Volltext Seite (XML)
ruhlsvcrfitsslMgs.Gesetz und zu der Strafproceß-Ordnung, von den Beschlüssen der verbündete» Negierungen wesentlich ab. Wenn die verbündeten Regierungen gleichwohl an d:r Ueberzcugung fest halten, daß «ine glückliche Lösung der großen Aufgabe, welche der beginnenden Session hinsichtlich der Justizgesctze gestellt ist, möglich sei, so geschieht es in dem Vertrauen, daß Sic, aeehrteste Herren, bei Berathung jener Entwürfe das Interesse einer sichern und unbehinderten, das allgemeine Wohl wirksam schützenden Aus übung der Rechtspflege im Auge behalten werden. Tie verbündeten Negierungen dürfen hoffen, daß der Reichstag dem, was in der so eben bezeichneten Richtung für unerläßlich erkannt werden muß, seine Zustimmung nicht wird versagen wollen. Die in der vorigen Session beschlossene Verlegung des Etatsjahrs für den Ncichshaushalt macht die Feststellung eines besonderen Etats für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1877 nöthig. Dieser Etat, bei welchem der des laufen den Jahres im Wesentlichen zum Anhalt gedient hat, wird Ihnen vorgelegt werden. Beklageuswerthe Unfälle, von welchen deutsche Schiffe in neuerer Zeit häufiger als sonst betroffen worden sind, haben das Bedürfniß einer gesetzlichen Regelung des bei Untersuchung von Seeunfällen zu beobachtenden Verfahrens wachgerufen. Ein hierauf bezüglicher Gesetzentwurf wird Ihnen zugehen. Die auswärtigen Beziehungen Deutschlands entsprechen, ungeachtet der augenblicklichen Schwierigkeiten der Lage, dem friedfertigen Charakter der Politik Sr. Majestät des Kaisers. Das angelegentliche Bestreben Sr. Majestät ist un abänderlich darauf gerichtet, gute Beziehungen m>t allen Mächten, und insbe sondere mit den Deutschland nachbarlich und geschichtlich näherstehenden, zu pflegen, und auch unter ihnen den Frieden, sofern er bedroht werden sollte, durch freundschaftliche Vermittelung zu erhalten. Was aber die Zukunft auch bringen möge, — Deutschland darf sicher sein, daß das Blut seiner Söhne nur zum Schutze seiner eigenen Ehre und seiner eigenen Interessen eingesetzt wer den wird. Der Druck, welcher auf Handel und Verkehr nicht blos in Deutschland sondern auch in den meisten andern Ländern schon seit geraumer Zeit lastet, ist Gegenstand der unausgesetzten Aufmerksamkeit der verbündeten Regierungen. Eine unmittelbare und durchgreifende Abhülfe liegt bei der Allgemeinheit der obwaltenden Ucbelstände und nach der Natur derselben nicht in der Macht eines einzelnen Landes, wie lebhaft immer der gute Wille und die Bethätigung desselben bei denen sein mag, die an seiner Spitze stehen. Wohl aber wird es als die Aufgabe der deutschen Handelspolitik zu betrachten sein, von der heimischen In dustrie Benachtheiligungen abzuwenden, welche ihr durch die Zoll- und Steuer einrichtungen anderer Staaten bereitet werden. Auf dieses Ziel wird die kaiser liche Regierung namentlich bei den bevorstehenden Unterhandlungen über die Erneuerung von Handelsverträgen hinzuwirken bemüht sein. Während der vergangenen Monate sind Seiner Majestät auf Allerhöchst- dercn Reisen in verschiedenen Theilen des Reichs mannigfache Beweise der wärmsten Sympathien von Seiten der Bevölkerung entgegcngebricht worden. Von Seiner Majestät bin ich besonders beauftragt, an dieser Stelle Allerhöchst- deren Dank und innige Befriedigung darüber auszusprechen. Seine Majestät haben aus solchen Kundgebungen aufs Neue die freudige Gewißheit geschöpft, daß die durch das Reich begründete Einheit Deutschlands in dem Herzen der Nation tiefe Wurzeln geschlagen hat. Daß das Reich seiner verfassungsmäßigen Aufgabe, das Recht zu schützen und die Wohlfahrt des deutschen Volks zu pflegen, sich immer mehr gewachsen zeige, daß es sich immer mehr als festes Bollwerk des Friedens nach Außen und im Innern erweise, dazu werden, so Gott will, auch die Verhandlungen der be vorstehenden Session des Reichstags das ihrige beitragen. Sobald die Eröffnungsrede verlesen war, erklärte der Präsident des Reichskanzler-Amts ui'f Allerhöchsten Befehl den Reichstag für eröffnet, und der Präsident desselben von Forckenbcck brachte ein drei maliges Hoch auf Se. Majestät deu Kaiser von Deutschland, König Wilhelm von Preußen, aus, in das die Versammlung begeistert ein stimmte. Der Schluß desjenigen Passus in der Thronrede, welcher die auswärtigen Beziehungen betrifft, und der begreiflicher Weise mit großer Spannung erwartet worden, wurde nach deu Worten: „Was aber die Zukunft auch bringen möge, — Deutschland darf sicher sein, daß das Blut seiner Söhne nur zum Schutze seiner eigenen Ehre und seiner eigenen Interessen eingesetzt werden wird", — mit leb hafter Zustimmung begrüßt. Tagesgeschichte. Berlin. Dem Bundesralhe sind jetzt, wie bereits erwähnt, vom Neichskanzleramte die Ergebnisse der über die Verhältnisse der Lehrlinge, Gesellen nrd Fabrikarbeiter angestelltcn Erhebungen vorge legt wovden. Dieselben gewähren einen sehr interessanten Einblick in das ganze Gebiet der Arbeiterfrage. Berlin, l. Nov. Sr. Majestät Schiff „Ariavne" ist am 30. v. Mts. in Wilhelmöhafen außer Dienst gestellt. — Ein schrecklicher Unglücksfall ereignete sich in dem älteren Stadttheile Hamburgs: Ein bereits ziemlich baufälliges Haus in der Groß-Neichenstraße, unmittelbar an einem Canal (Fleeth), zeigte am 29. d. M. bedeutende Risse und soll schon am Abend vorher der Befehl ertheilt worden sein, daß die sämmllichen Einwohner daö drei stöckige Haus zu räumen hätten, was leider unterblieb. Früh stürzte daS HauS mit furchtbarem Krach zusammen, fiel mit dem oberen Theile ins Wasser und begrub unter seinen Trümmern 30 Personen; 6 Menschen konnten sofort gerettet werden, während 23 Menschen zum Theil als Leichen, zum Theil erheblich verletzt hervorgeholt wurden. Wegen des kolossalen Menschendranges mußten die umliegenden Straßen gesperrt werden. Mainz, 27. Oct. In der Anklage gegen den Bischof v. Ket- teler hat Henle daö Obergericht in seinem Urlheil das lais. Decret vom 20. April 1610 als noch zu Recht bestehend und das Bezirksgericht nachträglich als unzuständig erklärt, das desfallsige Urtheil, vernichtet und der Staatsbehörde das Weitere zur Einleitung des gesetzlichen Verfahrens gegen den Bischof anheim gegeben. Nach jenem Decret wäre für den Bischof trotz Verfassung und den neueren Strafgesetzen nur ein privilcgirter Gerichtsstand, in diesem Falle der Eivilsenat des Obergerichts, zuständig und daö Verfahren neu zu instrnircn. Elbing, 29. Oct. Wie wir in westpreußischen Blättern lesen, bat in der hiesigen Schwurgerichlssitzung vom 23. d. der merkwürdige Fall sich ereignet, daß die Geschworenen einen Angeklagten „nicht schuldig" sprechen wollten und ihn „schuldig" sprachen. Es lag dies an der Wortstellung der Frage, welch« lautete: „Ist ter Angeklagte nicht ohne sein Verschulden in dte Schlägerei verwickelt worden?" Diese Frage bejahten die Geschworenen, weil sie glaubten, daß er „schuldig" sei, wenn sie antworteten: „Nein, er ist nicht ohne sein Verschulden in die Schlägerei verwickelt worden." Als die Geschworenen den Jrrlhum aufklären wollte», war es zu spät, und es blieb nur dem Verthcidiger »och übrig, de» Antrag zu stellen: deu Angeklagten, der zu 1 Monat Gefängniß vernrtheilt wurde, einstweilen auf freien Fuß zu setzen, damit Seitens der Geschworenen ein Gnadengesuch bei dem Kaiser eingereicht werden könne. Diesem Anträge gemäß beschloß denn auch der Gerichtshof. St. Johann, 26. Oct. Der Soldat Karenbauer, der vor einiger Zeit seine Geliebte und deren Kind in der Nähe von Völk lingen ermordete, ist —nach der „Tr. Ztg."—von dem Kriegsgerichte in Saarlouis zum Tode vernrtheilt worden. Karlsruhe, 26. Oct. In der Gesangbnchangelegenheit be schloß heute die Generalshnode, der Oberkirche»ralh möge für die nächste Session der Synode den Entwurf eines neue» GesangbttcheS vorbereiten und 150 Lieder, welche allen Landeskirchen gemeinsam, auswählen, und möge ferner den nationalen Gedanken durch ein all gemeines deutsches Gesangbuch fördern helfe». Karlsruhe, 31. Oct. Die Getteralsynode ist heute geschlossen worden. Die Mitglieder derselben wurden am Nachmittage vom Großherzoge empfange» und sodann mit den höheren Staatsbeamten zur herzoglichen Tafel gezogen. Amsterdam, I. Nov. Der uordholländische Schifffahrtscanal (welcher das 1 mit der Nordsee verbindet) ist heute eröffnet worden. Der Eröffnungsfeierlichkeit wohnten der König, die Minister, die Mit glieder des diplomatischen Corps sowie die Spitze» der Civil- und Militärbehörde» bei. Ani Schluffe der Festrede erbat der Präsident der Canal Gesellschaft vom Könige die Genehmigung, dem neuen Hafen den Namen: Hafen von Amuiden gebe» zu dürfe». Nach Beendigung der Feierlichkeit machte der König mit mehreren hervor ragenden Persönlichkeiten eine Fahrt durch den Kanal. Wien, 1. Nov. Gutem Vernehmen nach hat die Pforte ihren frühere» vor Abgang des russische» Ultimatums gefaßte» Beschluß in der WaffcustillstandSfrage am 30. v. M. früh den Mächte» nolificirt. — DaS „Tageblatt" bringt die von keiner andern Seite bestätigte Nachricht, daß die Antwort der Pforte auf das russische Ultimatum heute Mittag bereits dem General Jgnatieff zngestellt worden sei. Wie das genannte Organ wissen will, habe sich die Pforte in der selbe» zur Annahme eines Waffenstillstandes von beliebiger Dauer geneigt erklärt, fordere jedoch die vorherige Bekanntgabe der FriedenS- bedingungen, welche eine Garantie für die Herstellung eines definitiven Friedens zu bieten geeignet wären. Bern, 28. Oktober. Die unter dem Commando des Obersten Mola von der Negierung des Cantons Tessin aufgebotenen Truppen sind augenblicklich mit der Eutwaffung der ultramontane» Banden beschäftigt, welche sich in Tesserte und an verschiedenen andern Orten auf dem Lande augesammelt haben; dagegen haben aber auch die freiwillig gebildeten liberalen Bürgerwchren, welche Waffen von der Regierung erhallen hallen, dieselbe» auf deren Aufforderung wieder abgeben müssen. Laut einer vom Obersten Mola heule öffenllich abgegebenen Erklärung ist übrigens seilher durch die eingeleilete Unter suchung constatiit, daß die Morbscene in Stabio das Werk der Ultra- montanen und Folge eines von ihnen angezetlelten verrälherischen Complots war, welchem, da vorgestern noch einer der Verwundeten gestorben, bis jetzt 4 Personen als Opfer gefallen sind. Der eid genössische Comissar, Nationalrach Bavier, hat sich gestern von Lugano nach Locarno, dem Sitz der Regierung, zurückbegeben. Einige Un- ordmmgen, welche vorgestern Nacht vorgekommen, sollen nichi von Bedeutung gewesen sein. Der „Post" wird von Petersburg geschrieben: Vor Kurzem wurden zweiunddreißig Studenten der medicmisch-chirurgischen Akademie verhaftet. Sie hatten heftig gegen die Regierung agilirt, die Absetzung des Kaisers, Einführung einer Volksvertretung und andere Dinge verlangt. Man hat sich damit begnügt, die unerfahrenen, znm Theil von älteren Demagogen verführten jungen Leute zu relegirrn, einige für drei, vier Jahre, andere für immer." London, 1. Nov. Die heutigen Morgenblätter bringen zwar keinerlei thatsächliche Mittheilungen über die zu erwartende Antwort der Pforte auf daö russische Ultimatum, sind aber fast alle der Ansicht,