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Nichtamtlicher Teil, 9, 13, Januar 1910, beträgt die Zahl der gedruckten Bücher in russischer Sprache und in fremden Sprachen mehr als 1 500 000 Bände. Be sonders reich ist die Abteilung der russischen Bücher, weil gesetzlich bestimmt ist, daß ihr von allen in Rußland ge druckten Werken ein Pflichtexemplar zur Verfügung gestellt werden muß. Die Benutzungsordnung, aus der vr, Schlesinger das Wichtigste mitteilt, ist ähnlich der der großen Bibliotheken in Deutschland und in Frankreich, Die reiche Bibliothek der Akademie der Wissenschaften dient ebenfalls der Öffentlichkeit, Auch die Bibliothek der Reichskanzlei ist sehr reichhaltig. Hier sind vor allem die Abteilungen für russische und ausländische Gesetzgebung, über haupt für Rechtswissenschaft und Nationalökonomie besonders gut ausgestattet. In Moskau ist die reichhaltigste öffentliche Bibliothek die des Rumjanzewmuseums, In letzter Zeit sind in verschiedenen Städten reichhaltige Stadtbibliotheken entstanden, so in Charkow und Odessa, > Für das Unterrichtswesen ist zwar in den letzten Jahren sehr viel geschehen, aber Rußland ist doch noch hinter den westlichen Kulturftaaten ganz bedeutend zurück. In ganz Rußland kommen nämlich auf 1000 Menschen durchschnittlich nur 211, die lesen und schreiben können. Was das Urheberrecht betrifft, so hat Rußland sich der Berner Konvention bekanntlich noch nicht angeschlossen, so daß die Russen jedes in Deutschland oder anderen Ländern erscheinende Buch Nachdrucken und zu einem billigen Preise verkaufen können. Ebenso kann jedes russische Buch im Auslande in einer Übersetzung gedruckt werden. Der Nachdruck kann nur in der Weise gehindert werden, daß die russischen Verfasser ihre Werke in Rußland und deren deutsche Übersetzung in Deutschland, die deutschen Verfasser mit ihren Werken zu gleicher Zeit eine russische Übersetzung erscheinen lassen. Dies ist bekanntlich sehr umständlich und nur in wenigen Fällen möglich. Es ist übrigens zu er warten, daß Rußland sich in absehbarer Zeit schon im Interesse seiner eigenen Autoren, der Berner Konvention anschließen wird. Das russische Zeitungswesen entspricht am meisten dem französischen. Die Zahl der Leute, die aus eine Zeitung bei der Expedition oder bei der Post monatlich oder viertel jährlich abonnieren, ist in Rußland nicht groß Die meisten Russen ziehen es vor, ihre Zeitung vom Zeitungsträger oder in den überall vorhandenen Kiosken und von den Ver käufern zu erstehen, die in Hausfluren und an Straßenecken ihren Standort haben. Manche Zeitungen tragen aus der ersten Seite in großen Lettern gedruckte Überschriften, die in wenigen Worten den Inhalt eines Artikels wiedergeben, wie es auch in französischen und englischen Zeitungen geschieht. Vom Kellner fordert man nur in den Konditoreien und in den Cafös Zeitungen, die dort zahlreich ausgelegt sind, In den Gasthöfen dagegen, die mehr zur Klasse der Speisehäuser Hinneigen, pflegen die Besucher ihre eigene Zeitung mitzu bringen. Die russischen Zeitungen erscheinen mit wenigen Aus nahmen nur einmal täglich, und zwar des Morgens, In Petersburg erscheint nur die Zeitung »Börsennachrichten zweimal täglich, und zwar außer in einer Morgenausgabe noch um g'/z Ühr nachmittags. Die großen Zeitungen kosten 5 Kopeken die Nummer, die Nachmittagsausgabe der Börsen nachrichten dagegen nur 2 Kopeken, Der Stand der russischen Journalisten ist nicht beneidens wert, Nirgends kann man mit mehr Berechtigung von einem Proletariat sprechen als hier. vr, Schlesinger führt die wichtigsten Tageszeitungen und Zeitschriften an und charakterisiert kurz ihre Richtung und ihren Inhalt. In deutscher Sprache erscheinen nahezu 30 politische Tagesblätter, Die wichtigsten sind in den Hauptstädten die »St, Petersburger Zeitung«, der >St, Peters burger Herold» und die »Moskauer Deutsche Zeitung», In den Provinzen ist die -Odessaer Zeitung» an erster Stelle zu nennen; es folgen die »Lodzer Zeitung« und die Zeitung in Saratow, Von den in den Ostseeprovinzen erscheinenden Zeitungen sind in Riga die »Dünazeitung«, das »Rigaer Tageblatt« und die »Rigasche Rundschau» zn nennen. In Reval erscheint der »Revaler Beobachter- und die »Reval- sche Zeitung-, Kleinere Zeitungen werden in Dorpat, Mitau, Libau und andern Städten herausgegcben, — In ^ französischer Sprache erscheint vor allem das »lourval ck» 8t, kstersdourg--. Außer polnischen Zeitungen gibt es auch solche in lettischer, estnischer, armenischer und hebräischer Sprache, Die Zensur hatte seit den letzten Jahren der Regierung j Alexanders I, jede freie Regung des Geistes unterdrückt. Sie verbot statistische Abhandlungen, geographische Artikel, und scheute sich auch nicht, Worte der Verfasser zu streichen oder ihren Sinn zu verändern. Nach 1848 wurde jede Behand lung der zeitgenössischen Gesetzgebung untersagt. Selbst eine Kritik ausländischer Bücher, die in Rußland nicht bekannt werden sollten, wurde für schädlich erachtet. Nur Werke, die der jeweils herrschenden Strömung in der Regierung paßten, wurden zum Druck zugelassen, Schriften, die sich mit reli giösen oder religionsgeschichtlichen Fragen befaßten, mußten außer der weltlichen noch eine besondere geistliche Zensur passieren. Die russische Preßgesetzgebung hat erst in den letzten Jahren eine völlig neue Gestaltung bekommen. Sie beruht jetzt auf den Erlassen vom 24, November 1905, 18, März 1906 und 26. April 1906 Die Zensur ist für alle in den Städten Rußlands erscheinenden Bücher und Zeitungen aus gehoben, Der Minister des Innern hat das Recht verloren, irgend ein Verbot der Veröffentlichung zu erlassen. Ad ministrative Strafen sind abgcschafft. Periodische Druck schriften können unter folgenden Bedingungen veröffent licht werden: Der Herausgeber hat der örtlichen Ver waltungsbehörde, d, h. dem Gouverneur oder Stadthaupt mann, Namen, Richtung und Preis der Druckschrift, ferner den Namen des Herausgebers und verantwortlichen Schrift leiters sowie die Druckerei angegeben, in der die Zeitung gedruckt werden soll. Der verantwortliche Redakteur mutz russischer Untertan und mindestens 25 Jahre alt sein; auch darf er nicht wegen gewisser Verbrechen verurteilt sein oder deswegen in Untersuchung stehen. Nicht später als zwei Wochen nach der Einreichung der Eingabe wird ein Zeugnis über die erfolgte Anmeldung erteilt. Jede Nummer der periodische» Druckschrift geht in einer bestimmten Anzahl von Pflichtexemplaren an die Verwaltungsbehörde. Illustrierte Blätter müssen 24 Stunden vor der Ausgabe eingereicht werden. Jede Nummer einer periodischen Druckschrift muß den Namen des verantwortlichen Schriftleiters und Heraus gebers sowie den der Druckerei enthalten. Einzelne Nummern können vorläufig von der Verwaltungsbehörde beschlagnahmt werden, die aber sogleich bei dem zuständigen Gericht An klage erheben muß. Die Gerichtsbehörde hat in der nächsten Beschlußsttzung über die vorläufige Beschlag nahme zu entscheiden. Nach Abschaffung der Zensur sind die früheren Zensurbehörden in Zenfurkomitees umge wandelt worden, die die Anklagebehörden darstellen, während bei uns die Staatsanwaltschaft deren Amtsverrichtung oor- nimmt. Zuständig für Preßvergehen sind die Friedensrichter und Bezirksmitglieder der Kceisgerichte in den Fällen, wo auf die Vergehen eine Geldstrafe bis zu 300 Rubel gesetzt ist, in allen übrigen Fällen die Kreisgerichte, Die Aufhebung der Zensur ist für alle die Bezirke, dis