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werden besonders wichtige militärische Punkte von den Russen besetzt, so daß die dortige Regierung, die auch von Berlin auö keine Auf- munlerung erhielt, sich wohl oder übel in die ihr von Rußland aufgelegte Bedinguilg der Abtretung von Äeßarabien wird fügen müssen. Die offiziösen Organe der russischen wie der englischen Negierung wiegeln ab. An Stelle des herausfordernden Tones ist der sanfte Versöhnungsto» getreten, die Friedensschalmei hat die KriegSfansare abgelöst. Freilich bedenlet das Flöten der Fricdensschalmei beule ebensowevig den gesicherten Frieben, wie das Schmettern der Kriegs- trompele denAuSbruch des Krieges bedeutet hat. Durch die versöhn liche, gemäßigle Haltung Rußlands ist der Congreß wieder möglich geworden. Ohne Zweifel hat auf Rußlands Mäßigung ganz besonders die Haltung Deutschlands hingewirkt, welches durch die Umstände da hin gekommen ist, selbst wider Willen eine Art schiedsrichterliche Stellung einzunehmen. Dies wird von alle» Seiten anerkannt. Oesterreich wünscht die Sorge für das Zustandekommen des CongresseS jetzt Deutschland zu überlassen, und der Kaiser von Rußland bat sich in seiner schwierigen Lage vertrauensvoll an den ihm durch Blut und Gesinnung verwandten Kaiser Wilhelm gewandt. Man hat in England vor Kurzem noch gewichtige Stimmen für die Besitzergreifung von Aegypten und einiger Inseln im Aegäischen Meere als Gegengewicht gegen den zur Herrschaft gelangten russischen Einfluß auf der Balkanhalbinsel vernommen. Zu einem solchen Schachzuge bedarf England nicht die Erlanbniß des Petersburger CabinetS, es kann denselben mit denjenigen Machtmitteln, welche es gegenwärtig aufgeboten, durchführen und gleichzeitig in einem dauernden Kriegszustände, wie er gegenwärtig bereits in der Umgebung Con- stantinopelS besteht, Rußland zu erschöpfen und dabei doch wirkungs losen Gegenmaßregelu zwingen. Diese Art der Versumpfung der Orientfrage scheint bei der augenblicklichen Lage der Dinge leider wahrscheinlicher, als ein erfolgreicher Congreß, oder der baldige Aus bruch eines offenen Krieges. Petersburg, 12. April. Das „Journal de St. Petersburg," die Meinungen der ausländischen Presse über das Circular Gort« schakoffs besprechend, constatirt, sämmtliche Presse erkenne Rußlands reellen Wunsch an, eine friedliche Lösung hcrbeiziifübren. Jetzt müsse nun das britische Cabinet auS seiner rein negativen Haltung heraus- treten entweder durch eine Einladung Europas, zur gemeinsamen Ber« Handlung rasch zusammenzutreten, oder durch Aufwerfung einer Lösung, durch welche eS den Frieden von San Stefano ersetzen möchte. Wenn die Mächte irgend welche versöhnliche Lösung finden sollten, würde das russische Cabinet der Diskussion gerne beitreteu und den Vertrag abändern, nur soll diese Lösung d,e durch Blut gewonnene Sache nicht in Abrede stellen und den von Rußland gebrachten Opfern Rechnung tragen. Lokales und Sächsisches. Zwönitz. Die Frist für das Nufbewahren postlagernder Send ungen, die jetzt zwischen vierzehn Tagen bis sechs Monaten schwankt, soll einheitlich geregelt werden. Vorgeschlagen ist ein Monat für kontinentale, zwei Monate für überseeische Sendungen. Ein jetzt vom Zittauer Bezirksgericht wegen Urkundenfälschung steckbrieflich verfolgter Expedient des dortigen Stadtrath, Namens Thomas, muß nach seinem dem Steckbriefe beigegebeneu Signalement ein wahrer Adonis sein. Er wird nämlich folgendermaßen beschrieben: 35 Jahre alt, mittelgroß, schmächtig, langes, blasses Gesicht, spitze Nase, defekte Zähne, nicdrige Stirn, knurrige Sprache, schielt und riecht stark au« dem Munde. Leipzig, 11. April. I» der gestrigen Sitzung des Stadtver ordnetencollegiums wurde nach zweistündiger, sehr lebhafter Verhand lung die RathSvorlage wegen Ankaufs zweier amerikanischer Dampf, spritzen nebst Zubehör zu dem Preise von 40,000 Mark mit großer Majorität — 38 gegen 8 Stimmen — abgelehnt und dagegen der Rath ersucht, mit dem hiesigen Spritzenfabrikanten Jauck wegen probe weiser, unentgeldlicher Ueberlassung einer von ihm erbauten Dampf- spritze in Unterhandlung zu treten. Ben den Gegnern deS Raths- projecteS wurde hauptsächlich neben dem Kostenpunkte der Umstand hervorgeboben, daß durch die Annahme des von Jauck dem Lösch. auSschusse gemachten Anerbieten« die heimische Industrie gefördert und ein nicht zu unterschätzender Erwerbszweig im Falle, daß das Jauck'sche Fabrikat sich bewähre, geschaffen würde. Nebenbei wurde auch dem Rathe der Vorwurf gemacht, daß er für die bereit« seit mehreren Jahren in Aussicht genommene Umgestaltung des hiesigen Feuerlöschwesens noch nicht« gethan habe. Noßwein, 10. April. In zwei Borversammlungen haben die Mitglieder des hiesigen Borschußvereins erklärt, daß sie eS nicht zur Liquidation kommen lassen wollen und haben dies gestern Abend auch durch eine Thatsache belegt. Von einem Theile der Mitglieder wur den nahe an 200,000 Mark al- freiwilliges, unverzinsliches Darlehn gezeichnet und diese Summe wird sich bis nächsten Freitag, wo eine »«Hetprdentliche Generalversammlung abgehalten wird, noch bedeutend ethöhen, da ja der Verein an 700 hiesige und auswärtige Mitglieder zählt (jedes Mitglied aber hat solidarisch zu haften). Selbst Nicht« j Mitglieder haben Beiträge gezeichnet. So wollen die Bürger Roß- weius nebst den Anwohnenden beweisen, daß sie Alles thun wollen, waö in ihre» Kräften steht, um wieder in die Höhe zu kommen. Darum möge man ihnen — die ja ganz unschuldig au dem über sie hereingebrochencn Ereignisse sind — in keiner Weise kaS Vertrauen entziehen, das sie bisher genossen und sie dactirch noch tiefer in da» Unglück Hineindrücken, was sie jetzt i» so schwerer Weise schon be« troffen hat. Der Uottcilgrüncr Doppcimord. Zwickau. Den Schluß ter gegeiiwäuiqen ersten Ouartalsitzung deS hiesigen König!. SchwnrgerichtShosS biltete der Lollengrüner Doppelmord. Am 10. April e>öffnete ter Präsident, Herr Appella« tionSralh Seifert, die Sitzung, bei welcher die König!. Staatsanwalt- schäft durch Herr» Staatsanwalt Cnbasch von hier, die Vertheioigung durch Herrn Adv. Di. Schumann aus Planen vertreten war, mit einem Hinweise auf die Wichtigkeit der Sitzung und die Schwere der vorliegenden Verbrechen. Hierauf wurde der Angeklagte, der Wald hüter Johann Friedrich August Meyer aus Dröda, fessellos vorge» führt. Trotz der langen Untersuchungshaft und der Schwere des auf ihm lastenden Verdachts vollständig ungebeugt betritt er in straffer Haltung die Anklagebank und mustert vor Allem mit seinen Augen ruhig den starkgefüllten Zuschauerraum. Zuvörderst wurde mit Bild ung der Geschwornenbcmk verfahren. Dieselbe wurde zusammengesetzt au« den Herren Medicinalrath I)r. Nascher auS Zwickau, Baumeister Becker aus Zwickau, Acvocat Lachmann aus Aneibach, Baumeister Bochmann auS Ane, Niltergutspachler Husch auS Remse, Advocat Nicolai aus Wahlen, AmtShauplmaun Vodel aus Zwickau, Sladl- rath Urban aus Zwickau, Kaufman» Hassinger aus Zwickau, Ritter gutsbesitzer Mühlmann aus Thanhof, Fabrikbesitzer Franz Dietel aus Wilkau und Bergingenieur Oehlschlägel auS Zwickau. Als Ergänz« ungsgeschworner wurde Herr Buchhändler Bräuiiinger aus Zwickau auögeloost. Hierauf schritt nach dem Aufrufe und dem Abtrelen der geladenen Zeugen der Präsident zur Vernehmung deS Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse. Meyer ist 29 Jahre alt, in Dröda geboren, genoß Elementarunterricht, wurde im evangelischen Glanbe» confirmirt und hat kein Handwerk erlernt. Er war Soldat und machte den letzten Feldzug »ach Frankreich mit, trieb früher Hand arbeit und war seit März 1876 herrschaftlicher Waldhüter im Dienste des Herrn Uibrig auf Mechelgrün, wohnhaft in Jägerswald bei Lottrngrün. Er ist seit 1873 verheirathct, Vater von zwei Kindern» ganz vermögenslos und einmal wegen Unterschlagung bestraft. Aus dem zum Vorlesen gebrachten Anklageerkenntniß geht hervor, daß Meyer beschuldigt ist, in der Nacht vom 19. zum 20. Mai 1877 die Ludwig'schen Eheleute zu Lottengrün ermordet, dieselben um etwa 1400 Mark beraubt und hierauf zur Verdeckung seiner That Feuer angelegt, außerdem in der Nacht vom 12. zum 13. Mai 1877, wo er an Ausführung des schon damals geplanten Mordes verhindert worden, den Gemeindeältestei' Schneider in Lottengrün mittels eines armstarken Knittels vorsätzlich in das Gesicht geschlagen und denselben hierdurch an seiner Gesundheit geschädigt zu haben. Der Präsident verschritt nach Verlesung des AnklageerkenntnisseS zur Beweisaufnahme und eröffnete diese mit der Feststellung des objektiven Thatbestande« bezüglich des Lollengrüner Morde«, die eine ziemliche Zeit um des willen in Anspruch nahm, weil aus einem hier nicht näher zu er örternden Grunde die Besichtigungsprotokolle sowie das ObductionS- und SectionSprotocoll nicht einfach vorgelesen werden konnten, deren Inhalt vielmehr dnrch Zengenabhörungen reproducirt werden mußte. Die Beweisaufnahme ergab in der angegebenen Richtung etwa Fol- gendeS. Der 55 Jahre alte Gasthofsbcsitzer und Fleischermeister Carl Friedrich Ludwig und dessen 53 Jahre alte Ehefrau bezogen seit November 1876 den von ihnen neuerbauten Gasthof in Lotten grün uuv bewohnten ihn ganz allein. Ihre Kinder bewirthschaftrten das ihnen gehörige Gut in Lottengrün. Der jetzt im 19. Jahre stehende Sohn LndwigS, Franz Ludwig, verließ seine Eltern am 19. Mai AbmdS gegen 10 Uhr und erhielt von seinem Vater den Auf trag, am Morgen deö anderen Tages — de« ersten Pfingstfeiertag« — wieder zu kommen und nach Oelsnitz zu fahren, um Kleie zu holen. Franz Ludwig betrat am andern Morgen gegen 5 Uhr den Gasthof seines Vaters dnrch die wider Erwarten offene Hinterthüre und be merkte in der Hausflur sofort eine starke Blutspur, die vom Fleisch gewölbe her bis an die Thüre zur Gaststube führte. Die in der Hausflur befindliche Küchenthüre und Gaststubenthüre fand Franz Ludwig verschlossen. Auch die vordere HauSthüre war verschlossen. In das Fleischgewölbe konnte Ludwig ungehindert eintreten. Hier nahm derselbe eine große Blutlache wahr und sah, daß auf der Waage ein Viertel Wurst, auf der Labentafel ein Fünfzigpfennigstück lag. Ludwig ist wieder hinaus und im Hofe an die Schlafkammer seiner Eltern gegangen. Hier bemerkte er, daß im Innern Alles voll Rauch war und letzterer durch da« nur angelehnte Fenster in« Freie drang. Ludwig rief hierauf den gerade vorübergehenden Handarbeiter Zeidler herbei, stieg von außen durch ein eingrschlagene« Fenster in die Küchen- stube ein und gelaugte aus dieser in die Gaststube. Die von letztrer