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das Leben nicht zu verderben. Aber so, es ist auf Ehre unverzeihlich, ganz unerhört, — erzieht er die schöne Melanie erst in der Gewißheit, daß sie seine Universalerbin sei, gewöhnt sie an die Ansprüche und den Glanz ihrer Stellung, um sie, hinterher enterbt, in der drückenden Armuth verkommen zu lassen, um eines ganz gewöhnlichen Menschen willen, den er vielleicht niemals gesehen Hal. Für solch' eine» Bauern- sprößling wäre eö schon ein außerordentliches Glück gewesen, wenn ihm eine jährliche Rente von tausend Thalern ausgesetzt worden wäre. Wahrlich, es thut Noth, daß der Slaat solche alte Herren, wie der Baron einer war, zwänge, anständige Testamente zu machen, damit solches Unglück, wie bas des armen Fräuleins Melanie verhület werde." „Auch das hat sein Gutes!" entgegnete der Andere und blieS den Dampf seiner Cigarre In blauen kunstgerechten Ringen in die Luft, „es hätte schlimmer kommen können." „Wie so?" fragte der Jüngere lebhaft." „Nun, wenn die „schöne Melanie" z. B. einen unserer Herren Referendare und OffizierSaspiranden erhört hätte, der ihr möglicher weise seine glänzende Lansbahn geopfert hätte, um ans Shberg ihre Einsamkeit »heilen zu können," spöttelte der Andere. „Nicht sticheln, wenn ich bitten darf," schnarrte der Neferendarins verdrießlich, „mich treffen Deine Anspielungen auf Ehre nicht; kenn ich habe mich nicht um das Fräulein beworben; übrigens bemesse ich meine Liebe nicht nach den Einkünften meiner Zukünftigen." „Ack so," spöttelte der Andere weiter. „Du hallst eö mit dem Refrain des Couplets: „Er blieb ein Res'renduS und sie, sie nähte Hauben." Ich hätte Dich für vernünftiger gehalten. Ich kenne diese „reizende Melanie" zwar nicht," fuhr er fort, „die Welt dafür aber desto besser und Welte, daß jetzl alle ihre Anbeler verschwunden sink. Besitzt das Fräulein kein Privalvcrmögen?" „Keinen Heller!" entgegnele der Referendar. „Wie ich höre, will sie sich zu milleidigen Verwandten nach Oesterreich begeben, die aber auch nichts besitzen. Man hat ihr einen Vormund bestellt und jetzt befindet sie sich noch kurze Zeil bei einer Frau von Pape, der Willwe eines früheren Salzbarons in Werl." „Da hätte sie sich an den jetzigen Erben halten sollen," meinte der Aeltere und Verständigere der beiden Herren. „Aber Brenlen!" rief der Offiziersaspirant und frischgebackene Neferendarins, „was machst Du Dir für eine Vorstellnng von Melanie von Kaiserberg? Sobald sich herauSgestelll batte, daß kein Testament vorhanden und sie hinlers Licht geführt worden war, so bald sie sich überzeugte, daß sie ebenso wie ihre Mutter rem alten Sonderling sür nichts und wieder nichts ihre Jugend geopfert habe, ist sie zu der Werl'schen Salzbaronesse geflüchtet, um ja in keine Berührung mit solcher unleidlichen Verwandtschaft zu kommen. Und das war sie ihren Verwandten nnd ihrer ganzen Vergangenheit schuldig. Eine Dame wie Melanie und solch' ein Bauer mit plumpen Manieren. Lächerlich!" „Kennst Du ihn denn?" fragte Brenken. „Nein!" entgegnete der Ankere. „Aber dem Gericht, LaS kann ich Dich auf Ehre versichern, hat er alle Hände voll zu lhun gegeben, und jetzt ist er in alle Leute Mund und da kommen denn sehr ver schiedene Gerüchte zu Tage. Mil kein schweren Gelke seines Groß- valerS, des Freischulten, soll er es endlich zum Neservelieutenant bei der Kavallerie gebracht haben, — und ich weiß doch, wie es bei der Kavallerie zugeht. — Etwa vor Jahresfrist ist er in einem der ersten Hotels in Berlin abgesliegen, wo er natürlich durch seine Bauern manieren ausfiel. Dann hat er sich in plumper Weise an den Baron Egon zu drängen gesucht, so daß dieser, sich eines solchen Nachkommen schämend, schleunigst auf und davonreiste." „ES soll ein kolossales Vermögen sein, daS der alte Namberg hinterlassen hat," bemerkte Brenlen. „Ein ganz enormes!" bestätigte der Rcferendarius, „und nicht zu wissen, was damit anfangen. Das Geld mit Anstand unter die Leute zu bringen, versteht doch so ein Bauer nicht! Hier gewesen ist er übrigens noch nicht; er bat vielmehr den Juslizralh Bergholz be vollmächtigt, der Gul und Schloß für ihn übernommen hat und vor läufig das ganze Personal im Dienste belassen mußte. Ich bin bei läufig gespannt, wie sich der Bauernsproß aufblasen wird. Bei aller Trauer um Melanie werden die Böcke, die der neugebackene Baron schließen wird, doch großen Spaß machen." Ein ältlicher, fein gekleideter Mann trat eben zu dem Herrn in der Ecke, welcher letztere dem Gespräche nicht die geringste Aufmerk samkeit zu schenken schien. Der Neuangekrmmene stieß mit seinen Ge nossen an und die Beiden leerten dann gemächlich ihre Gläser. „Vielleicht," begann Brenken wieder, „thut Dir der Erbe von Shberg doch nicht den Gefallen und gehl auf'ö Glatteis; als Kavallerie« osfizicr muß er immerhin einige Manieren haben." „Da müßte er kein Bauer sein," schnarrte der Referendar, „da kennst Du diese geldstolze Race schlecht, die bläst sich auf wie der Laubfrosch und fast ungeschickter wie die jüdischen Bankiers, und die leisten doch in Unmanierlichkeiten etwas! Auf Ehre, das wird Spaß geben." Eben legte der Kellner den beiden Fremden das Fremdenbuch vor und meldete, daß die Extrapost bereits vorgefahrea sei. Die Herren nahmen schweigend die Feder und trugen ihre Namen in daS aufgeschlagene Buch ein. Dann schritten sie, spöttisch den Hut ein wenig lüftend, an dem pfiffigen Referendar und seinem Ge nossen vorüber, welche der vornehmen, sicheren Haltung der Unbe kannten mit den Augen folgten. „Das waren Personen von Distinktion," sagte der Referendar, „das sieht man gleich. Auf Ehre, eine solche vornehme Ruhe der Erscheinung kann sich ein Bankier ebenso wenig, wie ein Bauer, geben." „Laß' doch sehen, wer sie sind," bemerkte Brenken und griff nach dem Fremdenbuche. Der hoffnungsvolle Offiziersaspirant und angehende Referendar sah ihm über die Achsel. „Wie?" sagte er und bediente sich, als ob er die Schrift nicht recht hätte lesen können, des Lorgnons. „Ba—ron — Fritz — von — Namberg, genannt Bisplinghof, Lieutenant im Gardedragoner- regimcnt. — Franz Bisplinghof, Freischulte auf Bisplinghof und Lieutenant a. D." Betroffen und schwelgend starrten sich die Beiden an. Endlich sagte Brenken: „Blamirt, gründlich blamirt sind der zukünftige Herr Justiz- minister; bis über die Ohren hineiiigefalleni Nun, Du wolltest ja Spaß haben!" „Ach, laß' Deine schlechten Witze," sagte der Referendar ärgerlich. „Ja, Freund," höhnte Brenlen weiter. „Wer den Schaden bat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!" — (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Das Befinden Nobilings hat, soweit eS dessen körperlichen Zustand betrifft, sich in den letzten Tagen wesentlich gebessert. No biling richtet sich bereits im Bette ans, ißt mit Appetit und giebt theilweise Antworten auf an ihn gerichtete Fragen. Auf die Frage eines der behandelnden Aerzte am Sonnabend, ob eS besser mit ihm gehe und er sich Wohler fühle, antwortete er: „Etwas!" Bei allen Antworten aber, die Nobiling giebt, spielt ein eigenthümliches Lächeln nm seine Lippen, da« eines Blödsinnigen. Ma» glaubt i» ärztliche» Kreisen, daß bei dem Verlust an Hirnmasse, den Nobiling erlitten, er nur, falls sein Leben erhalten wird, als Blödsinniger der Zukunft entgegen gehen werke. * Die „Nat.-Ztg." schreibt: Das Attentat Nobilings hat ein Menschenleben zum Opfer gefordert. Die Ebefrau des Kriminalschutz mannes Süß, welcher unter den ersten Personen war, die in das Zimmer des Mörders eindrangen, und irrthümlich als schwer ver- wunkcl bezeichnet wurde, ist in Folge der durch jene Nachricht er littenen Aufregung verstorben. * Berlin. Auf dem großen Militärschießplatz bei Krossen ist kürzlich, wie die „Boss. Ztg." schreibt, beim Einschießen eines neuen von Krupp gelieferten Marinegeschützes, durch vorzeitiges HeranSfallen deS Verschlußbolzenö bei einer Granate, ein Geschoß im Rohre geplatzt unk hat vakurch das Geschütz unbrauchbar gemacht. Das LO'/e Cent!« inetcr weite Niesengeschütz war mit einer Granate im Gewichte von 642 Pfund unv mit einer Pulverlakung von 144 Pfund geladen. * Eine Zeitung in Penshlvanien hatte erwähnt, daß ein Mann in dem Städtchen lebe, der seit 23 Jahren nicht nüchtern geworden sei. Obschon kein Name genannt war, wurde das Blatt dennoch von 21 Personen aufgeforderl, kiese Bemerkung zurückzunehmen, da eS ein persönlicher Angriff sei. * Die Größe von London. London bedeckt gegen 700 englische Quadrolmeilen. ES zählt mehr als 4 Mill. Einwohner und unter diesen 100,000 Ausländer aus allen Theilen der Erde. Es hat unter seinen Bewohnern mehr Katholiken als Rom, mehr Juden als Palästina, mehr Irländer als Dublin, mehr Scholten als Edingburg unv mehr Walliser als Cardiff. Man rechnet auf 5 Minuten eine Geburt, auf 8 Minuten einen Todesfall und in seinen Straßen, die zusammen 7000 englische Meilen (ungefähr 1400 deutsche) lang sind, ereignen sich durchschnittlich pro Tag 7 Unglückösälle. Die Bevölker ung nimmt täglich um 123 Personen zu, jährlich um 45,000; das Polizeiregister weist 117,000 Gewohnheitsverbrecher auf und es werden jährlich 38,000 Trunkenbolde vor die Behörde gebracht. * Die St. PeterSkirwe in Rom verursacht neuerlich, wie englische Blätter berichten, große Besorgnisse bezüglich ihrer Sicherheit, da die Nisse und Spalten in dem ober« Theile des Domes und in dessen Stützen sich in letzter Zeit sehr vermehrt haben. Bei einer genauen Untersuchung dieses Riesenbaues durch Sachverständige fand man, daß beinahe jeder Theil desselben mehr oder weniger Risse hat, oder aus seinem ursprünglichen Platze gerückt ist. Man hat schon in früheren Jahren Eilenbänder rings um die Kuppel gelegt und Marmor-Tablets in die Risse gesteckt, aber von den Letzteren sind die meisten durch Senkungen im Bau geborsten. Es wäre nicht unmöglich, daß die erste Kirche der Christenheit einmal von einer verhängnißvollen Katastrophe betroffen werden könnte.