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Tagesgeschichtc. Berlin, 25. März. Der Gesetzentwurf über den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen ist beim Reichstage eingegangen und gedruckt vertheilt worden. Bekanntlich ermächtigt dieser Entwurf die Beamten der Gcsundheitöpolizei zur Ueberwachung des gedachten Verkehrs, sowie den BundeSrath zum Erlaß von Vorschriften über die Art der Herstellung, der Aufbewahrung und Verpackung, die Beschaffenheit und die Bezeichnung von Nahrungs- oder Genußmilteln, welche zum Verkaufe bestimmt sind, über das Schlachten von Vieh, sowie den Verkauf und das Feilhalten von Schlachtvieh, Fleisch und Milch, über die Reinhaltung von Schlacht häusern rc., und über die Art der Herstellung und die Beschaffenheit der zur Haushaltung, häuslichen Einrichtung, Geschäftseinrichtung ober zur Kleidung bestimmten Gegenstände, sowie der Spielwaare», endlich zur Verbietung ocer Beschränkung der gewerbmäßigen Her stellung. deS Verkaufs und des FeilhaltenS von Gegenständen, welche zur Fälschung von NahrungS- oder Genußmitteln bestimmt sind. Ferner wird die Verfälschung von Nahrungs-, Genußmitteln re. unter Strafe gestellt und die Anordnung gestaltet, daß die Verurtheilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen sei. Die Schluß- bestimmung, daß die auf Grund des Gesetzes aufcrlegten Geldstrafen, wenn für den Ort der That eine öffentliche Anstalt zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln besteht, der Kasse zu fallen, welche die Kosten der Unterhaltung der Anstalt trägt, soll die Errichtung solcher UnlersuchungSstationen durch die Gemeinden be günstigen. Beigcgeben sind dem Entwürfe außer den Motiven eine 60 Seiten lange, vom GesundhcitSamte ausgearbkitete Denkschrift, ge wissermaßen ein Compenbium der Verfälschung von Mehl, Conbitor- waaren, Zucker, Fleisch, Wurst, Milch, Butter, Bier, Wein, Kaffee und Thee, Chocolabe, Mineralwasser, Petroleum und sonstigen Ge brauchsgegenständen (Bekleidungsstoffe, Papier und Tapeten, Farben, Kinderspielwaaren, Glasur von Thonwaarcn, Hausgerälhe aus Metall, Email), ferner eine Darstellung der Bestimmungen fremder, den Gegen stand betreffenden Gesetzgebungen mit wörtlicher Ausführung der ein schlagenden Gesetzesbestimmungen von Frankreich, Belgien, den Nieder landen, England, St. Gallen, Zürich und Oesterreich, und zum Schluß eine Darstellung des englischen Rechts, betreffend die Verfälschung von Lebensmitteln. Berlin. Die „Prov. Corr." schreibt: Unser Kaiser hat seinen Geburtstag in voller Frische und Rüstigkeit im Kreise der Königlichen Familie und der zahlreichen fürstlichen Gäste und unter den Zeichen allseitiger herzlicher Theilnahme begangen. Im Laufe der vorigen Woche hat der Kaiser wiederholt den Vortrag des Reichskanzlers Fürsten Bismarck entgegengenomme» und mit Bezug auf die bevor stehenden Veränderungen im StaatSministenum mehrfache Besprech ungen gehabt. Bald nach dem Oberfest dürste der Kaiser, wie in früheren Jahren, einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in Wiesbaden nehmen. Mannheim, 27. Marz. DaS Schwurgericht erklärte anläßlich der Broschüre: „Der eurepäische Krieg" den Baron Linden de« Hvch- verraths und der Beleidigung des Fürsten Bismarck für schuldig und verurtheilte Linden zu zweieinhalbjähriger Festungsstrafe und sechs- monatlichem Gefängniß. Dat! Gericht sprach jedoch Linden der MajestälSbeleidigung frei und verurtheilte den Verleger Schabelitz wegen Beihilfe zu fünfvierteljähriger Festungsstrafe und dreimonat lichem Gefängniß, beide in oontumuciam. Wien, 27. März. Wie die „Pol. Korresp." aus Konstantinopel von heute meldet, verlautet daselbst unterrichteterseilS, daß die Pforte, dem Einfluß Rußlands nachgebend, im Begriffe stehe, Musurus Pascha in London anzuweisen, das britische Kabinet unter Berufung auf die bestehenden Verträge um eine Zurückziehung der britischen Flotte aus den Dardanellen anzugehen. — Großfürst Nikolaus kehrte gestern nicht nach San Stefano zurück, sondern verblieb in Pera und übernachtete auf seiner Macht. Heute dejeunirt der Großfürst bei dem Sultan und kehrt Abends nach San Stefano zurück. Der Petersburger- Korrespondent der „Pol. Korresp." bespricht die Mission Jgnatiefs's nach Wien und meint, Jgnatieff dürfte dort darauf Hinweisen, raß der Schlüssel der Situation, soweit eS sich um eine Eventualität deö Krieges handele, in Wien liege und daß England kein Zweifel darüber gelassen werden dürfe, daß eS nicht auf Oesterreich zu rechnen habe. Wien, 27. März. Die Morgenblätter halten den Congreß für gescheitert und betonen, an Oesterreich - Ungarn trete jetzt die Noth wendigkeit heran, an die Sicherstellung seiner Interessen zu denken. — Das „Fremdenblatt" wünscht der Mission des Generals Jgnatieff, eine Verständigung mit Oesterreich zu versuchen, den besten Erfolg, wiederholt aber, daß der Augenblick gekemmen sei, wo Oesterreich da ran denken müsse, die Vorsichtsmaßregeln zum Schutze seiner Interessen über feine Grenzen auszudehnen. — Die „Neue fr. Presse" bezeichnet als den Kernpunkt der Mission Jgnatiefs's, England zu isoliren; daS „Nene Wiener Tageblatt" glaubt, Jgnatieff sei gekommen, um den österreichischen Interessen wirklich gerecht zu werden; die „Deutsche Zeitung" sagt, ein eventueller englisch-russischer Krieg biete Oesterreich Gelegenheit, Manches zu gewinnen, da Rußland eine unfreundliche Neutralität Oesterreichs zu fürchten hätte. — Die „Tagespresse" siebt in der Mission Jgnatieff'o den schlagenesten Beweis für die Richtigkeit der Auffassung des Grafen Andrassy, wonach Oesterreich bisher nichts versäumt habe. Die Orieutfrngc hat noch keine freundlichere Physiognomie an genommen, wenigstens in der Presse nicht, denn die russischen wie die englische» Zeitungen, in welche» man de» Ausdruck der in den leitenden politischen Kreisen herrschenden Anschauungen zu suchen ge wohnt ist, befinden sich nicht nnr bereits in Gefechisstellung, sondern haben die gegenseitige Action schon in einer Weise eröffnet, die an Entschiedenheit keinerlei Mangel, und aus oer diplomatischen Sprach weise eine ziemlich kriegerische gemacht hat. Die österreichische offi- ciöse Presse ist auf dieses Gebiet noch nicht gefolgt, auch deutsche osficiöse Organe halten sich reservirt, während die „Post" unter der Rubrik „der Friede von San Stefano" sehr ernste Betrachtungen anstellt, die am Schluffe in der Erwägung der beiderseitigen Chancen einer anlienglischen und einer anlirussischen orientalischen Coalition gipfeln und namentlich Rußland zu weiser Mäßigung und Vorsicht rathen. Der Congreß hat nur noch sehr wenig Aussicht auf ein Zustandekommen. Das Weitere dürste dann zum weitaus größten Theile von der allerdings noch nicht erkennbaren Stellung der öster reichischen Politik, beziehentlich von dem Einflüsse Denlschlancs unv des Dreikaiserbundes zu erwarten sein. Schließlich sei bemerkt, daß die Londoner „Morningpost" auf die russischen Aeußenmgen osficiöü Folgendes erwidert: „England habe eine aus Gerechtigkeit basirle Stellung einge nommen und werde sich durch Drohungen nicht daraus vertreiben lassen. Rußland träume bereits davon, raß eS das Orieutreich in seiner Gewalt habe und ziele auf etwas hin, das bereits ein Be sitzthum Englands sei und ohne Kampf nicht aufgegebeu werken würde." Hierzu bemerkt die „N. A. Z.": „Die „Morningpost" spricht sich etwas rathselhaft ans. DaS Wort „Gerechtigkeit" ist gerade von englischer Seite in den letzten 25 Jahren so ost als Deckmantel britischen Eigennutzes gemißbraucht worden, daß es im vorliegenden Falle wohl einer genaueren Inter pretation bedarf; ebenso das mysteriöse „Etwas", auf welches Ruß land abzielen soll und welches „ein Besitzthum Englands sei, das ohne Kampf nicht aufgegeben werden würde." Nach Lage der Dinge kann hierunter nur Constantinopel oder Gallipoli, wahrscheinlich letzteres, verstanden werden; augenscheinlich enthält der Schlußsatz die englische Antwort auf die Forderung der russischen Presse, daß die englische Flotte unverzüglich das Marmarameer räumen solle." Lokales und Sächsisches. Leipzig, 28. März. Sechs junge Leute, sämmtlich hiesige Ge- werbSgehilfen, hätten gestern leicht »inen übermüthigen Einfall mit dem Leben bezahlen können. Sie unternahmen auf der hochange, schwollenen Pleiße eine BergnügungSbootfabrt nach Connewitz. Als sie an das Kopfwehr kamen, war die Strömung wegen des gezogenen Schützen eine so starke, daß das Schiffchen plötzlich umschlug. Nur dadurch, daß die jungen Leute die Schützenhölzer zu erfassen und so lange zu halten vermochten, bis ein Schutzmann und noch andere Leute hinzukamen, entginge» sie einem traurigen Schicksal. — Gestern Nachmittag ist der vielgenannte Sergeant Pehlke, der sich bekanntlich einer Beraubung der Casse deS 107. Infanterieregiments schuldig gemacht halte, unter sicherer Escorte eines Sergeanten und eines Soldaten des (badischen) 114. Infanterieregiments in die Pleißenburg und der Militärbehörde überliefert worden. In Leipzig fand am Dienstag das Begräbniß des verstorbenen Buchhändlers Herrn Ernst Keil statt und gestaltete sich dasselbe zu einer ergreifenden Trauerfeicrlichkeit. Den AktuS im Trauerhause eröffnete erhebender Gesang des Vereins „Typographia", worauf Herr Professor Riedel im Namen der Familie, Herr Stadlrath Wag ner im Namen der Buchhändler und Herr ReichSlagSabgeordneler Albert Träger als Vertreter der Presse Ansprachen an die Trauer versammlung richteten, die alle mit von Wxhmuth durchdrungenen Worten dem Gefühle der. liefen Trauer Ausdruck gaben, welche durch den Heimgang des trefflichen Mannes in den weitesten Kreisen her vorgerufen worden ist. Insbesondere die Träger'sche Ansprache machte durch ihre vollendete, klassische Form und durch daS anschließende schwungvolle Gedicht großen Eindruck. Schlußgesang der Typographia beendete diesen Theil der Feierlichkeit. Nachdem die Aufbahrung der Leiche erfolgt war, ordnete sich der mehrere Hunderte von Leidtragen den zählende Trauerzug. ES schritten in demselben die sämmtlicheu Verwandten des Verewigten, die Spitzen der städtischen Behörden und eine Anzahl anderer hervorragender Bürger der Stadt, die Redakteure der „Gartenlaube", das Personal des Geschäft- und der Druckerei, Schriftsteller, der Lindenauer Männerlurnvereiu, dessen Ehrenmitglied der Verstorbene war, mit florumhülller Fahne und noch zahlreiche andere Personen. Die Trauerfeierlichkeit am Grabe leitet« ein Posavnenquartelt ein, worauf Herr I)r. Ernst Ziel einige kurze Worte sprach und im Namen der Redaktion der „Gartenlaube"