Volltext Seite (XML)
lr6 nur den deutschen Staatskörper, del allen Män geln um so ehrwürdiger, da seine Fortdauer von einem noch herrschenden Nechtsgcsühle zeug te, und er zusammenfallen mußte, so bald die Mächtigern übercinkamen, das Recht nicht mehr gelten zu lassen; seine vielen kleinen Fürstenhöfe zum Theil die Sitze der Urbanität, wo die von größern Höfen verscheuchten Musen ost eine ge deihliche Pflege fanden und denen Deutschland vielleicht die schönsten Blüthen. seiner Cultur verdankt; seine unzähligen kleinen freien Städte, deren Bürger, von mächtigen Herren umgeben, hinter ihren Mauern, die ihnen noch Schutz ge währten, weil bei einem möglichen Ueberfallc der Entsatz nie fern war, mit stolzem Selbst- ständigkeitsgefühl ein fleißiges, fröhliches, siche res Leben führten; man nehme die Republiken der Schweiz; auch die kleinen italienischen Staa ten— Und wenn sich einmal ein Mächtiger eine Verletzung erlaubte, wie groß war da nicht das Aussehn! wie allgemein die Theilnahme! Wurde er auch nicht immer genöthigt, sein Unrecht wie der gut zu machen, so suchte er es doch durch .Vorwände, durch wejtläuftige Rechtferligungs- schristen zu bemänteln, und bewieß noch auf diese Weise wenigstens einige Achtung für die öffentliche Meinung, Wie ganz anders kündigt sich das neue System an! Keine Rcchts- gründe gelten mehr; kein noch so sehr durch Jahrhunderte geheiligter Besitzstand; ein all mächtiges Wort entscheidet alles. An fünfzig Freistaaten sind schon vernichtet worden, die demjenigen der ihnen das Leben abgesprochcn, bis dahin größtentheils kaum dem Namen mich bekannt gewesen sepn mogten; und die unbedeu tendsten dieser, ohne alle Schonung wie ein Ameisenhaufen zertretener Freistaaten, hatten vielleicht ihre Geschichte, reich an Zügen heroi scher Tugend und edlen Bürgersinns; ihre mit schweren Aufopferungen erkaufte, mit Liebe ge pflegte, mit Sorge bewachte Freiheit hatte sich mitten unter den Stürmen des dreißigjährigen Krieges erhalten, und die edlen Friedensstifter zu Münster und Osnabrück, die durch keine Ver gleichung herabgesetzt werden sollten, hatten sich nicht erlaubt, diese Heiligthümer anzutasten!... Ost überspringt man eine Zeile in der Zeitung und erfährt darüber nicht, daß ein Ländchen die Selbstständigkeit, die es feit Jahrhunderten mit Ehre behauptete, unverschuldet eingebüßt hat. Die feierlichsten Garantien, die heiligsten Ver sicherungen helfen nichts; die Zusage von ge stern wird heute gebrochen — ohne Vorwand— ohne Entschuldigung — die Convenienz gilt allein. „Geht und empfehlt euch der Gewogen heit euers Herrn," heißt es an die Deputirte» einer freien Stadl aus dem Munde desjenigen, der ihr kurz vorher durch seine Unterschrift ihre Unabhängigkeit verbürgt hatte. In einer Pro, clamation wird über dasSchicksal eines ganzen Königreichs, noch ehe man es erobert hat) ent schieden, und diese Proklamation dient statt al ler Rücksprache mit den übrigen Mächten. Pro vinzen einer befreundeten Macht werden besetzt, während man noch über die Abtretung unterhan delt, und der Courier ihres bisherigen Souve- rains — des friedliebenden, der gerne ausopfert, um nur das Blut seiner bewaffneten Untertha- nen