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— Bezüglich des fälschlich verbreiteten Gerüchtes über einen Vertrag zwischen Rußland und Deutschland schreibt die officiöse „Ag. gen. Russe" zu St. Petersburg: „Man telegraphirt uns auS Paris, daß die Veröffentlichung deS apokryphen Vertrages über ein Schutz- und Trutzbündniß zwischen Rußland und Deutschland in der Zeitung „France" eine gerichtliche Untersuchung gegen diese Zeitung wegen Verbreitung falscher Nachrichten zur Folge gehabt hat. Wir bedauern, daß eine so sympathische Zeitung wie die „France", die von einem so erfahrenen Publicisten wie E. Girardi« geleitet wird, sich auf eine Ente nicht eines Spaßmachers, wie wir zuerst annahmen, sondern auf einr Ente eines gewöhnlichen Spitzbuben einlassen konnte. Man versichert, daß das sonderbare Document zuerst der Zeitung „Gaulois" für 100,000 Frcs. angeboten und hierauf von der „France" für 10,000 FrcS. gekauft worden sei. Für die Unannehmlichkeit, daö Opfer einer Mystifikation zu werden, etwas theuer! Eigenthümlich ist eS, daß dem vorsichtigen und skeptischen Geiste Girardin'S nicht sofort folgende Bedenken aufgestoßen sind: 1) die NeichSkanzlerämter im Allgemeinen, und das St. Petersburger und Berliner ganz besonders, haben nicht die Gewohnheit, ihre geheimen Documente so aufzube- wahren, daß sie jedem Beliebigen zugänglich sein könnten; 2) im Juni, von diesem Monat ist daö falsche Document batirt, war weder der russische Kanzler Fürst Gortschakoff, noch der deutsche Kanzler Fürst Bismarck in Berlin; 3) wie konnte dieses Document nom Grafen Adlerberg, dem Minister des kaiserlichen Hofes, contrasignirt sein, da Fürst Gortschakoff in diesem Jahre den Kaiser Alexander Nikolajewitsch nicht verlassen hat und denselben nach Berlin, nach Ems und darauf nach Warschau begleitete? Girardi« konnte es nicht unbekannt sein, das die Unterschrift des Reichs-Kanzlers nicht contrasignirt sein kann. Es konnte ihm nicht schwer fallen, sich mit Hülfe des Gothaschen Hofkalenders davon zu überzeugen, daß die 1. Abtheilnng der Eigenen Kanzlei Seiner Majestät, mit deren Siegel das Document versehen war, die Aufgabe hat, Unterstützungen an alte Beamte zu verabfolgen und natürlich mit dem Abschließen diplomatischer Verträge in gar keine Verbindung zu setzen ist. Wenn dieser Fehlgriff die französischen Journalisten doch veranlassen möchte, sich etwas genauer mit den ausländischen Verhältnissen bekannt zu machen, die sie zu besprechen sich bernfe» fühlen. Geschähe das, dann wären 10,000 Frcs. ein nicht zu theures Lehrgeld." — Betreffend die orientalischen Wirren wird die bereits in un beglaubigter Form aufgetretene Miltheilung, daß die serbische Regie rung den Waffenstillstand ablehne, von der Wiener „Politischen Corre- spondenz" bestätigt und aus Belgrad nach Wien gemeldet: „General Tschernajeff weigert sich, die türkischerseits zugcstandene Verlängerung der Waffenruhe anzunehmen." Hierzu bemerkt die „N. A. Z.": Da auch die europäischen Mächte sich sämmtlich entschieden für einen Waffenstillstand ausgesprochen haben, so steht Serbien mit seiner Auf fassung des diesbezüglichen Verhältnisses allerdings nicht allein und man darf demnach wohl hoffe», daß die Pforte sich in dieser Hinsicht gutem Rath zugänglich machen werde. Thatsächlich ist eine von Ungewiß heiten aller Art erfüllte Situation besonders unerträglich für eine Armee, welche überwiegend aus Milizen, zum andern nicht geringen Theil aus fremden Freiwilligen besteht, die eben nur um deS Krieges und nicht um der Waffenruhe willen nach Serbien gekommen sind. Sollte die Pforte, welche die Ausnutzung eines Waffenstillstandes durch die Serben befürchte, in einen solchen nicht willigen, so würden damit möglicherweise Zustände eintreten, welche auf das benachbarte Oesterreich kaum gänzlich ohne Rückwirkung bleiben können und, nach einer neueren officiöse« Aeußerung der „Pol. Corr." z« schließen, auch nicht bleiben werden. Augenscheinlich sind die Verhältnisse in Serbien, welche bereits zu wiederholten Malen Gegenstand eines MeinungsauStau- sches zwischen Oesterreich und Rußland gewesen, auch Gegenstand der Mission, in welcher der Generaladjutant des Kaisers von Rußland, Graf Sumarakow, soeben in Wien eingetroffe« ist. Kaiser Franz Josef ist ans diesem Anlaß aus seinem steirischen Jagdrev ier nach Wien zurückgekehrl und Hal, wie die „Pol. Corr." berichtet, den General gestern Vormittag empfangen. Ungarische Blätter berichten, daß das Pester Generalcommando eine theilweise Verstärkung der Grenzwachttrnppen angeordnet habe. Berlin, 28. September. Die anfängliche Absicht des Bundeö- rathes, zu einer Plenarsitzung in nächster Zeit noch nicht zusammen- zutretcn, ist gutem Vernehmen nach aufgegeben worden. Wahrscheinlich wird sich das Plenum schon heut Nachmittag versammeln. Für diesen Entschluß dürfte der Wunsch maßgebend gewesen sein, vor dem Zn- sammentreten des Justiz-Ausschusses des Bundesrathes resp. der Justiz-Commission des Reichstages über die Entwürfe schlüssig zu werden, welche sich auf daö Kostenwesxn im Civilproceß und im Con- curSverfahren beziehen und deren Abschluß gleichzeitig mit jenen, der Justiz-Gesetze erfolgen soll. — Der Entwurf eines Patentgesetzes ist, wie die „Nat.-Ztg." mit Bestimmtheit hört, in der erste« Anlage be endet und wird jetzt einer Prüfung unterzogen, so daß die Angelegen heit in nächster Zeit schon an den Bundesrath wird gelangen können. Gera. In unserer Stadt hat sich dieser Tage der Fall ereignet, daß eine junge Dame, welche Abends ihre Handschuhe mit Benzin wusch und dieselben in unvorsichtiger Weise dem Lichte näherte, nicht un bedeutende Brandwunden in Folge ihrer Unvorsichtigkeit davon trug. Gerade jetzt, da bei beginnender Saison die „Handschuwäschereien" wieder in Flor kommen, sei auf diesen Fall mit besonderer Warnung hingewiesen. Weimar, 28. September. Das großherzogliche Ministerium hat neue Bestimmungen über die Vakanzen geistlicher Stellen publicirt. In soweit dieselben sich auf die Vergütung der sogenannten Vakanz- arbeiten anderer Geistlichen beziehen, entsprechen diese Bestimmungen einem seiner Zeit von der Landessynode gestellten Antrag. Auch für den Confirmandennnterricht, der nunmehr 6 Monate dauert, sind neue Bestimmungen getroffen worden, auS denen hervorgehoben sein mag, daß, da der Unterricht wenn irgend möglich im Pfarrhanse ertheilt werden soll, bei dem Um- resp. Neubau desselben auf die Errichtung besonderer Confirmandenzimmer Rücksicht zu nehmen ist. Wien, 28. September. Sämmtliche Blätter beschäftigen sich mit dem Handschreiben des Czaren. Das Tageblatt sagt: DaS Schreiben bringt nicht den Krieg unv nicht den Frieden, eS ist eine direkte Anfrage an Oestreich hinsichtlich seiner Ideen über die Zukunft des Orients, ein Appell an den Souverän abseits vom Meinungs austausch der Minister, abseits vom diplomatische« Verkehr. Das Schreiben sucht eine Entscheidung zu fördern und so kennzeichnet cs immerhin eine außerordentliche Situation. Wien, 29. September. Ein von den türkischen Truppen gemachter Versuch, die Morawa zu überschreite», ist, wie das „Tage blatt" meldet, gescheitert, da die Serben die Brücke bei Trujani zer stört halten. Dasselbe Blatt bestätigt, daß Tschernajeff die Türken am Donnerstag früh auf der ganzen Linie angegriffen hat. Belgrad, 29. September. Die Negierung veröffentlicht folgende Nachrichten voni Kriegsschauplätze: Nachdem die Waffenruhe am 24. d. abgelaufen war, begannen die Feindseligkeiten am Montag wieder. Gestern fand eine große Schlacht auf dem linken Ufer der Morawa stall. Die Serben überschritten den Fluß bei Bobowischte uud Buimir, welche Orte sie besetzten, während HorvatovicS im Rücken der türkischen Armee operirte und Krnschje cinnahm. Die Türken sind demzufolge in ihren Positionen eingeschlossc». Die Schlacht dauerte 12 Stunden, der Hauptzusammenstoß erfolgte vor Crevet (?), wo Tschernajeff per sönlich commandirte. Morales und Sächsisches. — Bekanntlich ist in Bodenbach ein Thierarzt von unserer Negierung angestellt, welcher die Einfuhr der Thicre auf der Eisen bahn in sanitärer Beziehung zu überwachen hat, damit nicht, wie früher vorgekommen, ansteckende Krankheiten mit dem eingeführten Vieh mit eingeschleppt werden. Vorgestern wurden nun nicht weniger als 22Dopelladungen fetleö Borstenvieh von der Einfuhr nach Sachsen zurückgewiesen, weil der betreffende Thierarzt in einigen Wagen die Klauenseuche constatirt hatte. Welch' enormer Schaden allerdings dem betreffenden Händler dadurch erwächst, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, welches Capital eine einzige Wagenladung repräsentirt. — Das Seminar zu Plauen erfreut sich infolge seines Nenomme's wiederholter Besuche von auswärtigen Schulmännern, so in neuerer Zeit selbst des Besuches eines griechischen Schulmannes. — Zum Empfange der Theilnehmer all der Versammlung sächsischer Gemeindebeamter, welche in den Tagen vom l3.—15. Oktober in Plauen tagen, werden hierorts bereits die nöthigen Vorbereitungen getroffen, um es den Betreffenden möglichst gastlich zu machen. Anmeldungen sind bei dem Herrn Direktor Baldauf baldigst zu be- wirken- Dresden. Als nächster Versammlungsort des sächsischen Turn lehrervereins ist Dresden bestimmt worden. — Ein auswärts wohn hafter Herr übergab am 26. Septbr. einem in der Restauration deö böhmischen Bahnhofes servirenden Kellner seine Reisetasche zum Auf heben. Als er Abends sein Eigenlhum wieder abholen wollte, erfuhr er, daß ein Anderer im Laufe deö Nachmittags die Tasche sich hatte in seinem angeblichen Auftrage auöhändigen lassen. Der Verlust ast bedeutend; es befanden sich i« derselben 1500 M. in Gold, 75 — 90 Mark in Silber; verschiedene Rechnungen, Eisenbahnkarten, Vollmachte« i u. s. w., sowie ein Plaid. ' Leipzig, 27. September. Gestern ist hier ein gefährlicher jüdischer Gauner anfgegriffen worden. Derselbe hatte vor einigen Tagen einen Tuchhändler gebeten, ihm einen 500 Markschein zu wech sel« «ud auch von ihm fünf 100-Markscheine dafür erhalte«, hierauf aber Gold für den einen 100-Markschein verlangt. Da der Tuch- Händler nicht im ausreichende« Besitze von Gold gewesen war, hatte jener den 500-Markschein zurückgenommen und die 100-Markscheine zusanimengefaltet zurückgegeben. Erst nach seiner Entfernung hat der Tuchmacher bei Entfaltung der Scheine entdeckt, daß er nur vier Scheine zurückerhalten hatte. Gestern versuchte der Gauner wieder Kiesen Betrug, wurde aber hierbei unschädlich gemacht. Chemnitz, 29. September. (Schwurgerichtssitzung). Ein seltenes Verbrechen war cs, daö heute den Geschwornen zur Abur- theilnng vorlag: das der Bigamie oder Doppelehe. Der Krempel schleifer Gustav Hermann Mehner, gebürtig auö Weißbach bei Zschopau, 38 Jahre alt, wegen Betrugs bereits dreimal bestraft, verehelichte sich im Angust 1865 mit Marie Große in Dresden. Er war damals beurlaubter Soldat, wurde aber einige Wochen nach der Trauung