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Der Grenzbote Der Grenzbote erscheint täglich mit Ausnahme des den Sonn- und Feiertagen folgenden Tages und kostet Viertelsährlich, voraus bezahlbar, 1 Mk. 2v Pfg. Bestellungen werden in der Geschäftsstelle, von den Austrägern des Blattes, sowie von allen Kaiser!. Postanstalten und Postboten angenommen. WM M für Mors und das ödere Vogtland Inserate von hier und aus dem Verbreitungs bezirk werden mit 10 Pfg., von auswärts mit 15 Pfg. die 4mal gespaltene Grundzeile oder deren Raum berechnet und bis Mittags 12 Uhr für den nächstfolgenden Tag erbeten. Reclamen die Zeile 20 Pfg. Verantwortlicher Redacteur, Drucker und Verleger: Atto Weyer: in Adovf. Hierzu Sonntags die illnstrirte Gratisbeilage „Der Zeitspiegel". 196. Sonnabend, den 23. August 1900. 63. Iahrg. PoUttsche Rundschau. Berlin. Der Kronprinz und seine Sol daten. Die warme Fürsorge, welche Kronprinz Wilhelm seinen Untergebenen bei den jetzigen recht beschwerlichen Felddienstübungen angedeihen Iaht, wird durch folgendes trefflich charakterisirt: Als der Kronprinz an einem der letzten heihen Tage mit seinem Zuge ein Wäldchen in der Nähe von Stücken besetzt hielt, lehnte er einen erfrischenden Trunk, den ihm einer der Compagnie- Offiziere anbot, mit den Worten ab: „Ich führe noch eine halbe Flasche Wein bei mir, die ich jedoch für meine Leute aufheben will, falls ihnen auf dem beschwerlichen Marsche etwas passirt." Nach Beendigung des Gefechtes bestieg der Kronprinz das Pferd seines Hauptmanns und galloppirte nach Schiunkendorf, um selbst dafür Sorge zu tragen, daß die abmarschirenden Gar disten durch Wasser erquickt würden. Dabei fiel des Kronprinzen Auge auf ein Fah mit Trink wasser, das in der sengenden Sonne stand. So fort sprang er ab und wälzte selbst, unterstützt von einem Offizier, dah Fatz mit dem erquicken den Natz in den Schatten eines Baumes. Bei den Truppen genietzt der Kronprinz infolge dieser und ähnlicher Charakterzüge bereits grotze Be liebtheit. Berlin, 23. Aug. Der „Voss. Ztg." wird aus Paris gemeldet: Die Blätter fahren fort, sich übel launig über den Oberbefehl des Feldmarschalls Waldersee auszusprechen. Pelletan schildert im „Matin" eingebildete Gefahren, die Frankreichs po litischen Interessen aus diesem Oberbefehl erwach sen sollen und schließt seine Betrachtungen mit den Worten: „Waldersee hat noch vor^ seiner Abreise seinem Vaterlande einen ernsten Sieg errungen: nämlich seinen Oberbefehl. Leider hat er fernen Sieg nicht über China errungen." Oie Nationa listenpresse spricht denselben Gedanken in maßloser Form aus. Cassagnac macht für das, was er Frank reichs Demüthigung nennt, Rußland verantwort lich. „Man ist, ruft er bitter, von dem tollen De lirium ernüchtert, womit man seinerzeit das russi sche Herrscherpaar empfing, das war ein recht würde loses Delirium, denn wir glichen Ertrinkenden, die sich an den Hals des Retters klammerten; wir kön nen nicht vergessen, wie vollständig man uns im kläglichen Fafchoda-Zwischenfalle im Stiche ließ. Damals lieferte Rußland uns an Händen und Fü ßen gebunden an England aus. Heute spannt Rußland uns ins deutsche Joch. Wahrlich, wir ver lieren unsere frühere heftige Neigung, bei jeder Gelegenheit die Russenhymne stehend anzuhören. Die Nachtheile des Bündnisses kennen wir, die Vortheile haben wir noch nicht wahrgenommen." — Die gegenwärtig zur Aufstellung gelangen den Formationen für die Verstärkung des ost asiatischen Expeditionskorps werden bekanntlich nicht mehr wie das Expeditionskorps selbst mit Strohhütsn, sondern mit Bordmützen ausgerüstet. Die hieran in der Presse geknüpfte Folgerung, datz sich die Strohhüte nicht bewährt hätten, ist jedoch — wie die „M. N. N." erfahren — un richtig. Bei der Abgabe der Strohhüte an das Expeditionskorps handelte es sich nämlich um eine Kopfbedeckung, die auch nach der Ausschiff ung bei den Landoperationen in den Mitte Sep tember noch zu erwartenden heitzen TagenDienste leisten sollte. Diese Rücksicht fällt bei Absendung der Verstärkungstruppsn weg, da sie erst nach Ablauf der wärmeren Jahreszeit zur Ausschiffung gelangen. Es soll ihnen deshalb nur eine Kopf bedeckung zum Gebrauch auf den Schiffen und hauptsächlich beim Pasjiren der südliche Breiten grade gegeben werden und für diesen Zweck wurde die Bordmütze als geeigneter befunden. — Eine aufregende Scene hat sich im Hafen von Sondcrburg abgespielt, als die für China ausgehobenen Mannschaften mit dem Plandam pfer nach Flensburg abfahren sollten. Eine zahl reiche Menschenmenge, darunter die Eitern der in den Kampf ziehenden, hatten sich eingefunden, um ihren Angehörigen noch ein letztes Lebewohj zuzurusen. Als der Dampfer eben die Landungs brücke verlassen hatte, fiel die weinende Mutter eines abgehenden Soldaten ins Wasser. Sofort schwammen 5 entfernt stehende Offiziere, die das Unglück sahen der Unfallstelle zu und hielten die alte Frau so lange über Wasser, bis sie in ein herankommendes Boot gehoben werden konnte. Dann wurde den braven Offizieren hilfreiche Hand zur Rettung gereicht. — Die Versuche mit dem Zeppelin'schen Luftschiffe sollen im September d. I. wieder aus genommen werden. Die Rücksicht auf die Be endigung der Herbstmanöver ist für die Wahl dieses Zeitpunktes matzgebend, da dann die Offi ziere der Luftschiffer-Abtheilung an den Versu chen wieder theilnehmen können. Die ersten Aus stieg versuche Ende Juni haben, wie jetzt wieder holt betont wird, ein Ergebnih gehabt, das den größten Theil der Fachleute befriedigte. Vor dem neuen Aufstieg sollen 2 technische Aender- derungen vorgenommen werden, die sich aus dem ersten Aufstieg als praktisch ergeben haben, und zwar in der Anbringung des Laufgewichts und der Steuer. Berlin, 23. Aug. Im Auswärtigen Amt sind heute die ersten directen Depeschen von der deutschen Gesandtschaft in Peking eingetroffen. Sie bestätigen im wesentlichen die bisher gebrach ten Mittheilungen, insbesondere die Meldung, datz noch kurz vor Eintreffen des Entsatzes die Legationen stark bombardirt worden waren. In seiner vom 14. August datirten Depesche hebt der deutsche Geschäftsträger Herr von Below diesen Umstand ausdrücklich hervor, indem er bei fügt, datz nicht etwa der Pöbel, sondern regu läre chinesische Truppen noch am Tage vor dem Entsatz den Sturm auf die Legationen unter nommen hätten. In einer zweiten, vom 16. August datirten Depesche meldet Herr von Below, datz die Chinesenstadt und die Mandschurenstadt bereits verhältnitzmätzig pacificirt seien, dagegen tobte bei Abgang des Telegramms der Kampf noch um die Kaiserstadt. Das diplomatische Corps in Peking ersuchte die Befehlshaber der verbündeten Truppen, die Kaiserstadt nach ihrer Eroberung stark besetzt zu halten. Sehr bemerkenswerth ist, datz sowohl die Depesche vom 14. als die vom 16. August je sechs Tage brauchten, um von Peking nach Tschifu zu gelangen, von wo beide, wie bereits erwähnt, erst heute hier eintrafen. Die Verbindung zwischen beiden Orten ist demnach noch immer nicht in Ordnung. Von anderer Seite ist an hiesiger amtlicher Stelle ein Telegramm einge laufen, datz westlich von Tientsin wieder aufs neue gekämpft wird. Stockholm, 22. Aug. König Oskar hat das Schiedsrichteramt in der Frage der Ent schädigung der deutschen, englischen und ameri kanischen Unterthanen wegen der letzten Unruhen aus Samoa angenommen. — Josef Doglia, der Generalagent der New- yorker Lebensversicherungs-Gesellschaft, hat einem Genueser Blatt folgende Mittheilungen über die Lebensversicherungen des verstorbenen Königs Humbert gemacht. König Humbert war beiden verschiedenen europäischen Gesellschaften mit zehn Millionen Franken, bei der Newyorker Lebens versicherungs-Gesellschaft mit vierzehn Millionen Franken, beim „Mutual Life" mit acht Millionen und bei der Equitable-Gesellschaft mit vier Millionen Franken versichert. Das ergiebt eine Gesammt- summe von 36 Millionen Franken für König Humbert's Erben. Paris, 23. Aug. Die ersten alarmirenden Meldungen über die Aufregung, welche die Nach richt von der Flucht der Kaiserin in den Pro vinzen hervorgerufen, kommen aus Hankau. In der Nacht von Montag auf Dienstag versuchten Verschworene, um sich in Besitz von Geldmitteln zu setzen, eine grotze Action, nämlich die englische Bank, die sogenannte Dananesbank anzuzünden. Der Plan wurde im letzten Augenblick entdeckt. Die Thäter, die ihr Werk bereits begonnen hat ten, wurden verhaftet, die Rädelsführer an Ort und Stelle enthauptet. Der französische Consul, welcher dies meldet, fügt hinzu, datz ähnliche Anschläge im ganzen Westen Chinas zu besorgen seien, sobald Gewißheit vorliegt, daß die Kaiserin Peking verlassen hat. Man wird dafür sorgen, daß die Bevölkerung durch entstellte Berichte über allerlei Qualen, denen die Kaiserin ausge setzt ist, aufgeregt wird. Der Schanghaier Consul meldet, daselbst herrsche Ruhe. Die Ausschiffung der französischen Matrosen vollzog sich ohne Zwi schenfall. London, 21. Aug. Kriegsmüdigkeit in England? Es ist überraschend wie sehr die jüngsten Berichte aus Südafrika die kriegerische Stimmung in England herabgedrückt haben. Man hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, datz De Wet gefangen genommen und Botha durch einen schnellen vereinigten Vormarsch autzer Thätigkeit gestellt werden könnte. Statt dessen hat De Wet seine Streitmacht verdreifacht und beunruhigt nun Pretoria von Westen her, wäh rend Botha sehr feste Stellungen im Osten ein genommen hat. Roberts aber meldet, datz ihm zur Fortsetzung des Krieges die Pferde fehlen, obgleich bereits 150 000 Pferde für diesen Krieg angekauft wurden. — Es ist sehr leicht möglich, datz in kurzer Zeit die Stimmung umschlägt und man froh wäre, wenn die Buren gegen Ueber- lassung der Nordhälste von Transvaal Frieden schließen würden. — Mit der Einnahme von Peking durch die verbündeten Truppen ist der Kampf gegen China durchaus noch nicht beendet; vielmehr deutet Manches darauf hin, daß der Widerstand der Chinesen jetzt erst recht hartnäckig werden wird. Schon gestern berichteten wir von Märschen chinesischer Truppen unter Bedrohung der Rück zugslinie der Verbündeten; nun meldet, wie man aus London telegraphirt, der englische Admiral Bruce aus Taku vom 20. d. M., datz ein kleines Gefecht etwa sechs Meilen südlich von Tientsin am 19. d. M. stattgefunden haben soll. Dies könnte den Beginn der chinesischen Operationen im Rücken der Alliirten bedeuten; die Truppen nachschübe, insbesondere die deutschen würden dann bald recht viel Arbeit bekommen. — Das Fehlen neuer Nachrichten aus Peking lätzt das Konsularkorps in Schanghai befürchten, daß möglicherweise jede Verbindung zwischen Peking und Tientsin aufgehoben ist. Der hier eingetroffene Konsiliarbericht meldet, daß der Gouverneur von Soochow sich auf einen An griff von Seiten der Salzschmuggler gefaßt macht, die von Pangchow her über Tschingkiang anrücken. — Wie aus Pretoria telegraphirt wird, haben die Generale Buller und French nun mehr ihren Vormarsch im Osten des Transvaals wieder begonnen. Bullers Streitmacht ging aus der Stellung von Twyfelaar nach Vanwylsvlei acht Meilen weiter nördlich vor. Die Buren widersetzten sich dem Vormarsche, es kam wieder holt zu Plänkeleien. French ging gleichfalls in die Nähe von Vanwyksvlci vor. Gleichzeitig beginnen die Buren sich wieder im nördlichen Natal zu regen. Wie Daily Telegraph aus Durban meldet, hätten sie den „Langen Tom" in der Nähe von Jngogo in Stellung gebracht; das Feuer desselben werde auf die Eisenbahn brücke in Jngogo gerichtet. Nach einer Meldung des Standard aus Durban soll die Eisenbahn nach Ladysmith in der Nähe von Haltingspruit in der Nacht zum 22. von den Buren beschädigt und infolgedessen ein Güterzug entgleist sein. —