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und seines Stellvertreters Beschwerde (darf man fragen, ob die Be schwerde Erfolg gehabt hat?) und erwarten Abstellung, wenn nicht die socialdemokralische Partei (???) in der Sladt in allen Dingen die Oberhand gewinnen soll. Die öffentlichen Sitzungen der Stadt verordneten sind zeilher den guten Bürgern znm Aergerniß geworden, während die niedere, die arbeitende Classe (wie zart!), welche das Publicum dabei bildet (berechnet man in Lößnitz die Bildung nach dem Geldbeutel?), darüber jubelt 8). Es wird Zeit, daß dagegen ernstlich eingeschritten werde, wenn nicht in der jetzigen Zeit üble Folgen zu Tage treten solle», die jetzt gar nicht zu übersehe» sind 9). Geschehe», vorgelesen, genehmigt »nv milunterschriebe» w. o. Dr. Otto Krauße, Bürgermeister, Carl Wilhelm Sülze, Friedrich Leberecht Küttner, Anton Gustav Weber, Carl Ernst Wendler. 1) Weber ist nicht Stadtv-rordneter, sondern nur Ersatzmann. 2) Die Beschuldigung ist unwahr. 3) Das Wort „ausscheiden" ist falsch, es muß heißen suspensirt bis zum Austrage der Sache. 4) Weber war ohngeachtet der stadträthlichen Einberufung weder berechtigt noch verpflichtet. 5) Nötzel schuldete keine Abgaben zur Schulkasse, sondern Schulgeld selbst, letzteres ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kein Ausschließungs- oder Suspcnsirungs-Grund. 6) Selbstverständlich erfolglos, da sich die Majorität von einer dreiköpfigen Minorität nicht bevormunden läßt. 7) Diese Behauptung ist die nackte Unwahrheit; ich werde später darauf zurück kommen. 8) Wird demnächst durch Veröffentlichung der an die vorgesetzte hohe Ver waltungsbehörde gerichteten Gegenschrift widerlegt werden. S) Vielleicht durch eine gründliche Revision der Holzgelderrechnungen? Hermann Gottschald. Vermischtes. * Ein zorniger Selbstmörder. Als kürzlich eine Gesellschaft junger Leute die Jungfernhaide bei Berlin passirte, bemerkte sie plötz lich einen Mann, der eben im Begriff stand, sich aufziihängen. Er hatte den Kopf bereits durch die Schlinge gesteckt und brauchte nur noch von seinem Fußhalt abzulassen, um seine Reise ins Jenseits an- zutretcn. Voller Schrecken rief die Gesellschaft dem Lebensmüden zu, er solle doch keine Tborhcit machen, sondern hübsch vom Baume heruntersteigen. Die Antwort des „Selbstmörders" war indeß in so naturalistische Kraftausdrücke gefaßt, daß wir sie nicht wieverziigcben wagen. In Folge dessen geriethen auch die wohlmeinenden Raihgeber in Zorn und es entspann sich ein lebhafter Wortwechsel, der insofern eines pikanten Reizes nicht entbehrte, als der Hängekandival seinerseits an demselben mit dem hänfenen Halsband theilnahm. Plötzlich aber entbrannte er durch eine Acußerung zu solcher Wuth, daß er seine Selbstmordgedanken in den Hindergrnnd drängte, den Kopf aus der Schlinge zog, vom Baume herabstieg und — zu „hauen" anfing. Es arrangirte sich alsbald eine großartige Prügelei, die schließlich den fröhlichen Abschluß fand, daß der zornige „Selbstmörder" seinen Strick am Baum im Stich ließ und seine durch diesen Zwischenfall wiedergewonneue Lebenslust durch eine schleunige Flucht bethätigte. Der Liebesbrief. Wollt' einmal dem Liebchen schreiben, Hatte gleich kein Briefpapier. Dacht' ich: gut! — da läßt du's bleiben — Gehst gleich lieber selbst zu ihr! Und so groß war meine Eile, Daß ich selbst als Liebesbrief Manche liebe lange Meile Nach dem fernen Liebchen lief. Und sie las den Brief geschwinde Küßt' und herzt' ihn tausendmal; Doch ich gab dem holden Kinde Küsse wieder ohne Zahl. Julius Becker. Druck von C. Bernhard Ott in Zwönitz.