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junge Dame, welche in einer offenen, herrschaftlichen Equipage an ihnen vorüberfnhr. Fritz grüßte unwillklirltch mit und gewahrte, daß das schöne Fräulein erröthete. ES gehörte in jenen Tagen auch unter Münsters altem Adel zum guten Ton, Privatlazarethe zu errichten. Natürlich bevorzugte man bei Aufnahme die adeligen Kranken. Es kam aber doch auch vor, daß ein bürgerlicher Offizier oder Offiziersaspirant in solch' ein freiherr- licheS Lazareth gerieth, um einen solche» Schwerverwundeten galt des Kameraden Abschiedsbesuch. Als sie Rambergs-Hof, in welchem sich das Privallazareth befand, in dem auch August von Krafft sich befunden, erreicht hatten, wurde Fritz dort derselben jungen Dame vorgestellt, die eist vor Kurzem a» ihnen vorübergefahre» war. Wieder fiel eö ihm auf, wie sie verlegen die Farbe wechselte. Sie führte indessen einen Namen, den Fritz in diesem Moment nur undeutlich hörte; er dachte deßhalb nicht weiter über die Ursache ihres Errölhens nach, zumal das, was er jetzt ge wahrte, sein Gemüth auf das Tiefste erschütterte. Der Schwerverwuudete, dem ihr besuch galt, ein Eivilbeamter, der als Vicefeldwebel zur Infanterie eingezogen worden war, hatte im Laufe des Vormittags die Amputation seines linken Beines zu bestehen gehabt. Als die Freunde erschienen, war ihm das Offizierspatent und das eiserne Kreuz übereicht worden. Die Freude darüber hatte den jungen Helden so erschüttert, daß eine seiner Wunden wieder aufsprang und der Tapfere vor ihren Augen fast verblutete. Die Freunde waren tief erschüttert; sie fühlten, was auch ihnen möglicher Weise noch be- vorstehe, und Fritz konnte sich des unangenehmen Gedankens nicht ent- wehren, daß Helene so wenig um sein Leben besorgt gewesen war. Ernst und würdig empfahlen sie sich den barmherzigen Schwestern und dem wieder errölhenken jungen Fräulein. Der Abend und die Nacht war Fritz noch vergönnt, mit den Seinen zuzubringen; als aber der Morgen graute, da riß ihn die Pflicht aus den Armen seiner Lieben hinweg, nach dem Felde der Ehre. — „DaS war erl" sagte sich inzwischen ein junges Mädchen in Rambergs-Hof und pries sich glücklich, daß sie der Onkel auf einige Tage nach Münster gesandt hatte, um nach dem Lazareth zu sehen. Ja, er war schön, schöner noch, als ihn ihre Phantasie gemalt halte, schöner als Udo, der Mutter einstiges Ideal. Wie freundlich, wie theilnehmend schaute das liebe Auge darein, wie fest und ritterlich war sein Auftreten! Und diese Heldengestalt mißachtete der Oheim, dieser Mann war ihm nicht ebenbürtig! Melanie hatte ihn, ohne daß er es bemerkt hatte, in Begleitung seiner Verwandten gesehen, denen allen die HerzenSgüte auf der Stirn geschrieben stand. Wie ehrwürdig sah die Dame aus, wie Zutrauen erweckend die beiden Männer. Sie begriff die maaßlose Verblendung des Oheims nicht. Aber in ihre Freude, ihn gesehen zu haben, der sie vielleicht nicht einmal beachtet hatte, mischte sich der Schmerz der Trennung, die Sorge um bas geliebte Leben. Und er halte keine Ahnung davon, daß ein edles Frauenherz für ihn bebte, liebend seiner gedachte und ihn allabendlich in ihr Gebet einschloß. 16. Zerbst in Anhalt ist eine saubere und nicht so kleine Stadt, aber still, äußerst still. Das einst so stattliche Schloß der Herzogin von Anhalt-Zerbst, ans welchem Rußlands berüchtigte Katharina stammte, ist jetzt eine Kaserne und in dem schattigen Schloßgarten wandeln bei gutem Welter nur wenig einsame Spaziergänger. Heule, an einem dunkeln, unfreundlichen Octobertage waren die Straßen noch stiller, als gewöhnlich. Dazu kam ein feiner Sprühregen, der unablässig aus dem flüchtig dahinziehenden Gewölk herabfiel. DaS junge Märchen, welches eben mißmüthig und gelangweilt auS dem Fenster enws bescheidenen Hauses schaute, erhielt dadurch ein ge radezu melancholisches Aussehen. Sie befand sich zwar nicht allein im Zimmer; dennoch herrschte tiefes Schweigen. In einem alten bequemen Lehnstuhl saß ein alter Mann und stöhnte, so oft er seine Füße in eine andere Lage brachte, schmerzlich. Endlich brach er das Schweigen: „Warum seufzst Du eigentlich, Helene? Dich quält doch nicht die Gicht? Du hättest bleiben sollen, wo Du warst, da es Dir be« mir nicht gefällt. Du weißt ja, daß bei mir nichts zu holen ist." „Du möchtest mich wohl gar noch zur Magd machen!" entgegnete sie kurz unv vorwurfsvoll. „Das weniger, aber auch nicht zur Prinzessin!" grollte der Alte. Das junge Mädchen hielt die Hand vor das Gesicht und weinte trotzig. „Ist denn das zuviel," schmollte sie, „wenn ich einen anständigen Zufluchtsort bei Dir suchte und anständige Behandlung?" „Redensarten!" brummte der Vater. „Ist es etwa unanständig bei mir? Luxus freilich ist bet einem pensionirten preußischen Post» meister und Lieutenant a. D. nicht zu finden, aber ein bescheidenes Stück Brot ist für uns Beide noch vorhanden; allerdings müssen wir es mit Zufriedenheit verzehren. Wenn eS Dir freilich unter hoch- müthigen Fremden besser mundet, als bei Deinem alten Vater, so ist daS nicht meine Schuld, genug, wenn ich die Thür für Dich immer offen halte. Du denkst aber da draußen in der Welt weniger an Deine Existenz, als an Abwechselung, Glanz und Vergnügen und ver gißt, daß Du ein armes Fräulein bist. Statt anspruchslos zu sein, wie es sich für ein junges Mädchen ziemt, das sich unter anderen Leuten ihr Brot erwerben muß, denkst Du an Amüsement und Triumphe. Tbätest Du das nicht, sondern dächtest Du an redlichen Erwerb und wärest Du mit Deiner Stellung zufrieden, so brauchtest Du keine Täuschungen zu erfahren. Weßhalb bliebst Du nicht in Deiner ersten Stellung? Nur, weil es Dir dort nicht geräuschvoll genug war. Ich für meine Person bin mit meiner Einsamkeit ganz zufrieden, bis auf die Gicht; aber Dein ewiges Lamentiren paßt mir nicht, Deine Klagen verbitte ich mir ein für alle Mal!" „Ich weiß es ja," sagte sie vorwurfsvoll, „Du hast mich ungern um Dich, und es ist ein peinliches Gefühl, Dir zur Last fallen zu müssen; aber wo soll ich augenblicklich weiter bleiben, als bei Dir? Du bist meine natürliche Zuflucht!" „Wollte Golt, Du hättest mich stets dafür angesehen," sagte der Alte mit gehobener Stimme, „dann stände eS besser für uns Beide. Es giebt aber kein größeres Unglück für einen Vater mit geradem, schlichtem Sinn, als eine Tochter zu besitzen, die vom Hochmuthsteufel besessen ist. Glaubst Du etwa, ich hatte mir, als ich aus dem Amte schied, Zerbst gerade als Aufenthaltsort gewählt, weil ich mir hier ein besonderes Amüsement versprach? Ich wählte die Stadt, weil ich hier einfach und billig existiren und mit meiner kleinen Pension auskommen konnte. Ich wollte meine einzige Tochter bei mir haben können, ohne mir besondere Entbehrungen auferlegen zu müssen; aber dem Fräulein gefällt die freie, unabhängige Existenz bei'm Vater nicht, weil sie ihr zu einfach und langweilig ist, die vornehme Dame zieht ein Leben voller Zerstreuungen und Abenteuer mit Abhängigkeit vor." „Du bist sehr ungerecht, Vater," erwiderte sie, „Du läßt mich nur zu sehr fühlen, daß Du Schmerzen hast." „Ich sage stets die nackte Wahrheit," entgegnete er trocken, „gleichviel, ob ich krank oder gesund bin und gestehe Dir offen, daß mir Dein ewiges Lamentiren zuwider ist. Ich würde viel glücklicher leben, wenn ich Dich auswärts wieder geborgen wüßte; daheim gefällst Du mir ganz und gar nicht. Du erhebst aber Ansprüche, die Dir Dein armer Vater nicht erfüllen kann, anstatt Dich mit ihm zu be schäftigen und ihn zu pflegen." In diesem Moment des Verdrusses überlegte Helene, ob es doch nicht besser sei, Fritz als Gatlin anzugehören, als die allerdings ge- rechlen Vorwürfe ihres ValerS zu erlragen, aber auf'S Neue trat ihr das Bild des allen Freiherrn vor die Seele. Ihr Hochmuth flüsterte: „Nein, lieber alles Andere ertragen, als die „Gattin eines „Bauern" zu werden." Welch' ein Unterschied zwischen ihr und Melanie. Sie, welche der junge Offizier lieble, verwarf ihn in ihrem Hochmuth, während Melanie sein Bild in ihrem unschuldsvollen, reinen Herzen trug, ohne Hoffnung, ihm jemals anzugehören. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * London, 7 Juni. Hier hat sich ein angesehener Ausschuß gebildet, um Sammlungen zur Unterstützung der Hinterbliebenen per beim Untergang des „Großen Kurfürsten" verunglücklen Seeleute zu veranstalten. Baron Schröder und die Herren Deichmann, Flem- mich, Goschen, Kleinwart, Schwartze, Trübner und O. v. Ernst- Hausen nehmen Beiträge in Empfang. Zur Stunde sind deren schon im Betrage von ca. 1700 Pfv. Sterl, gezeichnet und der Ausschuß beabsichtigt die eingehenden Gelder nicht den Behörden, sondern der Kronprinzessin znzumitteln, da sie besser als jene in die Bedürfnisse eines jeden einzelnen Falles eingehen und dadurch eine zweckmäßigere Verthcilung der Gaben erzielen könne. Für denselben wohlthäligen Zweck wird unter Leitung von Sir Julius Benedict und Hrn. Ganz ein Concert veranstaltet, zu dessen Förderung der Prinz vom Wales, Graf Münster nebst anderen hochstehenden Herren und Damen sich auf daS Zuvorkommendste bereit erklärt haben. Es wird im deutschen Botschaftsgebäude slatlfinden. Der Tag dafür ist »och nicht ange setzt. Doch ist schon eine erkleckliche Anzahl Karten vergriffen unv habe» die bedeutendsten der anwesende» Künstler ihre Mitwirkung rugesagt. * Ueber eine Katastrophe auf dem Felber-Tauern in Throl er hält die „W. Abdp." nachstehenden Bericht: Zu Windisch-Matrei im Iselthale am Südabhange der Tauernkette hatte am 27. Mai ein vielbesuchter Viehmarkt stattgeiunden; SO Händler und Viehzüchter auS dem Unterinnthale uno dessen Verzweigungen, sowie aus dun Pinzgau versuchten ihre Heerden (über 600 Rinder, ferner Pferde, Schafe unv Ziegen) über den sogenannte» Felber-Tauern zu bringen und so die nordöstliche Thalseite auf dem kürzesten Wege zu gewinnen. Sie brachen bei gefahrdrohender Witterung aus, ließen wohlgemeinte Warnungen erfahrener Leute unbeachtet und hatten infolge dessen ihr kühnes Wagniß auf beklagenswerte Weise zu büßen. Aus dem Ge- birgSkamme ereilte die Karawane^ein „Tauern-Sturm", welche derart