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Voigtländischer Anzeiger. 21. Stück. Sonnabends den 21. May 1808. Schilderung der Türken. Will man den Charakter einer Nation rich« tig zeichnen, so muß man die Züge zu einem sol chen Gemälde nicht in der Haupcstadt ihres Rei ches, sondern in den Provinzen aussuchen. Dort ist er ausgeartet, hier zeigt er sich noch rein und lauter; dort ist alles entstellt und das Ursprüng liche verwischt, hier ist es noch unangetastet und ungetrübt. Der Türke in der Provinz ist ein ganz anderer Mensch als in Constanlino- pel. Jener lebt noch einfach und mäßig, wie ein roher Sohn der Natur; dieser schweift in Wollüsten aus und laßt sich von gehässigen Lei denschaften regieren. Herrschsucht, Geldgier, Ehrsucht zerfleischen sein Herz; allein in der Brust des Bewohners von Kleinasien und von Rumelien herrscht Ruhe, Einfalt und Ergebung in das Schmal. Die türkische Na tion ist ein noch ungebildetes Volk. Der Kör per ist noch ungeschwächt und der Geist erwar tet noch den Bildner, welcher ihn erst zu dem Meisterstücke der Schöpfung macht, das er sepn soll. Die Türken sind von Körper stark und wohlgevildet, wie dies bei allen Nationen der Fall ist, welche viel im Freien leben und wel chen ein herrlicher Himmelsstrich lacht. Leicht können sie Hunger und Durst ertragen; von Bequemlichkeiten kennen sie nur wenige, und sie wissen sich vieles zu versagen, was andern Nationen zum Bedürfnisse worden ist. Sie sind daher vortrefflich zum Kriege geeignet, und ein Engländer macht die Bemerkung, Eu ropa habe Ursache froh zu seyn, daß es mit der Taktik und Mannszucht der Türken so schlecht beschaffen scy; denn wären sie gehörig disciplinirt und exereirt, und hätten sie Männer von Kopf und Entschlossenheit zu Anführern, so würden sie für Europa ein sehr furchtbarer Feind seyn. Ob sie aber gleich alle Ak ten von Mühseligkeiten ertragen und sich eine Menge Entsagungen machen können, so haben sie doch zu einer Lebensart wenig Neigung, wel che eine angestrengte, fortdauernde Thätigkeit crfoderl. Dies rührt von dem Klima her, das durch seine Hitze die Körperkräfte leicht erschöpft und den Menschen bald ermüdet. Die Türken besitzen eine ernste, finstre Gemütbsart, und da sie sehr mäßig leben, so haben sie eine feste Gesundheit. Keine Leiden schaften entstellen ihre Gesichtszüge; sie leben einfach