt, Beweis in vollem Umfange, insbesondere durch eidliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, zu erheben oder mittelst Ersuchens einer Behörde des Reichs oder eines Bundesstaats erheben zu lassen. Hinsichtlich der Ver pflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu lassen, sowie hin sichtlich der im Falle des Ungehorsams zu verhängenden Strafen kommen die Bestimmungen der am Sitze der Kommission beziehungsweise der ersuchten Bc- Hörde geltenden bürgerlichen Prozeßgesctze zur Anwendung. Die Entscheidungen erfolgen nach freiem Ermessen und sind endgiltig. Im Uebrigen wird der Geschäftsgang bei der Kommission durch ein von derselben zu entwerfendes Regulativ geordnet, welches der Bestätigung des Bun desraths unterliegt. 8 28. Für Bezirke oder Ortschaften, welche durch die im 8 1 Abs. 2 be zeichneten Bestrebungen mit Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedroht sind, können von den Zentralbehörden der Bundesstaaten die folgenden Anordnungen, soweit sie nicht bereits landesgesetzlich zulässig sind, mit Genehmigung des Bun desraths für die Dauer von längstens Einem Jahre getroffen werden: 1. daß Versammlungen nur mit vorgängiger Genehmigung der Polizeibe hörde stattsinden dürfen; auf Versammlungen zum Zweck einer ausge schriebenen Wabl zum Reichstag oder zur Landesvertretung erstreckt sich diese Beschränkung nicht; 2. daß die Verbreitung von Druckschriften auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten nicht stattsinden darf; 3. daß Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist, der Aufenthalt in den Bezirken oder Ort schaften versagt werden kann; 4. daß der Besitz, das Tragen, die Einführung und der Verkauf von Wassen verboten, beschränkt oder an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird. Ueber jede auf Grund der vorstehenden Bestimmungen getroffene Anord nung muß dem Reichstage sofort, beziehungsweise bei seinem nächsten Zusammen trete» Rechenschaft gegeben werden. Die getroffenen Anordnungen sind durch den Reichsanzeiger und auf die für landespolizeiliche Verfügungen vorgcschricbene Weise bekannt zu machen. Wer diesen Anordnungen oder den auf Grund derselben erlassenen Ver fügungen mit Kenntniß oder nach erfolgter öffentlicher Bekanntmachung zuwider handelt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder Ge fängniß bis zu sechs Monaten bestraft. 8 29. Welche Behörden in jedem Bundesstaat unter der Bezeichnung Landespolizeibehörde, Polizeibehörde zu verstehen sind, wird von der Zentralbe hörde des Bundesstaates bekannt gemacht. 8 30. Dies Gesetz tritt mit' dem Tage der Verkündigung in Kraft und gilt bis zum 31. März 1881. Urkundlich re. Tagesgeschichte. Berlin, 22. October. Das Socialistengesetz ist unter dem 2l. Oct. in Poisram vom Kronprinzen unterzeichnet worden und ist die amtliche Publikation unmittelbar bevorstehend. — Bei der Abstimmung über das Sozialistengesetz fehlten 26 Abgeordnete, wovon 20 zu den Gegnern des Gesetzes gehören. Da raus erklärt sich die Thatlache, daß die Majorität die ganz unerwartete Höhe von 72 Stimmen erreichte, während man auf nur fünfzig bis sechSzia Stimmen gerechnet hatte. Berlin. Wie die „N. A. Z." mitlheilt, ist das TodeSurtheil gegen den wegen Raubmordes verurtheilten Thürolf in Berlin durch königliche Ordre vom 9. d. M., auf Grund des von dem Iustizminister erstatteten Berichts und in Gemäßheit des in diesem Bericht gestellten Antrages, in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt worden. Officiös wird dazu bemerkt: „Der Antrag des IustizministerS auf Umwandlung der Strafe kann nach Lage der Sache nur dadurch be- gründet sein, daß vom juristischen Standpunkt der Beweis, das Verbrechen verübt zu haben, gegen Thürolf nicht vollständig geführt ist. In solchen Fällen aber ist nicht bloS unter der Regierung des jetzigen Königs, sondern Wohl jeder Zeit die Vollziehung des TodeS- urlheils unterblieben. Der Kronprinz zumal konnte in seiner stellver tretenden Negierung nach der allseitigen Lage der Verhältnisse einen Entschluß gegen den Antrag des Justizministers nicht wohl treffen." Aus Baden. Eine nach Zeit und Ort kaum glaubliche Mit- tbeilung der „Hcidelb. Ztg." aus Heidelberg lautet: „Eine hiesige Familie erhielt am 14. Oktober durch den hiesigen Vertreter des hl. Vaters die Nachricht, daß ihre 2ljährige Tochter, welche vor einigen Monaten mit einer englischen Familie nach Frankreich gegangen war, in einem Kloster in Paris sich befinde und daß nur durch ihn Briefe an ihre Tochter vermittelt werden könnten! Den Namen des Klosters zu nennen, wäre gegen das Interesse der Nonnenmacherei. DaS Mädchen muß erst gehörig eindressirt sein, dann, etwa nach einem Jahre, können die Eltern auch den Namen des Klosters erfahren, da das Heranöholen dann wohl nicht mehr möglich ist. Ein nettes Christen- tbum das!" Da müßte doch, wenn die Sache sich so verhält, Abhilfe möglich sein. London, 22. October. Telegramm der „Dailynews" aus Simla vom 21. d. Der Afghanenkrieg ist nunmehr unvermeidlich. Die Antwort des Emirs an den Vicekönig von Indien besagt: „Macht was Ihr wollt, das Ende sieht in Gottes Hand." Die Antwort des Emirs ist der Negierung nach London telegraphirt worden. Die Aeußerung der Regierung über das nunmehr einzuschlagende Verfahren wird bis Mittwoch erwartet. Lokales und Sächsisches. Dresden. Im kgl. Justizministerium werden augenblicklich die Verordnungen festgestellt, die zur Durchführung des Sozialistengesetzes sich erforderlich machen. Auch die Gendarmerie in der Provinz hat bereits Instruktionen erhalten, die mit der Handhabung des Gesetzes im Zusammenhang stehen. — Seltenes Frachtgut passirte am Sonn abend die Linie Dresden-Bodenbach. Ein Gülerzug brachte, in zwei geschlossenen Waggons verpackt, von Hamburg nach Wien bestimmt, 30,000 lr^ Silber in Barre», welche wohl einen Werth von ca. 5 Millionen R.-M. darstellten und von drei kaiserl. österreichischen Wächtern, wahrscheinlich Beamten der kaiserl. Nalionalbank in Wien begleitet waren. — Die hier erscheinende „Dresdner Volkszeitung", Organ der Sozialdemokratie, wird sich vom 1. Nov. d. I. in eine „Dresdner Bürgerzestung" verwandeln. Der zeitberige Advokat und Notar Otto SidoniuS Wilhelm Cunradi in Dresden ist in Folge des AuSgaugs einer wider ihn an hängig gewesenen Untersuchung der Aemler der Advokatur und des Notariats entsetzt worden. Dresden, 19. Oktober. Die sozialdemokratische DreSd. „Volks- Zeitung" meldet: „Wie unser gefangener Redakteur Reichstagsabge ordneter Max Kaiser, der sich am Mittwoch auf einen Augenblick unter Bewachung bei uns einfand, mittheilte, wird derselbe nach Ab lauf seiner Haft ans Dresden ausgewiesen werden." Leipzig. In den Gartenanlagen des SchützenhanseS werden so fort die Arbeiten für ein großes Aquarium in Angriff genommen, um dasselbe bis zur nächstkommenden Ostermesse fertig zu stellen. ES ist hierfür die ganze rechte Seite des Vordergartens, nebst Veranda und Kegelschub, in Aussicht genommen. Das Aquarium soll 2l Becken umfassen und in der Mitte ein großes Bassin zur Aufnahme von Krokodilen und andern größere» Reptilien enthalten. Chemnitz. Da bereits in kurzer Zeit das JnSlebentreten deS SocialvemokratengesetzeS erwartet wird, nimmt die „Chemnitzer freie Presse" in ihrer SonMogSnummer Abschied. Sie erklärt, daß sie al» socialdemokratisches Parteiorgan unter diesem Gesetze nicht weiter be stehen kann. Zwickau, 21. October. In der Nacht vom Sonnabend zum Sonncag wurde in dem benachbarten Dorfe Bockwa ei» Mordversuch begangen, bei welchem zweifellos die Absicht deS Raubes vorlag. Der Gänsehändler Noth aus Böhmen, welcher eine nicht unerhebliche Summe Gelbes bei sich führte und in dem Falck'schen Gasthofe in Bockwa auf der Streu übernachtete, wurde auf seinem Nachtlager von einem Manne überfallen und mittelst eines langen Messers in den Hals gestochen. Bei dem sich entspinnenden Kampfe wurden dem' Roth überdies 3 Finger der rechten Hand ziemlich durchschnitten und