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Redaktioneller Teil. 1L3, 5. Juli 1916. der sehr häufig im Geschäft verkehrt«, der russische Baron von Korff, der Vorsteher der Kaiser!. Bibliothek, der immer nach Gebrauch eine» Taler ins schmutzige Wasser des Waschbeckens warf, der Professor Mahn, der Provenzale, viele Heraldiker, Genealogen und viel preußischer Adel. Meusebach, der Germanist Heyse, Alexander von Humboldt und andere waren vor meiner Zeit Besucher bei Stargardt gewesen. Von den beiden elfteren hatte Stargardt Teile ihrer Bibliotheken übernommen und Kata loge darüber herausgegeben. In die Zeit meines Dortseins fielen die Ankäufe der großen von Dönhofsschen Schloß-Bibliothek, die aus den Mansarden des Dönhofsschen Palais in der Wilhelm- Straße übergcführt wurde, und der in seltener Weise geschlossenen Sammlung der gesamten Schwenckfeld-Litcratur des Oberlehrers Schneider, ebenfalls aus Berlin. Das Lager von Stargardt be fand sich in den Mansarden und Bodenkammern des Varnhagen- schen Hauses; ich Hab« sogar in den Winter-Monaten im Über zieher und Hut di« ganze Dönhoffsche Bibliothek großenteils da oben in ungeheizten Räumen ausgenommen. Stargavdt Pflegte stets eine Pelzmütze aufzusetzen, wenn er in diese Regionen Hin aufstieg. sogar im Sommer! Ich erinnere mich, daß ich ihn einmal im vergeblichen Kampfe mit einer Katzenmutter fand, die sich auf einem Stotz Folianten häuslich niedergelassen hatte und ihre ganz Kleinen verteidigte. Die Schwenckfeld-Bibliothek brachte mich zuerst in persönlich« Beziehung mit Albert Cohn, der sie insgesamt von Stargardt um den doppelten Ankaufspreis erwarb, die Spitzen sehr vorteilhaft nach Amerika verkaufte und über den Rest einen gut gearbeiteten Katalog herausgab. Albert Cohn war Stargardt an Energie und geschäftlichem Weitblick überlegen und behandelte den etwas zögernd sich entschließenden Kollegen Stargardt mit einer spöttisch-jovialen Laune, was letzterer, falls er es überhaupt empfand, nicht übel nahm; die stark abgekürzten Wörter, womit Stargardt seine schriftlichen Mit teilungen machte, erregten immer die Spottlust Cohns. »Das Stargardlsche V«, sagte er, »kann verlangt, verlegt, verkauft, ver schrieben, verloren usw. heißen, das weiß nur er«. Albert Cohn, eine kräftig gebaute Mittelgestalt, mit Adlernase, Schnurrbart und kühnem Blick, war ein ganz aus sich ruhender Charakter, der bei jedem ihm nahekommenden diesen Eindruck hinterließ. Nach dem auch er sich von seinem Sortiments-Geschäft losgemacht hatte (Asher L Co.j, führte er sein Antiquariat in der Mohrenstratze inr ersten Stock, meist nur mit einem Gehilfen. Zu jener Zeit war es R. L. Prager, später viele Jahre Lissa. Cohns Spezialität waren Seltenheiten, Inkunabeln, Pergament-Manuskripte, Stickmuster- Bücher, seltene Aulographen. Tie Klemmsche Jnkunabel-Samm- lung, jetzt in Leipzig, war großenteils durch ihn zusammenge bracht worden, auch die Gutenberg-Bibel darin ist von ihm. Cohn war zweifellos in den sechziger und siebziger Jahren der bedeutendste Antiquar Deutschlands. Ich Hab« später weniger persönliche Beziehungen zu ihm gehabt und entsinne mich nur noch eines schönen Herbsttages, wo wir zusammen an einem son nigen Nachmittage von Würzburg nach Mariazell wanderten und von da ab nach Würzburg mit Kahn auf dem Main zurllck- fuhrcn, wobei der schon Alternde für seine Verstandesschärfe Natur merkwürdig weich und resigniert war. Ich habe Cohn nochmals flüchtig auf der Auktion Biltz in Berlin getroffen, dann kam die Todesanzeige, und wenige Jahre nachher war auch das berühmte Geschäft erloschen. Auch literarisch ist Albert Cohn verschiedentlich tätig gewesen, sein »Siralieopeara in 6er- nurn;-« ist ein Werk von bleibendem Wert. Aus Nord-Deutschland kam ich an die Grenze von Süd- Deutschland. nach Frankfurt a. M.. wie es Mitte der siebziger Jahre aussah, nachdem es wenige Jahre vorher aufgehört hatte, freie Reichsstadt zu sein. »Der Preuß'« war noch nicht beliebt, »die eklig norddeutsche Sprach'« ein ungewohnter und nicht gern vernommener Laut. Alles war nicht mehr wie früher, selbst nicht das Wetter, von dem ein alter Frankfurter Kollege sagte, früher hätte man Ostern in Weißen Hosen auf dem »Forsthause« sitzen können, aber »wie wir preußisch geworden«, war es damit vorbei. Mein Chef LudolphSt. Goar teilte ungefähr diesen Standpunkt. Bon Hause aus Gemütsmensch hatte er einen solchen Hatz gegen Preußen, daß er für seine beiden Söhne das englische 882 Bürgerrecht erwarb, was zur Folge hatte, daß er sich in späteren Jahren nach dem Tode seiner Gattin sehr einsam fühlte. Sein damals schwunghaftes Geschäft war an der Ecke der Zeil und Schäfergasse gelegen, hatte daher viel Lauf-Publikum, und der Geschäftssinn St. Goars ging so weit, daß er sogar Literatur für Droschkenkutscher verkaufte, die massenhaft an der Ecke hielten. Durch Vermittlung vr. Kelchners gelang es ihm damals, die außerordentlich umfangreiche, viele Seltenheiten enthaltende Bi bliothek des Frankfurter Patrtzierhauses Haeberlin zu erwerben, welche Sammlung in einer Reihe von wertvollen Katalogen be arbeitet wurde. Einer dieser Kataloge, Luther-Drucke enthaltend, war die Veranlassung, daß ich persönlich den Augsburger Anti quar Arnold Kuczynski kennen lernte, der herllbergereist war und den Katalog en blae erwarb. Kuczynski, der den großen Weigelschen Luther-Katalog bearbeitet hatte und Besitzer von Butschs Antiquariat in Augsburg war, stand damals in der Blüte seiner Jahre und seiner Unternehmungen; niemand hätte ge ahnt, daß sein fernerer Lebensweg ein so dornenvoller sein und er schließlich als Gehilfe in München enden würde. Kennt nisreich, fleißig und unternehmend, und doch erfolglos! — Nach Dezennien wurde auch das St. Goarsche Geschäft durch List L Francke in Leipzig versteigert, und als ich den langen, schönen Ludolph (St. Goar), der stets in schwarzem Anzug und Zylinder ging, wiedersah, war er Geschäftsführer der Literarischen Anstalt von Rütten L Loening. Viel bedeutender als Ludolph St. Goar waren die Antiquariate von K. Th. Völcker und natürlich das Weltgeschäft von Baer L Co. Zu jener Zeit, den siebziger und achtziger Jahren, stand dem Völckerschen Geschäft noch der Gründer Karl Theodor Völcker vor. Er hatte sein ausgesprochen christliches Sortiment verkauft, in vr. Heinrich Pallmann, Pein jetzigen Direktor des Bayer. Kupfer stich-Kabinetts in München, einen tüchtigen Antiquar erworben und, unterstützt von bedeutenden Pekuniären Mitteln, sein Ge schäft in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem ziemlich umfang reichen zu machen gewußt, wie die lange Reihe der herausge gebenen Kataloge der Firma beweist. Er selbst, ein stattlicher Mann mit behäbigen Umgangsformen, hatte so das Aussehen eines katholischen Geistlichen, daß es vorkam, daß katholische Kinder ihm die Hand küßten, in der Meinung. Hochwürden be gegnet zu sein. Der Braunschweiger Kollege Scholz hat im Börsenblatt (l912, Nr. 120> ein« Fahrt des älteren Völcker auf das Manöverfeld bei Frankfurt amüsant beschrieben, die mit Verlust von Hut, Stock, Uhr und Geld des Helden endete. Die Richtung des Völckerschen Geschäfts war gegeben durch protestantische Theologie, lokale und allgemeine Geschichte, denen sich mit der Zeit fast alle anderen Fächer anschlossen, namentlich unter der Leitung des Sohnes Georg, der, mit noch reicheren Mitteln versehen als der Vater, die Möglichkeit gehabt hätte, ein Geschäft erste» Ranges aus dem Ererbten zu gestalten; doch begnügte sich Georg Völcker mit dem ohne Risiko Erreichbaren, es entsprach das seinem grundsoliden, etwas bequemen Frankfurter Naturell, denn er war «in Pracht exemplar eines echten Frankfurters, liebte und sprach die Frank furter Mundart, Pflegte gut und reichlich zu essen und zu trinken und konnte das, was ihm nicht Paßte, auf sehr drastische Weis« damit abweisen, daß er sich auf dem Absatz umdrehte und seine breite Rückseite zeigte. Er hatte Interesse und Liebe, sowie reiche Kenntnisse für den Beruf, aber gerade aus diesen Eigenschaften entsprang Wohl die Testamentsbestimmung, daß nach seinem Tode das Geschäft versteigert werden solle. Er wünschte nicht, daß sein Geschäft vielleicht in anderem Sinne weitergesührt würde. Während so zwei — Jahrzehnte lang hervorragende — Frankfurter Antiquariate verschwunden sind, blüht nach wie vor die Dynastie Joseph Baer L Co. Sie hat längst die Feier ihres hundertjährigen Bestehens hinter sich, im Jubiläums - Katalog findet sich eine Geschichte des Hauses verzeichnet. Die große Folge der trefflich gearbeiteten Kataloge über alle Fächer bil det ein gut Teil des Rüstzeugs des Antiquars seit vielen Jahren. Als ich den jetzigen Senior-Chef des Hauses Simon Leopold Baer kennen lernte, befand sich das