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Hoenniger: Der schöne Hausgarten. Wohl für die meisten Menschen unseres mechanisierten Zeitalters trifft das Goethewort: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein", nur noch auf den kleinen Bezirk ihres Gartens zu. Hier liegt wohl auch der tiefere Grund der großen Wandlung, die mit unseren Gärten vor sich gegangen ist. Wie könnte uns heute noch der Garten alter Ordnung mit seinen streng abgezirkelten Beeten und seinem beschränkten Pflanzenmaterial genügen. — Nein, alle in uns schlummernden Kräfte, schöpferische, künstlerische, suchen hier ein Betätigungsfeld. Je mehr der Alltag alles Persönliche in uns erdrückt, desto stärker bricht es auf anderen Gebieten hervor, und so sehen wir immer mehr Gärten erstehen, die einmalig und charakteristisch das Wesen ihres Besitzers widerspiegeln. Da wird es Gartenfreunde geben, die den Hauptakzent auf eine vornehm-ruhige Wirkung legen, andere wiederum, die vom Gesichtspunkt möglichst geringer Arbeitsleistung ausgehen,■ denn der Garten soll ihnen Ruhe und Erholung bieten, und solche, die nur in der Arbeit ihre Freude finden, für die es heißen könnte: „Genug ist nicht genug!" — Zu den letztgenannten dürfte wohl auch der Gestalter dieses hier allerdings nur in Bruchstücken wiedergegebenen Gartens gehören. Wie in einem Rausch drängt sich hier seine ganze Naturschwärmerei auf kleinem Raum zusammen. Alles wächst, wuchert nebeneinander, übereinander, jedes Fleckchen ist ausgefüllt, immer mehr schleppt er zusammen, alles will er hier vereinigt um sich wissen. — Da ist der Weiher der Jugendzeit, in dem sich Fische tummeln, Enten gründeln, Weiden ihre zarten Ruten schleppend herniederhängen. An die Ufer pflanzt er Schilf- kolben, die damals seine Knabenbegehrlichkeit erweckten. Den süßen Duft des Geißblattes, das die heimatlichen Steinbrüche überwuchert, will er ganz nahe haben. Seine Blütenwolke drängt fast zur Tür hinein, und an den milden Juniabenden wird er mit seinem betäubenden Wohlgeruch das ganze Haus durchfluten. Alle Stauden und Pflanzen der heimischen Wälder und Wiesen sollen hier Gast- recht haben, die Farne, Leberblümchen Schlüsselblumen, Veilchen, Narzissen, Trollius, Diptam und wie sie alle heißen. In den Wiesen wuchern Gänseblümchen, Margueriten, Herbstzeitlose. Die Königs^ kerzen der Bahndämme, einst Gegenstand kindlicher Bewunderung, wie sollten sie fehlen? Aber auch Aprilheft 87