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begriff wesentlich weiter, als es bisher geschah. Zweifellos ist dadurch eine wesentlich klarere systematische Gruppierung erreicht, die jetzt eine Einordnung der Formenkreise ermöglicht und unterstützt. Die Garten= formen wurden jedoch von ihm nicht berücksichtigt. Die meisten Semperviven unserer Gärten gehören in den Formenkreis der Praegerschen S. tectorum. Ob diese mit den vielen, besonders in Frankreich spontan nachgewiesenen und beschriebenen Formen und Kleinarten, die Praeger alle als Synonyme zu S. tectorum rechnet, zum Teil übereinstimmen, ist noch völlig im Dunkeln. Wir dürfen aber annehmen, daß viele Gartensemperviven hybriden Ursprungs sind. Daß in den Gärten aber auch Mutanten entstanden sein können, soll nicht bestritten werden. Hier entstehen der Forschung völlig neue Aufgaben, die andere Wege zu ihrer Lösung verlangen, als sie von der deskriptiven Botanik bisher beschritten wurden. Um das verstehen zu können, muß folgendes eingeschaltet werden: Die botanische Systematik und die mit ihr verbundene Pflanzengeographie lehnt die Aufstellung von Formen und Kleinarten mehr oder weniger ab oder bringt ihr doch kein besonderes Interesse entgegen. Ihr ist mehr gedient mit einer klaren Abgrenzung der Erscheinungsformen, besonders wenn sie sich außerdem noch geographisch gliedern lassen. Anders ist es schon mit der Genetik, der der Artbegriff der Systematiker immer fremder wird. So schreibt O. Renner in der Einleitung zu seiner Arbeit „Art- bastarde bei Pflanzen" 6 : „Wer über Artkreuzungen berichten soll, sieht sich in der Lage, seinen Gegenstand nicht definieren zu können. Art und Varietät sind von der beschreibenden Systematik geschaffene, von jeher schlecht definierte Wortbegriffe." Solange noch das Dogma von der Konstanz der Art Geltung hatte, hatte der Artbegriff und ein Streit um ihn vor dem Forum der Wissenschaft einen Sinn. Unter der Kanonade der Vererbungswissenschaft sinkt auch der mit ihm ursprünglich verbundene Pflanzenname immer mehr zu einem Verständigungsmittel und seine wissenschaftliche Bedeutung auf den Nullpunkt herab. Dagegen sehen wir in den Erbfaktoren, deren Kenntnis uns die Genetik vermittelt, „die Grund= elemente der belebten Substanz, die ihrer Bedeutung nach mit Atom und Molekül verglichen werden müssen" 7 . (Schluß folgt.} L. Lindinger; Was ist mit Cryptanthemis slateri Rupp.? Kürzlich erschien im Victorian Naturalist (49, 1932, 103) die Beschreibung einer interessanten, fast vollkommen unterirdisch lebenden Orchidee, Cryptanthemis slateri Rupp. Nach genauer Prüfung von Beschreibung und Abbildung kann ich mich der Ansicht, es handele sich um eine neue Art, nicht anschließen, ich halte die wenigen bisher gefundenen Stücke vielmehr für abweichend ausgebildete Sprosse von Dipodium punctatum. Dafür sprechen folgende Gründe: Einmal sind die Pflanzen stets in enger Gemeinschaft mit Dipodium gefunden worden (Rupp. a. a. O. S. 104: „All the specimens were found in close association with the roots of Dipodium punc tatum"). Dann aber stimmt vor allem der Bau der Blüte bei beiden „Arten" überein. Bei Dipo= dium sitzen die Pollinien einzeln zwei Auswüchsen des Stielchens auf (vgl. Pfitzer, Orchidaceae, in „Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien" 11,6, Leipzig 1889, S. 183); diese Auswüchse sind „the two curious appendages" der vermeintlichen Cr. slateri Rupp. (a. a. O. S. 103). Ob es sich um eine Hemmungsbildung oder ein normales Vorkommen handelt, ist noch zu untersuchen. Völlig unterirdische Sprosse sind bereits von einer paläarktischen Orchidee bekannt ge- worden. Nach einer Beobachtung von Bernard (Etudes sur la tuberisation. Rev. gen. de bot. 14, 1902) schreibt darüber A. Arber: „The Bird’s nest Orchid, Neottia Nidus-avis Rieß., frequently forms axes, which instead of rising vertically into the air, show a growth-curvature which prevents their reaching the surface of the soil. These subterranean inflorescences are self-fertilized in the humus, and the seeds, which have no opportunity of escaping, germinate where they are formed" (Monocotyle-dons. Cambridge 1925, S. 197). Bei Dipodium punctatum dürfte noch manches aufzuklären sein. Ein Parasit ist die Pflanze nach den Feststellungen von Pescott ® French jr. (Viet. Nat. 32, 1915, 77) und Williamson (1, c, 37, 1920, 81) ja nicht. Ist sie aber vielleicht ein Saprophyt? Oder muß man sie, wie auch die paläarktische Centrosis abortiva {Li) Su>., als eine Pflanze betrachten, welche sich bei xerophy= tischen Anpassungsmerkmalen autotroph ernährt, bei der das Chlorophyll nur durch einen anderen Farbstoff verdeckt ist? Der ganze morphologische Aufbau der Pflanze bedarf einer genauen Schilderung. 6 In E. Baur und M. Hartmann, Handbuch der Vererbungswissenschaft, 1929, Band II. 7 A.R.Walther, Unser Wissen von der lebenden Substanz, Stuttgart, 1932.