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so auch die Sphäre des Lebens erweitert. Wie aber der Geist thätiger worden ist, so verlangt er auch mehr Genüsse; er foderl Zerstreuungen und mit einer größern Bildung Hal sich auch der Luxus vermehrt. Das einfache Leben der Dorwelt ist verschwunden und ein verwickelteres und angestrengteres ist an seine Stelle getreten. Wir besitzen mehr Tugenden, aber auch mehr Laster; beide aber liegen in dem Gange der Na- rur. Wo keine Thätigkeit ist, da giebt es auch weder Tugend noch Laster; je größer und viel seitiger jene ist, desto zahlreicher werden auch diese. Die Vorzeit ließ vieles geschehen, was jetzt - nicht ohne Tadel und Verwünschungen geschieht. Man trank unch aß vormals bis zum Uebermaß; man mißhandelte die Menschen, welchen entwe der das Loos der Knechtschaft oder der bloßen Pienstbarkeit fiel; das Selbstdcnken war mit Aechlung belegt; das Forschen erstarb unter dem Drucke der Zeit und der Menschen. Jetzt hat man dasIoch der Vorurcheile, der Knecht schaft und der Intoleranz abgeschüttelt; aber man hat weder die Stärke noch die Entschlossen heit erkämpft, welche zu einem edlen und hu manen Leben durchaus nothwendig sind^ Man strauchelt daher oft, verübt Bedrückungen oder duldet mehr als man sollte; man kriecht, statt daß man getrost dem Uebermuche entgegen tritt, mid zittert vor Uebeln/ die ihre Fortdauer blos der Feigheit verdanken. Unser Verstand ist ge, übler, unsere Vernunft thätiger; uns empört ein solcher Anblick; wir tadeln bitter, was wir nicht ändern, und im Unwillen erklären wir unser Zeitalter für verdorbener und verworfener als irgend Eines der Vorhergehenden. Das Leben war sonsteine mechanische Sache, die man entweder geduldig im Dienste des Schick, sals betrieb oder in der man gläubig der Vor sehung vertrauere. Jetzt berücksichtigt man mehr den Zweck unsers Dasepns aus dieser Er- de; fragt bei allem, wozu und aus welchem Grunde, und wenn wir das, was geschieht, nicht mit dem Rechte übereinstimmend finden, fühlen wir uns gegen Golt und Menschen empört und wollen nicht einsrhen, daß es Uebel giebt, wel che entweder von der Natur unsers beschränkten Dasepns unzertrennlich sind oder welche sich bloß durch große Grundsätze, durch muthige Entschlossenheit und einen kühnen Freiheitsfinn entfernen lassen. Mehr Ideen im Kopfe, mehr Grimm über Unrecht im Herzen, aber auch weniger Entschlos senheit und Resignation sind die Quellen der Ue bel der Zeit. Es hängt von uns ab, daß es besser wird. Dem Menschen geziemt ein eiser ner Wille, eine kalte Vernunft und ein warmes Herz und wenn diese das lhun, was ihnen Pflicht und Ehre auferlegen, so bricht sogleich dieMor- genröthe besserer Tage an.