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1574 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 30, 6 Februar 1912. erst seinen Wert durch den Nutzen erhält, den er der Allgemeinheit leistet, eine große Zahl, und wer die Arbeit in den Vorstands sitzungen, Ausschüssen und Kommissionen des Börsenvereins ein wesentlich anderes Bild von der Notwendigkeit und Zweck mäßigkeit dieses oder jenes Beschlusses geben würde, als man sich gegenwärtig davon macht. Keine Berufsorganisation von Bedeutung kann, auch wenn sie wie der Börsenverein über ein eigenes Preßorgan verfügt, ohne Schädigung ihrer Interessen auf die Mitwirkung der Presse verzichten, da auch die straffste Organisation sich auf die Dauer nicht in einen Gegensatz zu der öffentlichen Meinung setzen könnte und jedem Berufe daran ge legen sein muß, Verständnis für seine Bestrebungen und Ziele im Publikum zu finden. Um wieviel mehr besteht diese Notwendigkeit für einen Beruf, der, wie der Buchhandel, auf die geistige Ent- Wicklung einen so großen Einfluß auszuüben vermag, und immer höhere Anforderungen an seine Angehörigen stellen muß, um den wachsenden Bedürfnissen und vielgestaltigen Interessen der Masse gerecht zu werden. Diese Erwägungen haben auch den Vorstand de- Börsenvereins in jüngster Zeit wiederholt beschäftigt und zu eingehender Er örterung der Frage geführt, in welcher Weise ein besseres Ver- ständnis für die Aufgaben des Buchhandels herbeigeführt und seine Interessen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden könnten. Denn nicht der Buchhandel allein, sondern auch das Publikum hat ein Interesse daran, daß schiefen oder direkt falschen Anschauungen, wie sie sich vielfach über unseren Beruf und seine Stellung zu wirtschaftlichen oder literarischen Fragen der Gegenwart in der Presse finden, entgegengetreten und gaben und Beziehungen des Buchhandels zum Publikum vor bereitet wird. Was sich aus diesen Erörterungen zu Beschlüssen kristallisiert hat, soll uns zu anderer Zeit und Gelegenheit be schäftigen, hier interessiert nur noch — als die eigentliche Veran lassung zu diesen Ausführungen — ein Zirkular des Herrn Georg Heinrich Meyer in Fa. Meyer L Jessen in Berlin, das uns dieser Tage zuging und sich über das Thema buchhändlerische Zeitungsreklame verbreitet. Da es zugleich ein Musterbeispiel ist, wie eine Reklame, denn um eine solche handelt es sich, beschaffen sein muß, um im redaktionellen Teil Aufnahme finden zu können, geben wir nachstehend den Wortlaut wieder: Sehr geehrter Herr Kollege! Allemal, wenn nach dem 24. Dezember im Buchladen und in der Barauslieferungsliste die große Stille wieder einkehrt, ist wohl schon jedem von uns — im Sortiment wie im Ver- lag — der Gedanke gekommen, daß es um den deutschen Buch handel noch gar nicht so übel stünde, wenn wenigstens zweimal im Jahre Weihnachten wäre. Zunächst müßte es so sein wie bei den Zuckerbäckern, und ein entsprechendes Ostergeschäft müßte die Ostermeßzahlungsliste decken. Nun läßt sich gewiß nicht leugnen, daß in den letzten Jahren mehr und mehr die löbliche Sitte sich eingebürgert hat, als Osterei ein Buch zu verschenken. Wenn es möglich wäre, diesen schönen Brauch in immer weitere Kreise zu tragen, so daß mit der Zeit das Ostergeschäft ein ähnlich wichtiger Faktor wie das Weihnachtsgeschäft für den Buchhandel werden könnte, so die Erlösung aus allen sozialen Nöten bedeuten. Hier scheint mir eine Aufgabe zu liegen, die wirklich einmal des Schweißes der Edelsten wert ist. Ich höre schon die Unkenrufe, die hier von allen Seiten auf mich einstürmen werden: »Alles recht gut und schön, Herr Georg Heinrich Meyer, aber Sie sind und bleiben doch ein unverbesserlicher Optimist. Wie denken Sie sich das nur überhaupt anfangen zu können?« Nun, eigentlich ganz einfach. Wie alles Gute und Schöne auf der Welt heute »gemacht« wird, von Maggis Suppenwürze und Oetkers Backpulver bis zu den edelsten Schätzen der deutschen Nationalliteratur (um 1912 herum!), den Ullstein-Büchern: durch eine umfassende Reklame. Wie man in den Zei tungen tagtäglich liest: »Wasmuths Hühneraugenringe in der Uhr sind die besten«, »Ein Heller Kopf verwendet nur vr. Oetkers Backpulver«, »Odol ist das Beste für die Zähne«, so müßte man von Februar bis Ostern überall auf ein Inserat stoßen: »Bücher sind die besten Ostergeschenke«. Wenn dazu dann das Sortiment, das Barsortiment*) (Ausbau von Katalogen für Geschenkliteratur zu Ostern) und der Verlag — jeder in seiner Weise mithilft, werden wir schon sehr bald greifbare Erfolge sehen, die sich ganz naturgemäß von Jahr zu Jahr steigern werden. Ursprünglich wollte ich die Anregung kurz im Sprechsaal des Börsenblattes Vorbringen, befürchtete aber eine ins Ufer lose gehende Debatte, die sich daran wahrscheinlich geknüpft hätte und bei der die Sache vielleicht ganz im Sande ver laufen wäre. Ich ziehe also vor, die Probe auf das Exempel am eigenen Leibe zu machen — wenn auch naturgemäß zu nächst in engem Rahmen. Unsere Firma Meyer L Jessen wird eine ähnliche Reklame, wie wir sie zu Weihnachten mit gutem Erfolge gemacht haben, zu Ostern inszenieren. Wir können natürlich nur für unfern Verlag Propaganda machen, nur unsere Bücher als Ostergeschenke empfehlen. Aber unser Vorgehen soll dann ein Beispiel werden, das, vom Gesamtbuchhandel nachgeahmt und gesteigert, Bücherkaufen und Büchersckenken zu Ostern dem Publikum durch fortgesetzte großzügige Reklame zu einer ähnlich selbstverständlichen Sache machen könnte, wie's heute schon das Bücherverkaufen zu Weihnachten ist. Haben wir damit Erfolg (im Interesse der Sache werde ich darüber gern Rede und Antwort stehen), so will ich zur Ostermesse in der Haupt versammlung des Börsenvereins einen Antrag etwa folgenden Inhalts einbringen: »Der Börsenverein als der berufene Vertreter des deutschen Gesamtbuchhandels möge eine Kommission einsetzen, die ganz allgemein für die Hebung und Förderung des Bücherkaufens und -verschenkens zu Ostern wirken soll, und er möge ihr für eine umfassende, ins große gehende Reklame die Mittel bereitstellen«. Ich bin der festen Zuversicht, daß die Sache, geschickt ange faßt, gelingen muß und wird und späte Enkel die Ostermesse 1912, wo dieser Beschluß hoffentlich gefaßt wird, segnen werden. Einstweilen bin ich für jede Unterstützung und Mithilfe bei meinem Beginnen dankbar. Mit kollegialer Begrüßung Ihr ergebener Berlin >V. 35, Georg Heinrich Meyer Lül owstr 102/104. in Firma Meyer Jessen. Anfang Februar 1912. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß diese An regung ihren Ursprung in den Ausführungen eines »Großstadt sortimenters« (vgl. Nr 5, 16 u. 24) hat, wenn sie auch die Lösung des Problems der Erziehung des Publikums zum Buche auf anderem Wege, als sie dort vorgeschlagen wurde, anstrebt. Es mag manchem zweifelhaft erscheinen, ob der Zwischen gewinn des Sortimenters ausreichend ist, um eine Reklame größeren Stils in die Wege zu leiten, und noch zweifelhafter, ob die Verleger bereit sind, die an dieser Kollektivreklame be teiligten Sortimenter durch höheren Rabatt zu entschädigen, zumal ja mehr eine Gattungs- als eine Spezialreklame in Aussicht ge nommen ist, bestimmt, dem Buche als solchem bzw. einzelnen Gruppen, nicht aber Einzelerscheinungen eine stärkere Anteil nahme des Publikums zu sichern. Auch bedürfte wohl noch die Frage einer Erörterung, ob nicht in gewissen Fällen dem Plakat der Vorzug vor der Zeitungsannonce zu geben wäre. Wie dem immer sei: es ist in jedem Falle zu begrüßen, daß die Notwendigkeit größerer Reklame für den Buchhandel sowohl vom Sortiment wie vom Verlag erkannt wird, und es wird und muß sich ein Weg finden lassen, bei dem beide Teile zu ihrem Rechte kommen. Vielleicht ist er in einer Kombination der Anregungen des Großstadtsortimenters und des Herrn Meyer schon gegeben: dem Verleger die Reklame für das Buch, dem Sortimenter für das Buch, und wir wollen nur hoffen, daß, wenn der Verlag sich in stärkerem Maße der Zeitungsreklame zuwendet, auch die nicht zurückstehen werden, die *) Verzeichnisse über »Osterbücher« werden schon seit Jahren von den Barsortimenten rechtzeitig vor Ostern ausgegeben und dem Sortiment zu wohlfeilen Preisen zur Verbreitung zur Verfügung gestellt. Red.