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die Türke», welche, wie vermuthet wird, reguläre Truppen waren, einige hundert Stück Hornvieh mit sich fort. — Der ehemalige österreichische Botschafterin Paris, Graf Apponhi, ist in Venevig gestorben. Paris, 5. Juni. Der Türkischen Botschaft in Paris ist folgenoes oificielle Telegramm aus Konstantinopel vom 4. Juni zugegangen: Ein trauriges Ereigniß hat unseren erhabenen Herrn und seine Regierung tief betrübt. Slbvul Aziz Khan, der schon seit einiger Zeit untrügliche Zeichen von GejsteSrerrültung gab, hat sich heute Morgen in seine Gemächer des Palastes Tscheragen einge- schlossen und da umS Leben gebracht, indem er sich die Adern mit einer Scheere öffnete, die er verborgen bei sich trug. Die kaiserliche Regierung hat sogleich alle gesetzlichen Beweise aufnehmen und einen ausführlichen ärztlichen Bericht verfassen lassen, der Ihnen nächstens zugehen wird. Alle Minister, so wie die hohen Civil- nud militärischen Würdenträger werden dem Begräbniß Sr. Majestät beiwohnen, das mit der gewohnten Pracht und allen dem Verstorbenen schuldigen Ehren vor sich gehen wird. Die Leiche soll in der Gruft des Sul tans Mahmud beigesetzt werden. — Nach einem ebenfalls vom 4. dalirten Telegramm der „Agentur HavaS" sollte Abdul Aziz sich er dolcht haben und der Tod „beinahe augenblicklich" eingelreten sein; Prioatdepeschen zufolge hätte man, welche Lesart von der vorigen in sehr erkennbare Weise abweicht, den Sultan entseelt gefunden, einen Dolch in seine Brust gebohrt. Es braucht kaum erwähnt zu werben, daß hier, wie wahrscheinlich allenthalben, bis auf Weiteres Niemand an einen Selbstmord glauben will. Man erinnert daran, daß nach der eigenen Versicherung der neuen Machthaber Abvul Aziz erst vor drei Tagen in einem eigenhändigen Briefe an Murad V. die größte Ergebung in sein Schicksal und den Wunsch ausgedrückt habe, sein Leben in tiefster Zurückgezogenheit zu beschließen, man macht ferner geltend, daß Orientalen überhaupt nur selten, wenn sie sich zum Selbst' morde entschließen, zu einer so blutigen und eine gewisse Kenntniß und Geschicklichkeit vorauSsetzenben Methode, wie Oeffnung ver Adern, ihre Zuflucht nehmen, und daß man sich bei einem notorisch so schwach- müthigen Manne, wie Abvul Aziz war, am wenigsten eines solchen Entschlusses versehen könne. — Die „Liberte" allerdings giebt vor, folgendes Telegramm aus Konstantinopel erhalten zu haben: Der Ex-Sultan hat sich wirklich selbst umgebracht. Er hat sich mit einer ganz kleinen, aber sehr scharfen Frauenschcere die Schlagader von jedem der beiden Arme geöffn-t. Da Abdul. Aziz in seinem Lebe» mehrmals zur Aber gelassen worden war, so bezeichneten ihm Narben deutlich die Stelle, an der er das Instrument anzusetzen hatte. Konstantinopel, 5. Juni. Mlohat Pascha ist zum Präsi- denlen veS Siaazsralbs ernannt worben. Die hiesigen Journale con- statiren, daß Abdul Aziz seit seiner Thronentsetzung, namentlich aber am Abend reS 3. c., durch Ausbrüche des heftigsten Wahnsinns heim- gesucht gewesen sei. — 7. Juni. Der Minister des Auswärtigen hat den Vertretern der Türkei im AuSlanke ein Refumo des ärztlichen Berichts nnd Gutachtens über den Leichenbefund des verstorbenen früheren Sultans Abdul Aziz zugehrn lassen. Am Schlüsse dieses von 19 Aerzten unter zeichneten Berichts heißt cs: Wir sind demnach einstimmig der An sicht, daß der Tod des vormaligen Sultans Abdul Aziz durch eine in Folge der Verletzung ker Blutgefäße an den Armbeugen eingetretene Hämorrhagie herbeigefübrt worden ist, daß ferner diese Verletzungen von dem Instrument, daß uns vorgelegt worden ist, sehr wohl her rühren können, und daß endlich sowohl die Richtung, in der die Wun den verlaufe», wie deren sonstige Beschaffenheit und das Instrument, welche» die Wnneen hervorgebracht haben soll, uns zu dem Schlüsse kommen lassen, daß ein Selbstmord vorliegt. Aus Konstanünopel schreibt man: Noch führen die athener Blätter eine Orakelsprache, die sich nach allen Weisen deuten läßt. Aber man rüstet, das ist sicher. I» Berlin sollen 100,000 Stück Ehassepotgewehre angekanfl werden. Von Berlin meldeten wir, eS sölle dort ein griechischer Agent eingetroffen sein, um eine Anleihe abzuschließen. Doch war davon auf der dortigen griechischen Ge sandtschaft noch nichts bekannt. Wenn man aber in Athen durchaus rüsten will nnd keine baaren Geldmittel dazu hat, so muß man sich doch irgendwo zu leiben suchen; denn umsonst sind die 100,000 Chasse- Pots auch nicht zu haben. Uebrigeus hat die griechische Regierung bisher noch keine Kriegslust, sondern im Gegentheil friedliche Ge- sinnungen kundgegebe». Driburg, 24. Mai. In unserem kleinen Badestödtchen brach heute gegen 9 Uhr Morgens Feuer auS, welches bis 1 Uhr Mittags nicht weniger als 40 Häuser einäscherte. Um diese Zeit glaubte man eines weiteren Umsichgreifen der Flammen eine Grenze gesetzt zu haben. Von Paderborn war d-e freiwillige Feuerwehr zur Stelle. Stettin. (Tövtlicher Streit zweier Pferdehändler.) Am Sonn abend gerielhen hier zwei Pferdehändler in einen Streit. Beide Per sonen befanden sich in dem Stalle der Pferde. Einer der Beiden gerieth durch einen Wortwechsel derart in Harnisch, daß er die Mist gabel ergriff und damit seinen Gegner buchstäblich erschlug. Das unglückliche Opfer ist ei» Berliner, der hier auf dem Schiffbauerdamm wohnt, der andere ist ein Galizier. — Die Telegrophen-Verwallung befaßt sich nach einem Bescheide des General-TelegraphenamteS zwar mit der Beförderung von Tele ¬ grammen an bestimmte Adressen, nicht aber milder Beförderung von bloßen Adressen. Hiernach ist eS als unbedingt nölhig er achtet worden, daß jedes Telegramm einen Text enthalte. Vermischtes. * Aus'Berlin wird vom 1. Juni Folgendes erzählt: Ein hiesiger Justlzbeamler rief am Montag seinen Sohn, welcher ein auswärtiges Gymnasium besucht, telegraphisch an das Krankenbett der in Todes gefahr schwebenden Muller, und der junge Mann traf am Abend desselben Tages mit der Ostbahn hier ein. Die geliebte Mutter halte die Krisis glücklich überstanden und war außer Gefahr, sodaß der Sohn wit freudiger Beruhigung sein Nachtlager aufsuchen konnte. Als er am Dienstag Morgen erwachte, fiel ihm auf, daß eS, obwohl er nach der Reise prächtig und anscheinend sehr lange geschlafen, im Zimmer noch so dunkel war, daß er keinen Gegenstand wahrnehmen konnte. Dennoch vernahm er andererseits die Stimmen der jünger» Geschwister, vo» denen eins an sein Bett trat, um den Langschläfer mit einem Kusse zu wecken. Eine furchtbare Ahnung beschlich des Jünglings Herz und die Gewißheit raubte ihm fast den Verstand. Sein Augenlicht war erloschen, er war blind. Voller Entsetzen ließ er den Vater ans Bett rufen und machte ihn: Mittheilnng von der schrecklichen Wahrnehmung. Dieser ließ natürlich sofort alle Mittel anwenden, welche geeignet sein können, das Uebel zu heilen, hoffent lich mit bestem Erfolge. Für Eisenbahnreisenke ist der Fall aber unter allen Umständen beachtenswerth. Der junge Mann hat näm lich dem Arzte gestanden, daß er fast während der ganzen Reise aus dem Coupefenstcr gelehnt und nicht achtend den vehementen Zug, welcher durch jeden Eisenbahntrain entsteht, hiuausgeschaul habe. Bis jetzt ist lediglich dieser Umstand als die Ursache der Erblindung zu betrachten. * Am 7. Juni Nachmittags während eines heftige» Gewitters schlug der Blitz in den Gasthof „Zur rothe» Pfütze" zwischen Lau terbach und Marienberg und legte solchen in Asche. Ein Fraucnlcbcn. Sitten-Roman aus einer Großstadt. Von Franz Ewald. (Fortsetzung.) Es war nur noch wenige Tage vor Weihnachten und in dm Straßen der Stadt bereits reges Leben und Treiben. Vom schönsten Winterwetter begünstigt, bot der Weihnachtsmarkt einen heiteren, bunten Anblick. Das rege Leben in der Stadt dehnte sich sogar auch auf die sonst minder belebten Straßen aus; überall herrschten Frohsinn und Heiterkeit. Auch im „goldenen Stern" ging es lustig her. In dem Gast zimmer waren alle Bänke und Stühle dicht besetzt, so weit es der entsetzliche Tabaksqualm erkennen ließ. Herr Walter trank seinen Gästen zu und seine Gattin prangte in einer neuen Haube mit langen, gelben, flatternden Bändern. Es mochte beinahe zehn Uhr sein, als sich, von Allen unbemerkt, ein neuer Gast unter die Gesellschaft mischte. Nur der Wirth schien ihn zu sehen und es war, als ob zwischen Beiden ein Blick des Einverständnisses gewechselt wurde. Er ließ sich mitten unter den Zechern nieder und verlangte gleichfalls von dem Gemisch, welches die Stammgäste tranken. Wer den Mann beobachtet hätte, würde gesehen haben, daß er auch nicht einen Tropfen über die Lippen brachte; aber wer in dieser Versammlung hätte Zeit und die Be sinnung gehabt, auf seinen Nachbar Acht zu geben? Endlich erhob man sich zum Gehen. Ein Theil der Gäste be fand sich in einem halb sinnlosen Zustande, ein anderer, welcher vielleicht von stärkerer Beschaffenheit war, fühlte das Bedürfniß, sich noch weiter zu belustigen, und machte Vorschläge, wo man seine Laune auslassen wollte. Und diesen schloß sich der zuletzt so unbe merkt Eingetretene an. Ja, er steckte sogar seinen Arm durch den eines robusten Schmiedegesellen. So trat die lustige Gesellschaft auf die Straße hinaus. Der Mond sandte seine glänzenden Strahlen hinab und man sah deut lich, trotz des tiefen Schattens, an der gegenüberliegenden Straßen ecke eine «Reihe Männer aufgestellt, welche augenscheinlich das Wirthshaus „zum goldenen Stern" scharf beobachteten und jetzt auf die Gesellschaft zuschritten. Ehe man es sich versah, war ein Kreis geschloffen den einige mit lautem Halloh zu durchbrechen strebten. Es gelang aber nicht, denn drohend blitzten ihnen Waffen entgegen. „Ruhe!" gebot eine Stimme. „Wir wollen Euch nichts, Ihr sollt uns nur einen Verbrecher ausliefern, den Ihr in Eurer Mitte habt."