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Crimmitschau, 20. Juni. Gestern Nachmittag wurden in unserer Stadt zwei mulhige Rosse scheu und gingen durch. Während doS eine sehr bald etngefangen werde» konnte, jagte das andere in rasen dem Lauf durch einige Straßen dahin. In der Badergasse verlor das Thier ein Hufeisen und dieses nahm, mit Wucht geschleudert, seinen Weg durch das gerade geöffnete Fenster des ersten Stockes eines Hauses in eine Stubenkainmer, in welcher eS auf ein Bett fiel. Bald darauf wurde auch dieses Pferd, das einen so merkwürdigen und glücklich abgegangenen Wurf gethan, wieder eingefangen. Wurzen. Das „Wurzener Wochenblatt" enhält folgende Erklär ung: „Die Arbeiter der Tapetenfabrik von August Schütz iu Wurzen erklären hiermit ausdrücklich, daß sie mit der Geuossenschaft der Social« demokrate» in keiner Berbindung stehen, daß sie jede Gemeinschaft mit dieser Partei, die nur Haß und Unordnung stiftet und deren Lehren dahin geführt haben, daß der niederträchtige Mordversuch auf den Kaiser von Hunderte» gut geheißen wurde, energisch und für immer zurückweisen. Sie fordern ihre College» in andern Fabriken auf, einen gleichen Schritt zu thun, um sich von der Socialdemokratie loszumachcn und ersuchen Alle, gleich ihnen, in einer besonderen Ein gabe an den Stadlrath das Gesuch zu richten, cs möchte die Ab haltung socialdemokratischer Versammlungen in Wurzen fernerhin ganz verboten werden. Wurzen, den 18. Juni 1878." Unterschrieben sind 76 Arbeiter. Schneeberg, 2l. Juni. Gestern fand man auf dem Wege zwischen Schwarzenberg und Lauter im Walde die fast vollständig verwesten Ueberreste eines männlichen Leichnam«. Dieselben wurden identificirt als diejenigen des Mitte Februar spurlos verschwundenen und wegen betrügerischen Bankerottes steckbrieflich verfolgten Kauf mannes und Bankiers Dörfel aus Lauter, welcher sich durch Erhängen entleibt hatte. Schneeberg. Ein Skelett, und zwar in sitzender Stellung neben einem Baume, wurde auf dem Wege zwischen Olbernhau und Blauen- thal (bei Schneeberg) mitten im Walde aufgefunden. ES stellte sich heraus, daß man es mit den Ueberreste» einer seit dem 18. December v. I. spurlos verschwundenen Frau aus dortiger Gegend zu thun hatte. Jedenfalls ist die Frau an jenem Tage, durch den tiefen Schnee ermüdet, im Walde eingeschlafen und erfroren. Der Erbe von Sybcrg. Roman von Emil König. (Fortsetzung.) 17. Es war ein einfaches Zimmer, in welchem wir Fritz wieder finden, weit verschieden von dem eleganten Zimmer, welches er im Grand Hotel in Berlin bewohnt hatten. Es fehlte ihm, dem Verwundeten, zwar nicht an den nothwendigsten Bequemlichkeiten, damit war es aber auch abgethan. Langsam schritten die Stunden für den thatcndurstigen Mann dahin, der durch seine Verwundung, einen Schuß in den rechten Oberarm, gezwungen war, den Arm in der Binde zu tragen und da durch selbst am Correspondiren verhindert wurde. Vieles, vieles war anders geworden, seit wir Fritz in Münster zum letzten Male gesehen haben. Mit dem Tage von Sedan hatte der Krieg erst recht wieder begonnen; ein ernster, straoazenreicher Winter lag hinter ihm. Die Heilung seiner Wunde nahm übrigens einen günstigen Verlauf; deß- halb beschloß er, die völlige Genesung in dem westphälischen Bare Oeynhausen abzuwarten, wo sich sein Freund, August von Krafft, der eine zweite Verwundung erhalten halte, als Neconvalescent befand. Dort hoffte er auch, häufig einen Besuch der Seinen zn erhalten. Alles war bereits reisefertig und Fritz freute sich auf die Abreise um so mehr, als cs ihm in dem alten Köln, der Satt der Kirchen und Kapellen auch nicht gefiel. Am Tage vor seinem Abgänge nach Oeynhausen meldete er sich pflichtschuldigst auf der Parave auch bei dein neuen Gouverneur, Generalmajor von Krafft, ab und war nicdl wenig erfreut über dessen liebenswürdige Herablassung und ter Theilnahme, mit welcher er sich nach Fritzens Verhältnissen erkundigte. Er bedauerte lebhaft, daß Fritz Köln verlasse, sonst müsse er ihn öfters besuchen. Er freue sich indessen, Laß Fritz nach Oeynhausen ginge, weil er dann wieder mit seinem einzigen Sohne zusammen sein würde, imd er daun gewiß Anknüpfungspunkte mit ihm behalten könne. Es mache ihm ihre beiderseitige Freundschaft um so mehr Vergnügen, als auch Fritzens leider zu früh verstorbener Vater und er die besten Freunde gewesen seien. Selbst seine Mutter habe er sehr gut gekannt und hoch ge schätzt. Ihrem Wunsche gemäß habe er und der Wachtmeister Bispling- hos ihn aus der Taufe gehoben. Er freue sich ungemein, baß aus seinem Palhen ein so stattlicher Offizier geworden sei. Auch seinen früheren Wachtmeister, den biederen Franz, konnte er nicht genug loben. Zuletzt sprach er den Wunsch aus, den alten Haudegen noch einmal wieverzusehen. Fritz bereute fast, Köln zu verlassen, wo er einen so liebenswürdigen höchsten Vorgesetzten und väterlichen Freund noch in der letzten Stunde gefunden hatte. Noch ehe er ein einsames Plätzchen erreichte, mußte er wieder auf. er und reichte dem Freunde den zerknitterten Endlich fuhr Fritz „Hier lies," sagte verhängnißvollen Bries. August von Krafft las mit klarer Stimme: „Mein Herr! Wenn ich in unserer Abschiedsstunde unter dem Einflüsse wieder streitender Gefühle meinem Herzen noch einmal den Vorrang über meine Vernunft einräumte, so werden Sie das gewiß verzeihen. Ich war noch so verwirrt nnd befangen, mein Blick noch so sehr getrübt durch die schnell wechselnde» Empfindungen der letzten Tage, und Sie waren so bestrebt, den peinlichen Eindruck zu mildern, den die Ent hüllungen deS Barons Egon von Namberg über Ihre Abkunft auf mich gemacht, daß ich gewiß entschuldigt bin, wenn ich Ihnen nicht sofort sagte, daß mein Vater nie in eine Verbindung mit einem Manne von so zweifelhafter Herkunft willigen würde, die, wen» auch meine Ansprüche, doch niemals die seinigen befriedigt haben würde. Ich habe, da ich mich bei ihm aufhalte, den Muth nicht finden können, ihm ein Geständniß unserer gegenseitigen Neigung zu machen; da ich weiß, daß meinem Baler nicht allein der Name seines zukünftigen Schwiegersohnes genügt, sondern er auch — und mit Recht — be ansprucht, daß derselbe Geltung und Anerkennung in der Gesellschaft habe. Sodann hegt mein Vater eine solche Mißachtung oder besser Geringschätzung gegen den Bauernstand, welche selbst die mit dem selben etwa verbundenen Reichtümer nicht auszugleichen vermag; auch die Stellung eines Reserve» oder Landwehroffiziers convenirt ihm, weil eine nur temporäre, nicht. Mein Vater ist alt; ich bin seine einzige Tochter, sein« einzige Hoffnung; ich kann und darf seine Erwartung nicht täusche». Ich habe deßhalb eingesehen, daß es für un« drei Betheiligten besser sei, wenn ich muthig mit eigener Hand den kurzen süßen Traum zerstöre, der mich berauschte. Seit drei Tagen bin ich die Braut eines Mannes, mit dem mich der Segen meines Vaters verbindet. Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen diese Mitteilung zu In Oeynhausen bezog er mit August von Krafft, dem er die Grüße seines Vaters überbrachte, eine gemeinschaftliche Wohnung. Das Verhältniß zwischen den beiden jnugen Leute» gestattete sich täglich vertrauter. Fritz hatte sich in seiner Wohnung kaum umgesehen, als er sich auch schon nach der Postexpedition begab, um dort nach Postrestantebriefen zu fragen. Er hatte nicht vergeblich gehofft, ein Brief von Helene war eingetroffcn. Die feinen Schriftzüge zitterten vor seinen Augen. Ungeduldig eilte er auf die Promenade, um dort den Brief in aller Ruhe zu lesen. Ein Brief der Geliebten, — wer kennt ihn nicht, den beseligenden Reiz, der uns aus den Schriftzügen ihrer Hand entgegenstrahlt! Sie scheinen eine Offenbarung ihres innersten Lebens z» sein. Der Klang der Stimme, der süße, er verhallt, das geschriebene Wort redet fort und fort! und wieder die zierliche Aufschrift lesen und das Siegel mit dem Gymnich'schen Wappen btrachten. Endlich hatte er eine lauschige, von Spaziergängern wenig berührte Bank erreicht. Dort setzte er sich nieder, um die Geheimnisse des Herzens der Geliebten zu entfalten. Seine Wange» glühten, im Vorgefühl seines Glückes hätte er mit Schiller rufen mögen: „Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt!" Er schnitt vorsichtig das Kouvert an der Seite auf, damit das Siegel mit dem Wappen seiner Braut nicht verletzt werke nnd las, — aber er kam nicht von der Stelle, seine Augen blieben auf der sonderbaren Anrede haften. Sie lautete: „Mein Herr!" Mit Blitzesschnelle hatten diese beiden Worte den eben noch so unaussprechlich Glücklichen umgewandelt. Endlich las er weiter; dann hielt er inne und zerknitterte den mit solcher Sehnsucht erwarteten Brief. In einem Aufschrei heftigen Zornes machte fick seine gepreßte Seele Luft. Bleich und gebrochen saß er da, ein Bild furchtbarster Enttäuschung, ohne Seufzer, ohne Klage, fast, als sei schon Alles vorüber. Er blieb eine Stunde, dann noch eine; er rührte sich nicht von der Stelle; er sah es nicht, wenn Spaziergänger an ihm vorüberschrilten, — der schmerzliche Schlag halte ihn so plötzlich, so unerwartet getroffen, so daß es wie ein drückender Alp ans ihn lag, der ihm Herz und Hirn lähmte. Zum Glück führte ein Zufall seinen Freund, August von Krafft, vorüber. Dieser trat hinzu, als er das verstörte Hinstarren nnd das so veränderte Aussehen seines Kameraden bemerkte und legte sanft seine Hand auf dessen Schulter. Fritz schaute, wie auS einem langen, schweren Traum erwachend, auf, es war ein gar seltsamer Blick. Dann sagte er dumpf: „Alles, Alles dahin!" August von Krafft begriff schnell, was dem Freunde begegnet war, »och ehe ihn derselbe mit dein Inhalte deS Briefes bekannt ge macht halte, und lheilnehmenv tröstete er ihn in seiner Weise.