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9, 13. Januar 1910. Nichtamtlicher Teil. in den Ausnahmezustand versetzt sind, unwirksam, da auf der Grundlage der Ausnahmebestimmungen im Falle des verstärkten Schutzes, des Ausnahmezustandes und des Kriegs zustandes der oberste Verwaltungsbeamte das Recht erhält, die Zeusur wieder auszuüben. Bestehen geblieben ist die Zensur für alle außerhalb Rußlands gedruckten Preßerzeugnisse. Wenn ein nach Ruß land kommender Reisender ausländische Bücher mit sich führt, so werden sich ihm beim Grenzübergang gegen eine Quittung abgenommen und auf seine Wahl hin, nach Petersburg, Moskau oder Warschau an die Behörde für ausländische Preßangelegenheiten auf seine eigenen Kosten zur Prüfung gesandt. Bei der Behörde erhält man beim Vorweisen der Quittung die für zulässig erachteten Bücher wieder aus- qehändigt. Die Praxis der Oberpreßverwaltung bestand in letzter Zeit darin, nur solche Bücher und Schriften zu ver bieten, in denen nach ihrer Ansicht Beleidigungen der Mit glieder des Kaiserhauses enthalten sind. Da das Buch von l)r. Schlesinger zum Mitnehmen auf die Reise bestimmt ist, hat es der Verlag im voraus von der russischen Zensur ge nehmigen lassen und es mit einem entsprechenden Aufdruck in russischer Sprache versehen. Deshalb können die Reisen den es unbeanstandet mit über die Grenze nehmen. Zum Schluß einige Zahlen über die Beförderung von Zeitungen und Zeitschriften durch die russische Post. Einer von vr. Schlesinger milgeteilten Tabelle ist zu entnehmen, daß die Einnahmen der russischen Post aus der Beförderung von periodischen Blättern betrug: 1902 1 879 000, 1903 2 080 000, 1904 3 433 000, 1905 2 360 000 und 1906 2 076 000 Rubel. Befördert wurden 1902 264 900 000. 1903 313 300000, 1904 367 500 000, 1905 372 400 000 und 1906 345 100 000 Stück. Da Ruß land am 1. Januar 1907 149 Millionen Einwohner zählte, so kommen nicht viel mehr als zwei Zeitungs- oder Zeit schriftennummern auf einen Einwohner. Hieraus ersieht man, daß die Verbreitung der russischen Presse noch recht gering ist. Kleine Mitteilungen. Rom Reichsgericht. (Nachdruck verboten.) Prozeß Peter Ganter. (Vgl. Nr. 7 d. Bl.) — Wie schon kurz gemeldet, kam am 8. d. M. vor dem Reichsgericht der Prozeß gegen Peter Ganter und seinen Gehilfen Hamburg zur Verhandlung, die beide gegen das Urteil des Landgerichts I in München Revision eingelegt hatten. Wie man sich erinnern wird, ist Peter Ganter als Absender der bekannten »blauen Briefe« und Verleger des Romans »Doppelte Moral« wegen Urkundenfälschung, Betrugs und Postdelikten zu einem Jahre Gefängnis und einer Geldstrafe ver urteilt worden, Hamburg wegen Beihilfe zur Urkundenfälschung zu 24 Tagen Gefängnis. Der Verteidiger Ganters, Justizrat Bernstein, beantragte die Aufhebung des Urteils und suchte insbesondere nachzuweisen, daß bei der völligen Unlesbarkeit der sogenannten Unterschriften der »blauen Briefe« von Urkundenfälschung keine Rede sein könne. Der Reichsanwalt beantragte die Verwerfung der Revision. Aus seinen Ausführungen sei hier folgendes mitgeteilt: Ein Betrug erscheint bedenkenfrei nachgewiesen. Die Empfänger der Briefe sollten in den Glauben versetzt werden, daß sie selbst kompro mittiert seien, und dadurch veranlaßt werden, den Roman zu kaufen, der für sie sonst keinen Wert hatte. Der Verteidiger hat einen Mangel des Urteils darin erblickt, daß nicht alle Einzel heiten bei den etwa 400000 Fällen festgestellt und nicht die Briefe verlesen worden sind. Diese fruchtlose Mühe durfte sich das Gericht nach Lage der Sache ersparen, da festgestellt ist, daß alle Briefe eine Abschrift des von Ganter entworfenen Textes ent hielten. Wenn im Urteile steht: die Hälfte der Empfänger sollte getäuscht werden, so liegt darin kein Rechtsirrtum; es sollte damit nur gesagt werden, worauf die Spekulation gegangen ist. Natürlich batte Ganter nicht darauf gerechnet, daß alle Briefempfänger auf den Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. Brief hereinfallen würden, aber wenn es nur die Hälfte tat, dann hatte er sein Schäfchen im Trockenen. Auch die Einwände gegen die Feststellung der Urkundenfälschung dürften sich nicht als stich haltig erweisen. Daß Ganter die Briefe nicht selbst geschrieben, sondern durch 24 Schreiber hat anfertigen lassen, schließt nicht aus, daß der eigentliche Täter Ganter gewesen ist und daß die Schreiber nur seine Werkzeuge gewesen sind. Der Dolus Ganters soll nicht ausreichend festgestellt sein. Das trifft nicht zu. Ganter will lediglich sein Tun für nicht strafbar gehalten haben. Das ist ein Irrtum über das Strafgesetz, der die Bestrafung nicht aus schließt. Der Nachweis, daß der Anschein erweckt werden sollte, als ob die Urkunde, der Brief, von einer anderen Person her rührte, als der, die ihn abgesandt, ist einwandfrei erbracht. Es ist festgestellt, daß unter diese Briefe ein unleserlicher Schriftzug gesetzt werden sollte. Nach der Absicht Ganters sollte durch diese Unterschrift bei den Empfängern die Meinung hervorgerufen werden, der Brief rühre von einem Bekannten oder Verwandten her, und zwar von einem am Orte wohnenden, was durch die 5 H-Marke bewiesen werden sollte. Es genügt zum Begriffe der Urkundenfälschung, daß in Verbindung mit anderen Um ständen aus der Urkunde gewisse Folgerungen gezogen werden können und sollen. Daß auch bei dieser Art der Behandlung der Sache die Person des Unterschreibenden in den Augen des Empfängers — und darauf kam es nach der Absicht Ganters allein an — eine hinreichend bestimmte gewesen ist, ergibt sich aus dem Urteile ebenfalls. Die Urkundenfälschung ist auch vollendet, wenn von ihr zum Zwecke der Täuschung Gebrauch gemacht wird; es wird keineswegs erfordert, daß wirklich eine Täuschung hervorgerufen worden ist. Auch die ver schiedenen prozessualen Rügen hielt der Reichsanwalt für un begründet. In später Nachmittagstunde wurde bekannt gegeben, daß das Urteil erst am 29. Januar verkündet werden wird. Richtigstellung. — Bei Gelegenheit einer Besprechung der »lüvres ck'Uemos« (im Börsenblatt 1909, Nr. 301) streift Herr Fr. I. Kleemeier die neue Ausgabe von Eudel, Fälscherkünste, heraus gegeben von A. Roeßler (dessen Besprechung übrigens in kurzem das Börsenblatt aus meiner Feder zu erwarten hat), und druckt eine Anekdote ab, die sich im Britischen Museum bei Gelegenheit der Erneuerung eines fehlenden Blattes zugetragen hat. Diese Anekdote ist in der Tat in der Roeßlerschen Ausgabe von Eudel abgedruckt, ohne daß Herr Roeßler die Quelle angibt, aus der er sie entnommen hat. In dem Original sowie in der ersten Übersetzung fehlt sie. Meines Wissens ist diese Anekdote in der Literatur nirgends erwähnt, und ich glaube der erste zu sein, der sie veröffentlicht hat, und zwar im Vortrage »Biblio graphie und Bibliophilie«, der im Börsenblatt abgedruckt*) und auch als Sonderabdruck erschienen ist. Auch ich habe sie keinem gedruckten Buch entnommen, vielmehr beruht sie auf mündlicher Überlieferung seitens meines verehrten und kenntnisreichen früheren Chefs, Albert Cohn, aus dessen Munde ich zahlreiche derartige Mitteilungen erhalten habe, die vielleicht auch gelegent lich Verwertung finden. Sollte meine Annahme nicht zutreffen, so bin ich für Be lehrung dankbar. R. L. Prager. Zoll nach Österreich. — Das Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder (l. Stück; Wien, I. Januar 1910) veröffentlicht eine ministerielle Verordnung vom 29. Dezember 1909 mit Nachträgen zur Durchführungsvorschrift und zu den Erläuterungen zum Zolltarif. Den Nachträgen zu den Erläuterungen sei hier das Folgende entnommen: In Bem. 5 zu Nr. 299 ist nach dem 8. Alinea folgendes neue Alinea aufzunehmen: (8s.) Als zollfreie Kinderbilderbücher werden auch solche Reklamebilderbücher (vgl. Bem. 5, Al. 18) anerkannt, bei welchen das Gesamtausmaß des verwendeten Papiers, einschließlich des Umschlags, mindestens 2000 em* beträgt, sofern sie nicht für die nachträgliche Eintragung von Druck oder Schrift durch *) Vgl. Börsenblatt 1909, Nr. 36, 37. 38. Red. 62