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Dresden. Das Finanzministerium hat die Geschäfte eines CommissarS für den aus Staatsmitteln auSjvführenden Bau einer Srcundäreisenbahn von Pirna nach Berggießhübel nebst ZweiggleiS- anlag« nach dem Lohmgrunde dem Mitgliede der Generaldirection der StaatSeisenbahnen Finanzrath Robert Theodor Opelt übertragen. In Dresden sind wohlfahrtSpolizeiliche und thierarztliche Unter suchungen im Gange wegen eines traurigen Vorkommnisses. Bei einem Fleischer in der Altstadt ist trichinöses Schweinefleisch verkauft worden, in Folge dessen etliche 26 Personen erkrankt waren. Unter den Erkrankten befindet sich auch die Ehefrau des Fleischers und 1 Geselle; namentlich der Zustand der Ersteren soll sehr bedenklich sein. Chemnitz. In welcher empfindlichen Weise sich in unserem Chemnitz der schlechte Geschäftsgang selbst im Verbrauche von Lebens mitteln und hauptsächlich des Fleisches äußert, geht daraus hervor, daß im vorigen Jahre hierselbst 1700 Stück Rinder weniger geschlachtet wurden als im Jahre 1876. Leider ist ein Aufschwung der Geschäfte in nächster Zeit noch nicht zu erwarten und dürfte daher das laufende Jahr einen noch bedeutenderen Rückgang des Fleischconsums erwarten lassen. Chemnitz, 27. Mai. Wie wir vernommen, ist gestern der socialdemokratische Agitator Most bei ver hiesigen Ortes stattgefun denen großen Volksversammlung wegen Verletzung der ZZ 10 und 33 des VereinSgesetzeö verhaftet worden. Am 23. d. entschlief in Herrnhut Levin Theodor Reichel, Bischof der Brüverkirche und Mitglied des Missions-Departements der UnitätS- Aeltestcn-Konferenz in Berthelsdorf. Kötzschenbroda. Am 22. Mai kamen hier die ersten Erdbeeren, allerdings nur in einzelnen Litern und zu dem Preise von 3 bis 4 M., auf den Markt. Gera, 26. Mai. Im hiesigen KreiSgerichtsgefängniffe wäre es in diesen Tag einem Gefangenen beinahe geglückt, auszubrechen. Er hatte zur Ausführung seines Vorhabens, wie leicht erklärlich ist, die Nacht gewählt. Aus der Vergitterung des Fensters hatte er eine eiserne Trenustange losgelöst, hatte damit den Ofen demolirt und war im Begriffe durch den Schornstein seine Flucht zu bewerkstelligen, als ihn die Enge der sogenannten russischen Esse das Fortkommen unmöglich machte. Rasch entschlossen und mit einer Energie die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, machte er das Luftloch in der Mauer mit seiner Eisenstange so weit, daß er hätte hindurch schlüpfen können. In diesem Augenblicke jedoch wurde die Thüre zu seiner Zelle geöffnet. Es ist der Wachtmeister, welcher die Zellen rcvidirt. Da nun der Ge fangene sein Treiben entdeckt sieht, wirft er sich wie ein wildes Thier auf den Beamten und eS beginnt ein fürchterliches Ringen. Die über legene Körperkraft, die Gewandtheit und Geistesgegenwart des Beamten läßt denselben jedoch des Verbrechers Herr werden. Nach einiger Zeit des heftigen Ringens liegt der Verbrecher gefesselt am Boden. — Solch ein Kampf auf Leben und Tod in der Gefängnißzelle zwischen einem pflichttreuen Beamten, der den Frieden seiner Familie auf wenige Minuten, wie er denkt, verläßt, um die letzte Runde zu machen, ist so recht geeignet, die dunklen Schattenseiten eines solchen Amtes zu illustriren. Der Erbe von Syberg. Roman von Emil König. (Fortsetzung.) 10. Zwanzig Jahre eine kurze Spanne Zeitl Und doch, wie verändern und berühren sie Menschen, Verhältnisse und Gefühlei Die Menschen altern und vergehen, die Leidenschaften erkalten und die Verhältnisse unterliegen dem ewigen Wechsel, in dem allein irdische Beständigkeit liegt. Die Zeit vernarbt alte Wunden; aber sie reißt auch neue auf und a» all-n menschlichen Beziehungen nagt unaufhörlich ihr Zahn. Wie unerschütterlich bleibt dagegen der Gang der Natur? Die Natur steht neugeboren auf, die Erve lebt, die Sonne eilt ihren Lauf, im Strom ist Frische, Glanz im Morgenstrahl, Labsal im Winde, Blumenruft im Thal. Derselbe Sonnenschein, der vor Jahren den Eichenkamp, den Garten des Pfarrhauses und die Gräber Mariens und Ihrer Eltern vergoldete, begrüßte an dem Frühlingsmorgen, an welchem wir unsere Erzählung wieder aufnehmen, den altehrwürdigen Park Berlins, den Thiergarten. Es war um die zehnte VormittagSstunde, also um eine Zeit, wo der Verkehr noch nicht so lebhaft sich zu entwickeln pflegt, wie wenige Stunden später, als zwei Männer, im ernsten Gespräche, in der Richt ung nach Charlottenburg dahinschritlen. Der ältere, eine markige Gestalt, obgleich im Civilanzuge, verrieth in Gang und Haltung den ehemaligen Militär. Sein Gesicht war gebräunt und mit einem grauen Vollbart umrahmt. Auch das volle Haupthaar zeigte das herannahende Alter, sonst aber schien die Zeit keinerlei Spuren ihrer Stürme an dieser kernigen Eiche zurückgelassen zu haben, wenigstens verriethen die Bewegungen des Manne« noch die alte Elastizität des Körpers, wir wir sie schon ver zwanzig Jahren an Franz ViSplingbof, dem Freunde des verstorbenen Udo von Nam- berg wahrgrnommen haben. Der andere war eine hohe, stattliche Figur, die durch die kleid, same Uniform der Gardedragoner vortheilhaft gehoben wurde. Der elegante eigene Waffenrock war vom besten Stoff und ebenso wie Beinkleider und Stiefel» vom untadelhaftesten Schnitt, der feine Säbel mit dem silbernen Porteps, die Mütze, überhaupt die ganze Equipirung bezeugte, daß der junge Bicewachtmeister zu jener wohlsttuirten Minder heit gehörte, welche über die namhaften Mitteln zu verfügen vermag, der Militärpflicht bei einem Kavalerieregimente der Garde als Ein« jähriger-Freiwilliger zu genügen. Aus dem regelmäßig schönen Gesichte des jungen Soldaten blitzten ein Paar tiefblaue Augen, zu denen daS blonde lockige Haar gar herrlich paßte. „Eine schwere, schwere Zeit, Fritz," sagte der ältere, „der Krieg steht vor der Thür unv durchkreuzt alle meine Pläne. Die Jugend freilich, ich kenne das recht wohl, sieht den Krieg, den Fluch der Menschheit, mit ganz anderen Augen an, als das reifere Alter. Auch ich zog Anno 48 froh und sorglos in den frischen, fröhlichen Krieg und dachte nicht daran, daß auch mich eine Kugel treffen könne." „Onkel," begütigte der junge Mann, „einen Tod können wir nur sterben, und wenn für mich eine Kugel gegossen sein sollte, ent gehe ich ihr nicht. Und, sage selbst, Onkel, ist es nicht ein ungleich schöneres LooS, an diesem großen Kriege Theil zu nehmen, den das gesammtc geeinigte Vaterland voraussichtlich unternehmen wird, als eS das Eure achtzehnhunbertachlundvierzig im Kriege gegen Dänemark war, wo die Diplomatie verdarb, was Eure Tapferkeit gut gemacht hatte?" „Krieg bleibt Krieg, lieber Fritzi" erwiderte der Oheim. „Du kennst seine Schrecken noch nicht und lieber wäre es mir, Du lerntest sie nimmer kennen. Nun, ich hoffe wenigstens, daß die feindlichen Horcen nicht über die Grenzen unseres Vaterlandes dringen, seine gesegneten Fluren zerstampfen und seine Dörfer und Städte in Asche legen werden. Jetzt heißt es zu beweisen, daß sie wirklich fest steht und treu, die Wacht am Rhein! Bedenke aber, lieber Sohn, wenn Du nicht wiverkehrst, wenn statt Deiner die Kunde einträfe, daß Du gefallen bist; Vann könnten nur gleich noch drei Grüfte aufgeworfen werden neben Deiner Mutter und Großeltern Gräbern, für die beiden BiSplingShofS und Deine gute Tante, denn unseres Lebens Sorgen und Mühen wären umsonst gewesen. Sieh', mein lieber Fritz, Dein Hof ist mehr werth, als so manches Rittergut. Daneben haben wir, mein Bruder und ich, das Pfund getreulich verwalket, das uns an- verlraut worden ist. Der Hof ist nicht nur frei von Schulden, eS ist auch so viel da, daß Du, wenn Syberg zu verkaufen wäre, Dir daS Schloß Deiner Ahnen kaufen könntest, und ich gestehe Dir offen, das ist es gerade, was ich noch erleben möchte." „Aber Onkel," warf der junge Vicewachtmeister ein, „woran denkst Du in dieser Stunde, in welcher wahrscheinlicher Weise schon die Kriegserklärung eingetroffen ist?" „Es ist meinerseits keineswegs Mangel an Vaterlandsliebe," ant wortete Franz BiSplinghof. „Auch ich würde schlimmsten Falles, nicht nur meine Habe, sondern auch diese alten Knochen willig hergrben; allein ich habe, bevor wieder eine Trennung eintritt, vielleicht gar eine Trennung für immer, noch so vieles mit Dir zu besprechen. Deßhalb kam ich hierher, ich, der Verwalter Deines Gutes. Rechen schaft will ich Dir ablegen, damit Du weist, wie Du stehst, wenn Du etwa zurückkämest und Deinen alten Onkel nicht mehr fändest." „Ach, guter, lieber Onkel," rief der Jüngling gerührt, wo denkst Du hin? Du gehst noch ein Weilchen mit, und was mich betrifft, so rücken wir ja heule oder Morgen noch nicht aus, und bis zum Aus- marsch läßt sich noch Vieles überlegen. Was Ihr thut, daS ist Alles gut, Eure Liebe ersetzt mir ja die längst entschlafenen Eltern und Großeltern im vollsten Maaße. Laß' uns deshalb in diesem Augen blicke, in dem die politischen Ereignisse alle Welt fieberisch erregen, wo Jedermann Vie persönlichen Angelegenheiten über den großen Fragen der Zeit in den Hintergrund schiebt, von etwas Anderem reden. Bedenke, Onkel, in dieser Stunde Schooß liegt Vas Schicksal einer Welt, und es zittern schon die Loose und der eh'rene Würfel fällt. Ich wiederhole es Dir, ich freue mich, theilnehmen zu können an diesem heiligen Kampfe. Nationen, wie die Einzelmenschen finden in den? Bewußtsein, daß sie zu einem erlauchten Geschlecht gehören, welche die Erben seiner Größe sind unv seinen Ruhm forlpflanzen müssen, Hilfe unv Kräftigung. Unv daß unsere Nation eine große Vergangenheit besitzt, auf welche sie zurückblicken kann, ist von großer Bedeutung." Während der letzten Worte waren die beiden Spaziergänger durch das Brandenburger Thor geschritten und bemerkten unter den Linden eine außergewöhnliche Menschenmenge auf- und niederwogen, besonders befand sich vor dem königlichen PalaiS und das Denkmal des alten Fritz ein solcher Menschenknäuel, daß sie nur mit Mühe sich hindurch- zuarbeiten vermochten. Dazwischen riefen die ZeitungSverkäufer: „Neueste Depeschen: die Kriegserklärung, Mobilmachung der Armer." Fritz kaufte ein solches Blatt. ES war entschieden. Di» Krieg».