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Tiefurt Hier wohnet Stilledes Herzens Golde ne Bi lder steigen aus der Gewässer kla rem Dunkel. Hörbar waltet am Quell der leise Fittich segnender Geister. Vorstehenden Vers ließ die hochsinnige Herzogin Anna Amalia über den Eingang des Parkes zu Tiefurt bei Weimar schreiben. Der Kundige weiß, es sind Worte, die nur im Zauberland der deutschen Klassik entstehen konnten. Eng mit Weimars Glanz- und Ruhmeszeit verbunden ist der Tiefurter Park nnt seinem verträum ten, bescheidenen Schlößchen, seinen Schlängelwegen durch Wiefen- aucn und Berghang, seinen weihevollen Plätzen, Denksteinen, Tee häuschen, Tempelchen, Ruhebänken, Brücken, mit all den Inschriften und Baumriesen. Der ganze Zauber einer deutschen, landschaft lichen Gartenschöpfung, geweiht durch das Andenken des Goethe- kreises, umfängt uns. Es ist kein Park, den man mit einer Fremden- fchar, geleitet von einem laut erklärenden Führer, durchziehen darf. Eine geweihte Stätte ist es, die man allein, oder mit einem ver trauten, gleichgestimmten Menschen geruhsam durchwandeln sollte. Dann wird die Welt Tiefurts ein Erlebnis und Offenbarung. Dem Gärtner erscheinen norm geistigen Ange die Namen Wörlitz, Muskau, Branitz, Englischer Garten, Seifersdorfer Tal. Warum? Weil hier so viel Ursprüngliches, so viel Grundsätzliches, so viel Stil aus dem kleinen Heiligtum sprechen. Die staatlichen Parks in und uni Weimar (Weimarer Schloßpark, Schloßpark Belvedere, Schloßgartcn Etters burg) sind Nachfahren alter, regelmäßiger, architektonischer Gärten, denen vor allem die Goethezeit, unter persönlicher Anteilnahme des Dichterfürsten, den Stempel des landschaftlichen Gartens aufdrückte, und dieses Gesicht haben diese Park bis heute erhalten. Nur Tiefurt macht eine Ausnahme; es entstand aus der Landschaft eines herzoglichen Landgutes, aus Bauerngärten, aus dem Küchengarten des Pacht hofes, aus Schafwiesen, einem Stück Bergwald mit dein Flußlauf der Ilm an seinem Fuße. Der Schöpfer des Parkes ist der Gou verneur und Reisebegleiter der weimarischen Prinzen Karl August und Constantin, der Major Karl Ludwig von Knebel. Über die äußeren Ursachen der Entstehung des Tiefurter Parkes schreibt Pro fessor Hans Wahl u. a. folgendes: „Karl Ludwig von Knebel entstammte einer fränkischen Familie bürgerlicher Herkunft. Die Tüchtigkeit des Vaters war Friedrich dem Großen aufgefallen, so daß er ihn in den Adelsstand erhob. Sein Sohn hatte 10 Jahre lang in Potsdam den preußischen Gamaschendrill ertragen, ohne vom Fähnrich zum Offizier aufgerückt zu sein. Neigung und ein kleines Dichtertalent drängten ihn so stark zur Schriftstellerei, daß er die langwierige Laufbahn mit dem Titel eines Offiziers quittierte. Nach einigem Bedenken hatte er dann die Stelle eines Gouverneurs des weimarischen Prinzen Con stantin angenommen, der als zweiter Prinz zur militärischen Lauf bahn vorbereitet werden sollte. Er hatte zur Begleitung der beiden weimarischen Prinzen gehört, als diese auf der Bildungsreise nach Paris im Dezember 1774 die Bekanntschaft des jungen, berühmten Dichters des „Werther" und des „Götz" machten, ja er war es gewesen, der diese erste und folgenreiche Berührung vermittelte. Nach der Vermählung des jungen Herzogs Carl August am 8. Oktober 1775 bestanden in Weimar zwei getrennte Hofhaltungen, die der Herzogin Anna Amalia und die des jungen Herzogspaares. Ein großes Residenzschloß gab es seit dem Brand des Weimarer Stadtschlosses von 1774 nicht mehr, so daßCarl August mit der jungen Herzogin Luise sich im Landschaftsgebäude (heute Landtag) einrichtete und als Sommersitz Belvedere wählte,ivährend Anna Amalia meist Ettersburg vorzog. Bald wurde es als zweckmäßig empfunden, auch dem zweiten Prinzen eine kleine eigene Hofhaltung zu geben, aber wo? Man verfiel schließlich auf Tiefurt. Dort war allerdings kein Schloß, auch kein Schlößchen, sondern nur das Wohnhaus des fürstlichen Kammer gutpächters. Es war das ein ganz einfaches zweistöckiges Gebäude mit 16 kleinen Räumen und einigen winzigen Mansardenzimmerchen. Für den kleinen Hofstaat des Prinzen reichte es bequem aus. Hier konnte Knebel in aller Ruhe in Gemeinschaft mit den anderen Lebrern sein Erziehungswerk vollenden. Nach Behebung aller Schwie rigkeiten erfolgte am 20. Mai 1776 der Einzug des weimarischen Hofes — Goethe war mit unter den Gästen — im „Schlößchen" zu Tiefurt. Die Bauern hatten es sich nicht nehmen lassen, die Erhebung ihres Dörfchens zur fürstlichen Residenz ihrerseits festlich zu gestalten. Sie hatten ländliche Ehrenpforten errichtet und em pfingen den Zug mit Musik und Böllern. Dann gab es Kuchen und bis in die Dunkelheit hinein wurde getanzt; ein Feuerwerk mit Serenade beschloß den denkwürdigen 20. Mai, den Geburtstag Tiefurts vor nunmehr anderthalb Jahrhunderten." Aus den Aufzeichnungen des damaligen Gutspächters erhalten wir Kunde durch genaue Buchführung über die aus der Pachtung ge lösten Flächen und durch ein Flurkärtchen. Etwa 1780 bestand der Park aus einem Weg, den lange, schmale Wiesenstücke nach der Ilm zu begleiteten. Ein Zaun trennte ihn von den Weideflächen des Pachthofes und von den Bauerngärten, wohl auch vom Schlößchen Das auf dem jenseitigen Ufer der Ilm gelegene Lohhölzchen, prächtiger Laubholzbestand, wurde noch nicht in den Park einbezogen. Aus Briefen und Tagebuch-Aufzeichnungen ist aber zu schließen, daß vom Park aus eine alte Eiche, in deren Krone ein dreistöckiger Hochsitz eingebaut und an deren Fuße ein Spiel- und Tanzplatz freigelegt worden war, leicht erreicht wurde, daß dieser idyllische Platz sehr bald Wünsche auf Erweiterung des Parkes entstehen ließ. Prinz Constantin verließ im Juni 1781 „sein" Schlößchen Tie furt, um auf Reisen zu gehen. Damit tritt der bedeutendste Wende punkt in der Geschichte des Parkes ein. Die Herzogin Anna Amalia, damals 41 jährig, verließ ihren Sommersitz Ettersburg und zog nach Tiefurt, hier das bescheidene Leben einer Landedelfrau führend. Trotz des Wunsches ihres Sohnes, nichts zu verändern, fing sie bald an, Knebels Gartenschöpiung hier und da zu verbessern, schon im Sommer 1782 errichtete sie den Weimarer Genien Goethe, Wie land und Herder im Lohhölzchen Denksteine. Die Büsten schuf der Weimarer Bildhauer Klauer. Die Herzogin lernte Wörlitz kennen und brachte für ihren Tiefurter Park reichlich Pläne mit. Auf Goethes Rat wird der langgestreckte Baumgarten durch Niederlegung einer Mauer mit dem Schloßhofe verbunden. Nur zu bald trat zum Au- park der prächtige Waldhang. Lichtungen wurden ausgeschlagen, Wege angelegt, diese durch Steinwände gegen den Hang geschützt. An der Ilm entlang führte ein schöner Nferweg. Zu gleicher Zeit mag wohl auch der terrassierte Weinberg mit einem bescheidenen Gewächshaus entstanden sein. Im Jahre 1784 wurde ein mit Vasen bedeckter Stein errichtet, ebenso ein sechseckiges, leinwandumsponnenes chinesisches Zelt. Vom Dach hingen blecherne Glöckchen und 48 Gold quasten herab. Zur selben Zeit entstand, vom Baumeister Steiner errichtet, ein kleines Tempelchen, in dem eine plastische Gruppe (Kaunos und Biblis) aufgestellt wurde. Grotten- (Virgils Grab) und Felsenbauten im Lohholz werden erwähnt, kurz — die Aus stattung des Parkes mit dem der Zeit entsprechenden Beiwerk wurde von der Herzogin eifrigst betrieben und Goethe wird des öfteren Rat erteilt und Verse für die Steinplatten zur Verfügung gestellt haben. Auch im Jahre 1785 wurde lustig weiter gebaut und ver schönert, so u. a. ein Eiskeller im Lohholz. Der Tod des erst 32jährigen Bruders der Herzogin, des Prinzen Leopold, im Jahre 1785 war der Anlaß zur Erbauung eines Denkmals an der Ilm. 1787 entstehen eine Rabenhütte und, in allernächster Nähe des Tee hauses, im Grün versteckt, eine Kegelbahn. Als Gärtner in Tiefurt war zu Anna Amalias Zeit der Hofgärtner Eisenhut tätig, der noch dadurch bekannt geworden ist, das er die Abonnements auf das bekannte „Tiefurter Journal" in Empfang zu nehmen und zu verwalten hatte. Tiefurt und sein Park sind besonders dadurch berühmt ge worden, daß hier, in einem Waldtheater (auch Tiefurtisches Wald- und Wassertheater genannt), Schattenspiele und Theaterstücke vor geladenen Gästen aufgeführt wurden. Den Höhepunkt und zugleich das Ende dieser Theaterzeit brachte das Jahr 1782, als hier Goethes „Fischerin" am Jlmufer, gegenüber der Mooshütte, aufgeführt wurde. Korona Schröter, die bekannte Sängerin aus Weimars Groß- zeit, sang die Titelrolle. 1788 unternahm die Herzogin eine zweijährige Reise nach Italien. Durch einen Wolkenbruch arg mitgenommen findet sie 1780 ihren geliebten Park wieder. Schloß Belvedere wird zunächst ihr Aufenthalt, erst 1791 kehrt sie nach Tiefurt zurück und beseitigt die letzten Verwüstungen der Überschwemmung, allerdings ohne neue, einschneidende Veränderungen vorzunehmen. Ein Tem pelchen wird in den folgenden Jahren errichtet, ebenso gelangt eine tönerne Sonnenuhr (später in Sandstein ausgeführt) zur Auf stellung, desgleichen zur Bewässerung der Gärtnerei (ehemals Wein berg) eine Wasserkunst („ein Preßwerk"), die das für die Gärtnerei nötige Wasser auf die Höhenlage des Gewächshauses drückte. Diese Wasserkunst ist nicht mehr vorhanden, die dabei reichlich verwen deten Holzbauten und Holzteile werden ihren baldigen Verfall her beigeführt haben.