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Der Grenzbotr Der Grenzbote erscheint täglich mit Ausnahme des den Sonn- und Feiertagen folgenden Tages und kostet vierteljährlich, voraus bezahlbar, 1 M'k. 2o Psg. Bestellungen werden 0n der Geschäftsstelle, von den Austrägern des Blattes, sowie von allen Kaiser!. Postanstalten und Postboten angenommen. WM M Anzeiger für Mors und das obere Vogtland Inserate von hier und aus dem Verbreitungs bezirk werden mit 10 Psg-, von auswärts mit 15 Psg. die 4mal gespaltene Grundzeile oder deren Raum berechnet und bis Mittags 12 Uhr für den nächstfolgenden Tag erbeten. Reclamen die Zeile 20 Pfg. Verantwortlicher Redacteur, Drucker und Verleger: Gtto Weyer rn Adorf. Hierzu Sonntags die illuftrirte Gratisbeilage „Der Zeitspiegel". 173. Mittwoch, den 1. August 1900. - 05. Iahrg. Wir machen erneut darauf aufmerksam, daß das Tragen von Sensen ohne Schutzvorrichtung auf öffentlichen Straßen und Wegen bei Strafe bis zu 60 Mk. oder Haft bis zu 14 Tagen laut unsrer Bekanntmachung vom 15. August 1899 ver boten ist. Adorf, den 27. Juli 1900. Der Stadtrttth, Kämnitz. Die Ermordung des Königs Hnmdert von Italien. Auch außerhalb Italiens, in der ganzen ge sitteten Welt wird nur ein Gefühl des Abscheus und der Entrüstung herrschen ob dieser schreck lichen That. Man hat ja, seitdem selbst die Kaiserin Elisabeth von Oesterreich an dem Dolch stoß eines Schurken verbluten mußte, auf den Versuch verzichtet, nach einigermaßen verständ lichen Motiven derartiger Attentate zu forschen. Auch in diesem Falle wird man es nicht begreifen können, wie ein so milder, gerechter und fried liebender Fürst den Haß eines Einzelnen in dem Grade auf sich lenken konnte, daß dieser den traurigen Muth zu finden vermochte, seine Hand gegen das gekrönte Oberhaupt der Nation zu erheben. Ein fluchwürdiger Mordbube hat die Waffe auf einen Fürsten gerichtet, der wiederholt die treueste Fürsorge für sein Volk bekundet hat und sich allgemeiner Liebe und Verehrung er freute, den Freund und Bundesgenossen unseres Kaisers. Unverständlich ist es, warum die inter nationale Mörderbande, die den Fürstenmord zu ihrem Prinzip gemacht hat, sich gerade Diejenigen zum Opfer aussucht, welche am wenigsten den Haß verdienen, der aus solchen fanatischen Tha- ten spricht: wie die Kaiserin Elisabeth dem Mordstahl, so ist jetzt König Humbert der Kugel verfallen. Ueber die Ausführung der That wird berich tet: König Humbert nahm die Einladung des Bürgermeisters von Monza zum Provinz-Turn feste an. Er wohnte demselben ohne die Köni gin mit dem Adjutanten Ponziovaglio bei, die Riegen zogen an ihm vorbei, er vertheilte Preise an die Prämiirten und sprach zu jedem einige Worte. Um zehn Uhr verließ er den Turnplatz und bestieg den bereitstehenden Wagen. Noch ehe der Adjutant eingestiegen war, trat aus der Menge ein schlecht gekleidetes Individuum hervor und schoß aus einem kurzen Revolver in rascher Folge drei Schüsse auf den König ab. Dieser sprang auf, fiel aber sofort, ins Herz getroffen, zurück und starb. Die Menge stürzte sich auf den Mörder, den die Polizei blutend und zer fetzt herauszerrte, in einen Wagen warf und fortführtc. Der König wurde in die Villa Reale nach Monza gebracht. Der Mörder Angelo Bressi ist keiner der Anarchisten, die als notorische Gewaltsmenschen gelten; wenigstens ist er der deutschen Staats polizei, welche,diePersonalien dieser internationalen verbrecherischen Vereinigung besitzt, nicht als sol cher bekannt. Der Umstand, daß in schneller Aufeinanderfolge Präsident Carnot, die Königin Elisabeth von Oesterreich und jetzt König Hum bert durch die Hand italienischer Anarchisten fie len, läßt darauf schließen, daß diese eine beson dere Gesellschaft zur Ermordung von Staatsober häuptern begründet haben. In Berliner Kreisen, die durchaus in der Lage sind, die Verhältnisse zu überschauen, ist man der Ueberzeugung, daß hochstehende Personen, besonders gekrönte Häup ter, anarchistischen Umtrieben so lange zum Opfer fallen werden, bis man nicht dieselbe rücksichts lose Strenge anwendet, wie in Rußland gegen die Nihilisten, die durch sofort vollstreckte Todes urtheile und die Verbannung nach Sibirien derart eingeschüchtert sind, daß ihre Organisation fast völlig aufgehört hat und ihre Thatkraft seit Jah ren erlahmt ist. Gerade aber in Italien sei man mit unverzeihlicher Nachsicht gegen die Ent wicklung und Ausdehnung der Anarchie verfah ren. Auch der unglückliche König Humbert selbst hatte für diese Gesellschaft viel zu hochherzige Regungen. Der Mörder erklärte, er heiße Gae tano Bressi, geboren am 10. November 1869 in Prato, und sei Seidenweber. Er sagte weiter er sei Anarchist und komme von Amerika, wo er sich in Patuson aufgehalten habe. Er habe keine Mitschuldigen und habe das Verbrechen aus Haß gegen die monarchischen Einrichtungen begangen. Er sei am 27. Juli von Mailand, wo er sich seit einigen Tagen befunden habe, in Monza ange kommen. Das erste Attentat, daß gegen König Hum bert gerichtet wurde, verübte am 17. November 1878 ein Koch, Namens Passanante, in Neapel, als der König dort mit seiner liebreizenden, jungen Gemahlin eine Rundfahrt durch die Straßen machte. Damals schützte der Minister präsident Cairoli das Leben des Monarchen, in dem er sich zwischen diesen und den Thäter warf, und dessen Dolchstoß auffing, wobei er übrigens auch mit einigen leichten Hautabschür fungen davonkam. Zum 2. Male richtete der Schmied Acciarito am 22. April 1897 den Mordstrahl gegen den König, als dieser zum Wettrennen nach Campanella fuhr. König Humbert, der gerade seinen 29. Hochzeitstag feierte — er vermählte sich 1868 — ließ sich durch das mißglückte Attentat die gute Laune nicht verderben, er setzte seine Fahrt, als wäre gar nichts geschehen, ruhig fort, und äußerte später auf dem Rennplatz lächelnd zu seiner Umgebung: „Das sind die kleinen Unannehm lichkeiten unseres Berufes". Aber so wenig ihn die Gefahr innerlich berührte, der er eben ent ronnen war, so tief bewegten ihn die Kund gebungen der Volksliebe, die ihm Abends dar gebracht wurden. Ohne lange Vorbereitungen, ganz spontan zogen Tausende und Abertausende vor seinen Palast und gaben ihrer Genugthuung über die Errettung des Herrschers durch endlose brausende Hochrufe begeisterten Ausdruck. Da äußerte der König: Man sagte mir, daß man eine Demonstration organisiren wolle, aber nie hhtte ich geglaubt, daß sie in so kurzer Zeit sich so großartig gestalten könnte — sie hat mich tief gerührt, und so werden die Bande der Liebe, die mich mit meinem Volke verbinden, immer fester und in mir das Bedürfniß immer größer, mich selbst jederzeit für das Glück des Landes zu opfern." Und nun hat sich noch ein verworfenes Subject gefunden, um das todtbringende Geschoß auf den volksthümlichen König zu richten, nun kann er sich nicht mehr für das Glück des Landes opfern, für das er Zeit seines Lebens gewirkt hat. Nur einen Trost giebt es für Italien und seine Freunde in der tiefen Trauer, die sie heute beherrscht. König Humbert hat in seinem Sohne Victor Emanuel einen Sohn und Nach folger hinterlassen, den er in seinem Geiste erzogen hat. Aus der Trübsal der Stunde sproßt die Hoffnung für die Zukunft, daß auch Victor Emanuel III., wie sein Vater und Großvater, auf dem Throne ein Freund Deutschlands und ein Fürst des Friedens sein werde und zum Heile seines Landes und zum Segen der Menschheit. PslMsche Rundschau- Berlin, 30. Juli. Die für gestern von Li-Hung-Tschang angekündigte Ankunft der frem den Gesandten in Tientsin scheint sich, wie ja leider zu besorgen war, nicht erfüllt zu haben. Will man daran glauben, daß sie überhaupt noch am Leben sind, dann läßt das Verfahren der chinesischen Regierung nur die eine Deutung zu, daß sie die Diplomaten als Geiseln in ihrer Gewalt behalten will, in der Hoffnung, dadurch die fremden Truppen von der Hauptstadt des Reiches fernhalten zu können. Berlin, 30. Juli. Der deutsche Konsul in Tschifu telegraphirt vom 27. ds. Mts.: Nach einer Drahtmeldung des Gouverneurs von Schantung an mich ist eine Depesche an unsere Gesandtschaft in Peking am 22. d. Mts. beför dert worden. Ferner telegraphirt der Gouver neur an das hiesige Consularcorps, daß nach einem Kaiserlichen Edikt vom 24. d. Mts. außer dem deutschen Vertreter alle Gesandten unversehrt und mit Lebensmitteln versehen seien. Eine dritte Depesche des Gouverneurs an das hiesige Consularcorps meldet die Weiterbeförderung eines Telegramms der Admirale in Taku an die Ge sandtschaften in Peking, in dem die Gesandtschaf ten gebeten werden, directe Nachrichten mit einem fliegenden Courier zu senden. — Nach chine sischen Meldungen wurde am 8. d. Mts. die englische Gesandtschaft von den Truppen Tung- fuhsiangs angegriffen, der Angriff aber erfolg reich abgeschlagen. Tungfuhsiang wird auch von den Truppen des Prinzen Tsching bekämpft. Der gegenwärtige Zufluchtsort der Europäer ist die direct bei dem Kaiserpalast gelegene Peitang- Kathedrale. Der Palast selber wird ebenfalls belagert. Die verwüstete Altstadt von Peking ist umzingelt. Das große Einschließungsheer be steht aus Borern und chinesischen Truppen. — Der Schah von Persien trifft am 29. August aus Paris, über Köln kommend, in Berlin ein und wird hier als East des Kaisers im Schlosse Bellevue Wohnung nehmen. Am 1. September wohnt der Schah auf Einladung des Kaisers der großen Herbstparade auf dem Tempel hofer Felde bei. Die Abreise aus Berlin erfolgt voraussichtlich am 3. September Abends. — Die Börsensteuer-Einnahmen für den Monat Juni ergaben mit 10,58 Mill. Mark das enorme Plus von 7,16 Mill. Mark gegen den gleichen Monat im Vorjahre. Es beruht dies darauf, daß kurz vor dem Inkrafttreten des neuen Stempelgesetzes noch zahlreiche Industrie- Aktien und -Anleihen zur Abstempelung ge langten. Paris, 30. Juli. Die Stimmung ist in der hiesigen königstreuen Kolonie sehr düster. Man war in diesen Kreisen schon vor Monats frist beunruhigt, und zwar durch eine Nachricht, wonach in Pontebba an der österreichisch-italieni schen Grenze ein Anarchist verhaftet worden sei, der seinem Vater brieflich mitgetheilt habe, er sei ausgeloost, den König Humbert zu ermorden. Man glaubt hier, Bressi sei in der That ausgeloost worden. Der italienische Pavillon auf der Aus stellung bleibt heute und vermuthlich die ganze Woche geschlossen. London, 30. Juli. Die „Central News" berichten aus Pretoria, daß die Buren den eng lischen General Vaden-Powell in Rustenburg ein schließen. Die Zahl der Buren sei bedeutend, sie nehmen starke Stellungen ein. Wegen der Sicherheit der Rustenburger Besatzung herrsche keine Besorgniß. London, 30. Juli. Die letzten Nachrichten lassen keinen Zweifel darüber, daß alle Fremden in Peking massakrirt wurden, ausgenommen wenige Gesandtschaftsmitglieder, die als Geiseln gefangen gehalten werden, um den Vormarsch