Volltext Seite (XML)
»88 Die alte Gans. Der Mensch verkürzt den meisten Lhieren, deren er habhaft werden und die er sich unter werfen kann, ihr Leben. Zu einer Zeit, wo der Gänsetodt an der Tagesordnung ist und wo Millionen kaum halbjähriger Gänse dem Würgengel des menschlichen Appetits zum Opfer werden, sey es daher erlaubt, ein Beispiel aus zustellen, wie alt eine Gans — versteht sich, eine befiederte — werden könne. An dem Ta ge, wo eine Bauersfrau von einem Töchterlein entbunden wurde, schlüpfte auch ein Gänschen aus dem Ei, und dies Zusammentreffen, oder vielleicht auch Aberglaube, bestimmte das Weib, einen Theil ihrer mütterlichen Zärtlichkeit auch auf dies Gänschen übergehen zu lassen. Es sollte mit ihrer Tochter auswachsen und leben, so lange die Natur wollte. So brütete sie denn zo Jahre nach einander, im zr und zssten aber nicht mehr, was ihr denn doch am Ende noch einen gewaltsamen Tod zuzog, ohne wel chen sie wahrscheinlich noch länger gelebt hätte. Nicht leicht wird es wohl einer ihrer schnattern den Schwestern noch geglückt seyn, ein Alter von zwei und dreißig.Jahren zu errei chen. Aber zu einem Martinsschmauße möchte diese Patriarchin--des Eänsegeschlechls wohl nicht getaugt haben. Durchsichtiges Leder. Der Lederfabrikant Fr. Rosch zu Weimar bereitet durchsichtiges, vor der Einwirkung der Feuchtigkeit gesichertes, Leder. Die Durch sichtigkeit dieses, einer horiiartigen Masse ähn lichen, Leders ist so groß, daß man die kleinste Schrift deutlich dadurch erkennen und lesen kann. Anekdote. In einer Gemeinde war der Prediger ge storben und man ließ verschiedene Kandidaten Provepredigten halten. Der Gemeinde, welche das Recht zu wählen selbst halte, gefiel der eine Kandidat vorzüglich. In seiner Predigt beschrieb er unter andern die Tugend, wie sie jedem Menschen gleichsam zurüse: „ Hierher, hierher! Hier ist die Quelle des Lebens." Die« s«n Ausdruck halten die meisten Landleute gar nicht verstanden oder gar ganz falsch gehört. Als daher Jeder seine Stimme geben sollte,- ob er den Kandidaten zum Pfarrer wünschte, trat Siner aus und meinte: Er sey eigentlich mit dem Kandidaten auch wohl zufrieden; nur komme es ihm unschicklich vor, daß er auf der Kanzel öffentlich ausgerufen: „Bier her! Bier her! Bier ist die Quelle des Lebens.^" Man stutzte; viele glaubten, dasselbe gehört zu haben; andere waren wenigstens ungewiß, was der Kandidat eigentlich gesagt hätte. Der Schulze, der ihn einmal lieb gewonnen hatte, sprach lächelnd: „Ei nUn, es gefällt mir doch, daß ers ehrlich sagt, wenn er gern eins trinkt." Dies stellte jeden zufrieden, und der Kandidat wurde einstimmig gewählt.