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^ 186, 12. August. Nichtamtlicher Theil. 2929 ment begnüget; man möchte nicht nur die Schweitzerismos, sondern auch Saft, Kraft, Geist und Leben herausheben." Unterdessen waren Lavater's Vorbereitungen zu dem großen physiognomischen Werk, das durchaus nicht „von Lavater improvisirt war", sondern neben den neuen und großen Forschungen aus dem Gebiet der Naturkunde auftrat (Gervinus), so weit gediehen, daß es geboten schien, Herrn Reich, dem zusammen mit Steiner in Winter thur und Deinct in Frankfurt a/M. der Verlag zugedacht war, et was Näheres über den Plan zu sagen. Unterm 18. Juli 1773 setzte sich Lavater zum Schreiben. „Ich sammle," meldete er nach Leipzig, „mit großen sichtbaren und unsichtbaren Kosten Zeichnungen mensch licher Gliedmaßen — vornehmlich aber merkwürdige Portraits nach den berühmtesten Kupfern und nach der Natur — und bin gesonnen, hauptsächlich auch wegen der unbegreiflich dummen Urtheile über die Physiognomik — einen oder zwcen Quart anschaubare physiogno- mische Wahrheit dem denkenden Publicum — oder vielmehr der bil ligeren Nachkommenschaft vorzulegen. — Erschrecken Sie nicht und lassen Sie sich das Geschrei einiger Journalisten nicht irre machen. Die Sache wird reden — und schweigen machen!" 100 Tafeln, etwa 50 Bogen Text, Alles nicht prächtig, aber sehr geschmackvoll und in der Form einer Wochen- oder Monatschrift, auf die man Pränumeration nehmen könnte: so etwa hat sich Lavater die Sache gedacht. Zu genauerer Kenntnisnahme des Plans fügt er einen Kostenüberschlag bei, nach dem, wenn nur 1000 Eremplare abgesetzt werden — „und so viel sollten Sie Wohl von einem so neuen, in teressanten und in seiner Art ganz einzigen und ersten Werke in Deutschland, Holland und Frankreich (denn auch eine .französische Ausgabe nimmt Lavater in Aussicht) für baar Geld debitiren kön nen" —, jedem der Herren Verleger ein baarer Vortheil von 4000 fl. bleibt. Lavater selbst glaubt, nach Abzug seiner sehr be deutenden Auslagen, 1500 fl. für sich erwarten zu dürfen. Alle diese Mittheilungen sollen indessen vorerst „nur Entwurf, Schattenriß, unmaßgeblicher Vorschlag" sein. Nur noch so viel: „Vcrmuthlich wird Herr Zimmermann der Herausgeber sein." Am 11. August schreibt der Diakonus lvieder. Zunächst hat er Dank zu sagen für die „zufälligen Gedanken" Reiches, die er mit ausnehmendem Vergnügen und ganzer Zustimmung seines Herzens gelesen hat. Sie haben ihn in seinem Beschluß bestärkt, niemals sein eigner Verleger und niemals mehr Buchhändler fürAndrc zu werden. „In zwecn Fällen allein würde ich den Verlag selbst übernehmen, wenn der Buchhändler billige Konditionen verwerfen — oder — wenn ich bloß für den Nutzen der Armen arbeiten würde. Nun zu unserem Unternehmen." Deinct will Lavater fallen lassen, aber Steiner wünschte er an diesem Werke betheiligt. Hoffentlich willigt Herr Reich darein, und damit dieser selbst dem Unternehmen geneigter wird, als er es bis jetzt ist, so willLavater dieLast tragen helfen. „Ich will die meistenKupfcr- platten besorgen, Herr Steiner besorgt die Abdrücke, und Sie den Tert und die Herausgabe." Lavater ist auf jeden Fall entschlossen, „für einMal nur mit 24 Platten höchstens" einenVcrsuch zu wagen. „Dies wird Sie und mich dann in Absicht auf dieFortsetzung schon lehren können." Liefert nun, wie beabsichtigt, Lavater außerdem deutschen und französischen Text noch die Zeichnungen und Platten — meist radirt —, so hält er ein Honorar von 600 Ducaten und 25 Erem plare für seine Mühe und Auslage entsprechend. Hatte Lavater in Bezug auf Deinct nachgegeben, so fügte sich jetzt Reich und ließ sich Steiner in Winterthur als Gesellschafter für dies Unternehmen gefallen. Am 1. September entwarf der Hel fer am Züricher Waisenhause einen noch vorhandenen Vertrag, in dem er, den letzten Vorschlägen entsprechend, den beiden Verlegern Manuscript zu wenigstens 18 Bogen deutschen und französischen Text und 24 Kupferplatten ä 1000 Abdrücke bis längstens Juni 1774 versprach. Er sollte dafür 20 Eremplare des deutschen, fünf des französischen Druckes, 200 Ducaten im September 1773, die gleiche Sumnic zu Neujahr 1774 und bei Vollendung des Werkes erhalten, Alles in Allen, 600 Ducaten. Die Verleger hatten genau ihre Auslagen auszuschreiben und bei der Abrechnung einen Netto preis von 55 tzb für das abgcsetzte Eremplar zu Grunde zu legen. Ob es zweckmäßig sei, eine englische Ausgabe zu veranstalten, blieb dem Ermessen der Verleger überlassen. Aus diesem Vertrag erwuchs Reich zunächst eigentlich wenig Arbeit, da ja Lavater und Steiner die Kupfer zu besorgen hatten. Aber mittelbar gab ihm das Werk doch jetzt schon Manches zu thun. Lavater hatte oft Stoff zu Briefen und Wünschen. Da wurde nach einem tauglichen Kupferstecher gefragt, der einen Christuskops „mit fester und geistiger Nadel oder Grabstichel" liefern sollte — einen Kopf hatten schon Chodowiecky und Schmidt in Berlin zu liefern übernommen, dann waren wieder einmal „äußerst genaue Schatten risse" in möglichst großer Anzahl erwünscht; auch „Frauenzimmer köpfe, aber nur ausgezeichnet gute und verständigeCharakter". Da zwischen liefen wieder Klagen, daß viele Künstler wenig ver sprachen, aber noch weniger ihr Versprechen hielten, so Heinrich Füßli in Rom, während sein Vater einen lobenswerthen Fleiß ent wickelte. Ab und zu fehlte es denn auch nicht an Klagen über große Auslagen und aufLavater's Soll erschienen dann verschiedene Posten auf Grund per Wechsel nach Zürich abgegangener Gelder. Au Anfang Januar 1774 lagen dann die ersten, in Augsburg gefertigten Abzüge von Schattenrissen vor, aber sie waren so kost bar, daß Lavater seinen Verlegern glaubte den Preis melden zu sol len. Der Drucker rechnete für dieTafel Schattenrisse — die Auflage war aus Reich's Wunsch auf 1500 Eremplare erhöht — einschließ lich Papier 75 fl. „Ich frage also, ob ich noch mehrere dürfe machen lassen. Ich habe keinen Vortheil davon, denn um den Preis kann ich eine andre Kupfertafel machen lassen." Dann gerieth der leicht bewegliche Lavater auf den Einfall, aus dem Ausschuß seiner Tafeln ein kleines Werk zu construiren, das er nur zu Geschenken für Freunde benutzen will. Und wie Reich sich diesem Plan abhold zeigt, bemüht sich der Züricher, ihm nachzu weisen, daß es sich um nichts handle, was dem großen Werk schaden könnte. „Nachgedruckt kann es nicht werden, denn jeder, dem ich ein Eremplar gebe, muß einen Schein unterschreiben, daß ers keinem Buchdrucker oder Kupferstecher oder Buchhändler leihen oder für den dadurch möglichen Nachdruck mir gut stehen wolle." Mit dem beginnenden Frühjahr hatten sich die Verlegenheiten in Zürich bedeutend gesteigert. Es war nun nicht mehr zweifelhaft, daß der geschlossene Vertrag in mancher Hinsicht nicht eingehalten werden konnte. Der Stoff war so massenhaft gewachsen, daß er die alte Form sprengte und in die eines ersten Bandes von 36—40 Bogen aufquoll, der zu Ostern 1775 erscheinen sollte. Dabei machte die französische Uebersetzung viel Kopfzerbrechen. Lavater's gehackter Stil war, wie es schien, nicht übersetzbar. Einige Male glaubte der Diakonus seinen Mann gefunden zu haben, aber allemal mußte er dann wieder bekennen, daß er sich getäuscht. Das war recht ver drießlich. Wie der Sommer kam, ging Lavater aus Reisen. Zum Theil zeichnete ihm sein Befinden den cinzuschlagenden Weg vor. El fühlte sich leidend und suchte in Ems Heilung. Es ist bekannt, daß er auf dem Wege dahin in Frankfurt Goethe persönlich kennen lernte. Brieflich kannten sich die Beiden einige wenn auch noch nicht lange Zeit. Goethe's „Brief des Pastors" knüpfte die Verbindung, Lavater's physiogno,nische Arbeiten schlossen sie fest. Goethe erzählt in „Dichtung und Wahrheit" von dem bedeuten den Eindruck, den der „merkwürdige" Mann auch auf ihn gemacht, von der Wichtigkeit und dem Werth, den der Umgang mit diesem