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Der 84 Jahre alte Julius Tübbecke. Lebensbild eines Alt-Berliner Gärtners. Julius Tübbecke wurde am 10. Januar 1849 zu Stralau als Kind einer alteingesessenen Fischer= und Gastwirtsfamilie geboren. Von 1856 bis 1864 besuchte er die Andreas=Realschule in Berlin. Eine der liebsten Unterrichtsstunden waren ihm die Naturgeschichte, besonders die Botanik. Er ent* schloß sich daher, Gärtner zu werden. Auf seinen Wunsch kam er als Lehrling in die Handels* gärtnerei von Adolph Schmidt, der bekannten Firma, die noch heute als Samenhandlung Adolph Schmidt Nchf. in Berlin besteht. Nadi Beendigung seiner Lehrzeit am 30. März 1867 blieb er noch ein Jahr als Gehilfe in der Schmidtschen Gärtnerei. Gerne wäre er dann ins Ausland gegangen, stieß aber auf Widerstand bei seinen Ekern, die verlangten, daß er in das elterliche Haus zurückkehre, um in der Bewirtschaftung der ausgedehnten Ländereien behilflich zu sein. Als gehorsamem Sohn blieb ihm weiter nichts übrig, als diesem Wunsche, wenn auch schweren Herzens, Folge zu leisten. Im Jahre 1872 verheiratete sich Tübbecke und machte sich selbständig. Er übernahm die Gemüsegärtnerei von Adolf Kracht in Stralau, die er später durch Anpachtung der väterlichen Ländereien vergrößerte. Er betrieb haupt- sächlich die Frühgemüsetreiberei in Kästen,- er baute Salat, Blumenkohl, Bohnen, Melonen und Gurken. Letztere in ziemlich bedeutendem Umfange. Nebenbei gingen die Gemüsefreilandkulturen. Im Winter trieb er noch Schnittrosen und Spargel. Er legte sich auch auf die Anzucht von Blumenzwiebeln und Maiblumen. Bezüglich der Gemüsetreiberei traten damals schon die Verhältnisse ein, die uns jetzt immer noch viel zu schaffen machen. Der Import der ausländischen Gemüse, die in erstklassigen Qualitäten herein* gebracht wurden, nahm einen solchen LImfang an, daß eine Konkurrenz der Berliner Gemüsegärtner nicht mehr möglich war. Die Anzucht und Überwinterung der Dauergemüse verursachte solche be* deutenden Linkosten, daß das Geschäft vielfach mit Verlust abschloß. Tübbecke entschloß sich daher, seinen Betrieb umzustellen und sich fast ausschließlich auf den Frühgemüsebau zu beschränken. Da er aber bisher nur an feste Kundschaft geliefert hatte, versuchte er jetzt, seine Ware auf den Engrosmärkten in der Kurzestraße, Jägerstraße und am Oranienplatz an jedermann abzusetzen. Durch Angebot guter Qualität und die Konjunktur gut ausnutzend, gelang es ihm, gute Preise zu erzielen. Er wurde bald unter den Händlern bekannt, doch weniger beliebt. Man nannte ihn, da er auf Preise hielt, allgemein den Apotheker. Doch diese Pille schluckte er gern. die Hauptsache war, sie kauften seine Ware. Durch dieses sein Verhalten wurde er unter den Kol* legen bekannt und geachtet, so daß er Mitte der achtziger Jahre von der Gruppe Berlin des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands zum gerichtlichen Sachverständigen für den Gemüsebau vorgeschlagen und auch vom Gericht bestätigt wurde. Dieses Amt hat Tübbecke bis zum Jahre 1903 ausgeübt. Leider wurde sein Betrieb Mitte der neunziger Jahre durch die Ausbreitung der Industrien, der Lagerplätze und sportlicher Anlagen {Wassersport),diegroße Ländereien in Besitz nahmen, so eingeengt,daß er sich,nachdem ihm auch seine Gattin, mit der er in 26jähriger glücklicher Ehe gelebt hatte, gestorben war, entschloß, sich ins Privatleben zurückzu= ziehen. Aberdas Alleinsein behagte ihm auf die Dauer nicht. Er entschloß sich im Oktober 1902, wieder zu heiraten, und im Ok= tober 1927 konnte Tübbecke zum zweiten Male die Silberhochzeit feiern. Er hofft, noch einen langen Lebensabend in glücklicher Ge= meinschaft mit seiner getreuen Gattin vor sich zu haben. Tübbecke ist noch mit Leib und Seele der Gärtnerei zugetan. Er ist seit genau 40 Jahren Mit* glied der Deutschen Gartenbau* Gesellschaft und verfehlt kaum eine Monatsversammlung. So* gar auf allen Exkursionen und Besichtigungen von Gärtnereien ist Tübbecke meistens zugegen. Lind wenn er gleiche Kulturen antrifft, wie er sie einst betrieben, und die jetzigen mit denen vor 50 — 60 Jahren in V ergleich stellen kann, so sind diese Besichtigungen wahre Festtage für ihn. Tübbecke ist trotz seines mehr als biblischen Alters von einer beneidenswerten Rüstigkeit. Wir wünschen ihm, daß ihm dieselbe noch recht lange erhalten bleiben möge. D.