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„Gewesen/' fiel Namberg ein, „also find Sie ein Deutscher, wie ich, dessen Wiege zufällig in Berlin stand, der ich aber meine Kind heit in Westphalen verbracht habe. Lassen wir doch unvertilgbaren Thatsachen gegenüber den steten Hader über das unerquickliche Kapitel, der jeden anderen Deutschen, der Sie nicht so genau kennt, als ich, verletzen muß. Mir sind Sie hier freilich gerade einer meiner liebsten Landsleute, mit dem ich mich um keinen Preis entzweien möchte." Eben ging ein ältlicher Herr vorüber, an dessen ganzer Haltung man trotz seines CivilanzugeS den allen höheren Militär erkannte. „Mein Gott, sehe ich recht," rief Namberg unv sprang ans, „das ist ja der General von Krafft!" Er entschuldigte sich bei Weldorf und eilte dem Herrn nach, an dessen Seite er bald zurückkehl le; den Freund fand er indessen nicht mehr. Jedenfalls Halle sich derselbe, ein enragirter Hannoveraner und fanatischer Anhänger des blinden WelfenkönigS, grollend entfernt, um nicht in Berührung mit einem preußischen General zu kommen. „Aber mein lieber Baron, wie kommen Sie hierher?" sagte der General, nachdem sie Platz genommen halten. „ES ist schon das zweite Mal, daß ich mich in Wien aufhalte," gab Fritz zur Antwort, „ich gedenke den ganzen Sommer hindurch hier zu bleiben." „Das ist ja prächtig," rief der General vergnügt, „ich hege dieselbe Absicht und hätte es für meine Frau auch nicht besser treffen können. Hier den großartigsten Weltverkehr und daneben, was das Wohnen anbelangt, die reine Idylle! Wir wohnen nämlich auf dem Lande, draußen in Hitzing, im Lnmpazi-Dörfel. Freilich ist es, seit der König von Hannover dort resicirt, sehr wodernisirt worden," setzte er dann scherzend hinzu, „was thut man aber einer Frau nicht zu Liebe! Ich hoffe doch, Sie werden mir durch Ihren Besuch Gelegenheit geben, Sie meiner Gattin verstellen zu können?" „Das trifft sich ja wunderbar," bemerkte Fritz, „auch ich habe mein Quartier ganz in Ihrer Nähe aufgeschlagen und zwar in Pentzing." „Herrlich, herrlich!" unterbrach ihn der alte Herr. „Excellenz werden sich erinnern," fuhr Fritz fort, „daß ich meine erste Reise nach Wien in Begleitung Ihres Sohnes machte. Der besondere Zweck, der mich nach Oesterreich führte, dürfte Ihnen aber unbekannt sein. Ich suche nämlich schon seit Langem eine junge Dame, ohne daß es mir bis jetzt gelungen wäre, sie zu finden." „Warum nicht gar!" rief der joviale alle Herr, „das läßt sich hören, die Geschichte kann interessant werden!" „Für mich ist es eine Ehrenpflicht und eine Lebensaufgabe," fuhr Fritz fort. „Excellenz werden durch August erfahren haben, daß ich plötzlich Erbe von SYberg geworden bin, auch, daß mein Großvater seine Großnichte, Fräulein Melanie von Kaiserberg, welche die Freude und Pflegerin seines Alters war, auffallender Weise in keiner Art testamentarisch bedacht hat. Das gulzumachen, halte ich für Tilgung einer Ehrenschuld. Der Umstand, daß des Fräuleins Mutter, eine geborene von Tronsberg, eine Oesterreicherin war, und ich vermulhete, daß sie sich bei Verwandten in Oesterreich aufhalte, führte mich hier her. Alle meine Bemühungen sind indessen erfolglos geblieben. Der einzige des Namens von Tronsberg, den ich ermittelt habe, ist ein alter Polizeirath in Wien, der leioer auch keinerlei Auskunft über die Dame zu geben im Stande war, überhaupt vou ihrem Dassin kaum etwas wußte. Herr Polizeirath von Tronsberg, ein Ehrenmann, den ich von dem Sachverhalt in Kenntniß setzte, hat ebenfalls die ein gehendsten Nachforschungen angestellt, allein auch resultalloS. Ich bin seitdem in Italien unv in der Schweiz gewesen, allein ein unbe stimmtes Gefühl, als ob ich Melanie hier finden müßte, hat mich wieder nach Wien getrieben." „Sie sind ein ganzer Edelmann," sagte ver General mit Wärme, „ganz wie es Ihr braver Vater war. Nun sagen Sie mir aber auch, wie Sie darauf gekommen sind, Ihr Domicil gerade in Pentzig auf zuschlagen?" „Das habe ich eigentlich Ihrem Herrn Sohn zu danken, der mich, als wir uns im vorigen Jahre gemeinschaftlich hier aushiellen, mit einem Herrn von Weldorf bekannt machte, der auf mein schiiftliches Ersuche», mir dort draußen, wo er selbst wohnt, eine Privalwohnung besorgte." Eben fuhr eine offene Equipage vorüber, in welcher eine junge, einfach gekleidete Dame mit einem hübschen Kinde saß, die, als sie den General erblickte, die Equipage anhalten ließ. Der General halte die Ankömmlinge bemerkt und sagte: „Leider muß ich Sie verlassen, mein lieber Baron; Sie müssen aber morgen bei mir speisen, damit Sie nunmehr auch meine Frau kennen lernen." Fritz schlug in die dargcbotene Rechte ein und sagte zu. Dann begleitete er den alten Herrn zum Wagen, der, nachdem sein väter licher Freund eingestiegen war, langsam dahinrollle. Die liebliche Schönheit des jungen Mädchens frappirte Fritz; eS lag in dem bleichen und doch so lebendigem Gesichte ein wunderbar fesselnder Ausdruck und noch lange stanv das freundliche Bild des Mädchens mit dem Goldhaar vor seiner Seele. Es war ihm, als sei er irgendwo im Leben dieser anziehenden Persönlichkeit schon be gegnet; allein umsonst strengte er sein Gedächtniß an, zu ermitteln, wol Wer mochte sie sein? Die Tochter des Generals unmöglich; denn diese kannte er persönlich, sie lebte mit ihrem kranken Gemahl in Genf, wo er unlängst ihre Bekanntschaft gemacht halte; sie war übrigens auch alter. Die Begegnung mit dem General, der seinen Eltern befreundet gewesen war und ihn aus der Taufe gehoben Halle, that ihm unend lich wohl. — Am Abend, kaum in seiner Behausung angelangt, wurde Fritz nach der Wohnung seines Freundes Weldorf gerufen. Man hatte denselben bewußtlos und blutend nach Hause gebracht. Ein unbe sonnener Sprung aus der Pferdeeisenbahn hatte ihm eine schwere Ver letzung zugezogen. Die Hast und Aengstlichkeil, mit welcher er Fritz in seinem ersten lichten Augenblick bat, seine Privatbriefc und sonstige Schriftstücke in Verwahrung zu nehmen, und die Dringlichkeit, mit welcher er ihn ersuchte, darüber unverbrüchliches Schweigen zu be obachten, bestätigte in Fritz die Vermuthung, Weldorf, sich doch immer noch nicht von der so aussichtslosen Agitation für seinen blinden König fern hielt und sich in politischen Verwickelungen befand, die möglicher weise seiner Freiheit Gefahr bringen oder seine Ausweisung zur Folge haben konnten. Die Zeil, in welcher Fritz, der dem sonst höchst achlnngswerlhen Manne von Herzen zugelhan war, diese Entdeckung machte, war bei dem Zustande des Kranken für Warnungen nicht geeignet, und da dessen lichte Augenblicke sehr selten waren, so kam Fritz häufig in die Lage, m,t verschiedenen politischen Freunden Weldors'ö in Berührung zu kommen und deren Aufträge enlgegenneymen zu müssen. Sobald als möglich erledigte er zwar diese Commissionen, er nahm sich indessen doch vor, Weldorf, den er auf einer so gefährlichen Bahn getroffen hatte, schützend zur Seite zu stehen, statt ihn in seiner Verblendung dem Einflüsse politisch gravirter Personen zu überlassen, die sich mit vollkommen unausführbaren Jveen trugen, und da er immerhin darnntcr einige recht achtungSwerlhe Männer kennen lernte, so gab er sich der Hoffnung hin, durch ruhige Besonnenheit wohllhätig auf die selben einwirken zu können. Erst im Laufe der Genesung seines Freundes erfuhr Fritz, daß man bereits dem Treiben der Anhänger des entthronten Königs nachspüre. In Folge von Wcldorf's Unfall hatte Fritz der Einladung des Generals nicht nachkommen können; nachdem aber die Gefahr für das Leben des Freundes vorüber war, folgte er dessen wiederholter Ein ladung. Der General bewohnte eine der reizenden Villen des „Lumpazi- Dörfels" in Hitzing. Ein kleines, etwa fünfjähriges Mädchen kam zu fällig aus einer der Thüren und blickte neugierig den Gast an, und gleich darauf erschien auf einer Nebentreppe eine junge Dame, in welcher Fritz das Fräulein wieder erkannte, welches mit der Kleinen im Prater spazieren fuhr. Er grüßte höflich und die Dame dankte errölhend. Dann winkte sie dem kleinen Mädchen und entfernte sich freundlich lächelnd mit demselben. Ein Diener führte ihn in das Empfangszimmer des Generals. Die Männer hatten sich eben begrüßt, als hinter ihnen die Portiere anSeinanderrauschte und Fritz, durch das Geräusch veranlaßt, sich um- wendete. Zum Glück war auf diese Weise dem General sein Gesicht ent zogen, denn es würde demselben nicht entgangen sein, welch' jähe Ueberraschung sich in Fritzens Antlitz malte. Vor ihm stand — Helene, Helene, die er so innig geliebt, für die er so unsäglich gelitten halte, ein Bild glühender Gesundheit und in den üppig verlockenden Reizen früherer Tage, die einst alle seine Sinne umstrickt halten. Sie war ihrerseits längst auf diesen Augenblick vorbereitet und empfing ihn mit wohl einstudirter Sicherheit. Auf die Vorstellung ihres Gemahls entgegnete sie unbefangen: „O, lieber Krafft, wir kennen uns schon. Erinnern Sic sich, Herr Baron, daß wir uns im Grand Hotel zu Berlin bereits gesehen haben?" Wie aus einem Traume fuhr Fritz empor. ES gehörte die ganze Harmlosigkeit des Generals dazu, seine große Verlegenheit auf Rech nung von Blödigkeit im Umgänge mit Frauen zu schieben. Krafft übernahm deßhalb für's Erste die Unterhaltung. Widerstreitende Gefühle kämpften in der Brust des jungen Maunes; das plötzliche Wiedersehen, die schmerzlichen Erinnerungen und die Folter der gegenwärtigen Situation rangen nm den Preis. All' das Weh, das er um sie erduldet, die ihn ohne Kamps autgegeben hatte, trat wieder vor seine Seele. Ihre heitere, blühende Schönheit dagegen sprach freilich nicht dafür, das auch sie gelitten Halle. (Forlsetzung folgt.) Vermischtes. * Berlin, 28. Juni. StronsbergS ConcurS schwebt jetzt vor dem hiesigen Stadtgerichte. Er hat seinen Gläubigern einen Vergleich angeboren, wonach er ihnen binnen drei Jahren 3 Procenl ihrer Forderungen auszuzahlen sich anheischig macht. Da seine Schulden sich auf 70 Millionen Mark belaufen, so würde er immei hin über 2 Millionen auSzuzahlen haben.