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7686 Börsenblatt f. b. Dtschn. Vachhandel. MchtanUlicher Teil. ^ 146. 28. Juni 1909. führten mich, auch nachdem ich in München wieder ansässig geworden, fast jedes Jahr auf längere Zeit nach Berlin. Für die Publikation der Sammlungen Friedrich des Großen, von P. Seidel herausgegeben, hatte ich die künstlerische Aus gestaltung des Werkes, das im Aufträge des Kaisers erschien, allein übernommen. Es handelte sich hier zunächst um die Wiedergabe der Bilder französischer Meister des 18. Jahrhunderts, wie Watteau, Lancret, Pater, Chardin rc., dann um Skulpturen der Renaissance und Bildhauereien des 18. Jahrhunderts, die in zahlreichen Radierungen, besonders aber auch in größeren und kleineren Zeichnungen zur Darstellung kamen. Ein Teil des Werkes erschien als Katalog im Jahre 1900 anläßlich der Pariser Weltausstellung. Ein umfassenderes Werk über die Kunstsamm lung Friedrich des Großen, in dem auch die Architektur berück sichtigt werden soll und für das eine Reihe weiterer Radierungen schon vorliegt, soll später erscheinen. Neben dieser mehr reproduktiven Tätigkeit habe ich in früheren Jahren sehr viel für Buchausstattung gezeichnet und namentlich die Druckwerke aus der Offizin von Wallau in Mainz mit diesen Erzeugnissen ausgestattet; sie stammen zumeist aus den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Meiner damaligen Vorliebe für die Kunst des Rokoko verdankt auch ein Werk seinen Ursprung, das ich bei Keller in Frankfurt unter dem Titel .Ornamente und Motive des Rokokostils' herausgab. Wenn ich in früheren Jahren mich hauptsächlich mit der Wiedergabe von Werkender Malerei und Skulptur beschäftigte und die Originalradierung nur vorübergehend pflegte, so wurde später das Verhältnis ein umgekehrtes. Mit dem erwachenden Interesse für Originalgraphik trat ich auch diesem Gebiete näher, und Figür liches, Architektur und Landschaft boten mir Anlaß zu einer großen Folge von Arbeiten auf diesem Gebiete. Die Umgebungen von Mainz und München, namentlich aber die Ufer des Bodensees und dessen nähere und weitere Umgebung, die ich fast jedes Jahr auf einige Zeit besuchte, gaben Anregung und Stoff zu vielen Platten, die ich fast ausnahmslos gleich vor der Natur auf die Platte radierte. Ich habe im Laufe der Jahre gefunden, daß eine der artig direkte Wiedergabe ohne Vermittlung einer Zeichnung oder gemalten Studie stets glücklicher und geistiger ausfällt, als die Kopie einer Zeichnung. — In der letzten Zeit habe ich wieder einige kleinere Reproduktionen nach van Eyck gefertigt, die bei Seemann in Leipzig erschienen sind, im übrigen aber, wie schon oben bemerkt, fast ausschließlich die Originalradierung gepflegt. Mitte der neunziger Jahre wurde ich als Nachfolger meines Lehrers Raab an die Akademie berufen als Leiter der Radier klasse, und im Jahre 1900 trat ich an die Stelle des Professors Gysis. Ein große Reihe von Schülern sind aus meiner Radier schule hervorgegangen, von denen einige bereits wieder als Lehrer für Radierung an Akademien und sonstigen Lehran stalten tätig sind. Ich brauche kaum mehr darauf hinzuweisen daß auf meine Anregung auch C. Stauffer - Bern seinerzeit zu Radiernadel und Stichel griff und die bedeutsamsten Schöpfungen auf diesem Gebiete erstehen ließ. Zum großen Teil durch meine Initiative entstand in München der Verein für Original-Radierung (1892), der mir Gelegenheit bot, die Pflege der Original-Radierung in München zu heben und das Interesse dafür in weitere Kreise zu tragen.«- — Ein Blick auf das Verzeichnis von Halms reproduzierenden Arbeiten belehrt über seine seltene Fähigkeit der stilistischen An empfindung. Seine eminente Technik, unterstützt durch eine um fassende kunstgeschichtliche Bildung,läßt ihn für jede Aufgabe, gleichviel ob es sich um die Übersetzung eines linienstrengen Italieners, eines farbenfrohen Niederländers oder eines modernen Meisters handelt, besonders scharf charakterisierende Ausdrucksmittel finden. Seine Arbeiten geben nicht nur die Zeichnung und Tonwerte der fremden Vorlage mit absoluter Treue wieder, sie zeigen auch den intimen Reiz der künstlerischen Individualität, den feinen Stilcharakter der Schule und der Entstehungszeit des Originals. Die Entwicklung der Technik läßt sich an der Hand der für die Wiener Gesellschaft in der Zeit von 1880 bis etwa 1892 geschaffenen Platten leicht verfolgen. Für die breit und fleckig gemalten, derben Kneip- szenen und Bauernbilder Ostades und Adrian Brouwers genügt ihm die Radiernadel und das Atzwasser, um in flotten willkürlichen Strichen und breiten Tonmassen die volle malerische Wirkung in Schwarz-Weiß zu übertragen. In den Blättern »Maleratelier« von Gonzales Coques, »Heilige Nacht« von Uhde und »Madonna« von Martin Schongauer, wo feinere Einzelheiten und kompliziertere Beleuchtungseffekte vorherrschen, werden die radistischen Aus drucksmittel in diskreter Weise unterstützt durch eine leichte zierliche Stichelarbeit. Die kleinen Platten nach Bodes »Alpen braut« und Steinles »Loreley« erinnern in ihrer nahezu farb losen Wirkung sehr an Kartonstiche, geben aber ein getreue Abbild der Originale Wie energisch weiß Halm dagegen einem Menzel zu Leibe zu gehen in der prächtigen Nadelarbeit nach des Meisters Studie »Wer ist da oben« mit den spielenden Lichtreflexen auf dem Gesicht und der Hand der aufwärtsblickenden männlichen Halbsigur. Und mit welchen einfachen Mitteln, die aber doch nischen Raffinements garnicht denkbar wären, übersetzt er die Liebermannsche »Ziegenhirtin«, die mit ihren beiden Tieren über die sonnendurchglühte Düne dahinzieht! So findet des vielseitigen Künstlers Begabung für jede Aufgabe eine andere Form, seine Feinfühligkeit für die verschiedensten Künstlercharaktere weiß immer das rechte und zutreffende Mittel zur restlosen Wieder gabe der Werke alter und neuer Kunst zu wählen. Was sein Künstlerauge in einer Vorlage schaut, das gibt die geübte Meister hand mit der vollen Kraft und dem feinen Empfinden einer ganzen abgerundeten Persönlichkeit gewissenhaft wieder. Alle Vorzüge seiner reifsten Kunst finden sich in den beiden kleinen kostbaren Blättern nach Jan van Eyck »Jodocus Vydt» und »Der Stifter aus der Madonna des Kanonikus van der Paele«, die in den letzten Jahren entstanden und in der Seemannschen Zeitschrift für bildende Kunst erschienen sind. Mit Entzücken ge nießt das Auge des Kenners alle Subtilitäten Eyckscher Kunst und bewundert wieder und wieder die Treue, den künstlerischen Ernst und die im besten Sinne virtuose Technik dieser Stich radierungen. In der Art Gaillards gearbeitet, ist insbesondere die Behandlung der Haut, die Zeichnung und Durchbildung der Köpfe und Hände von einer bewundernswerten Kleinarbeit und Vollendung, die nicht zu übertreffen ist. Besser kann Eycksche Malerei nicht mehr übersetzt werden. Angesichts solcher Meisterwerke der reproduzierenden Kunst fällt es schwer, sich dem Urteile derer anzuschließen, die den Maler radierer Halm über den nachbildenden Radierer Halm stellen wollen. Gewiß gehört unser Künstler zu den ersten deutschen Originalradierern, sein radiertes Werk ist qualitativ wie quantitativ so umfangreich und wichtig, daß sein Name stets mit zuerst genannt werden muß, wo immer die Radierung als selbständige, originale Kunst behandelt und besprochen wird. Aber er hat eben auf beiden Gebieten, als original schaffender, sowie als reprodu zierender Künstler eine Anzahl Meisterwerke von gleich hoher Voll endung hervorgebracht. In seinen meist direkt nach der Natur radierten Blättern dominiert die Nadelarbeit. Seine gesunde und fleißige Zeichnung mit der Nadel hebt das Wesentliche der Er scheinung geschickt hervor und bringt die Platten auf eine hohe Stufe der Vollendung. Halm macht sich nicht in solchem Maße von der Mithilfe des Ätzwassers und von den Finessen des Druckers abhängig, wie es die meisten unserer Malerradierer leider tun müssen, weil ihnen die solide stecherische Technik oft abgeht. In den landschaftlichen Motiven betont er die intime Charakteristik der Natur und die Feinheit der Lichtwirkung; in den großen und kleinen Architektur aufnahmen weiß er mit dem durch seinen Lehrgang geübten, fachmännischen Blick das malerische Moment zu finden und das darzustellende Gebäude stets in harmonischen Einklang mit der Umgebung zu bringen. Das zeigt sich besonders in seinen wenig bekannten großen Hamburger Ansichten, die im Aufträge des dortigen Kunstvereins entstanden sind, in den stimmungsvollen Bildern aus Füssen, sowie in dem kleinen überaus reizvollen Vernismoublatt »Motiv aus Amsterdam«, das ebenso wie die ent zückende Nadelarbeit »Romanisches Portal in Mainz« zu den letzten diesjährigen Schöpfungen gehört. Figürliche Darstellungen nehmen keinen großen Raum in Halms originalem Schaffen ein. Zu Anfang seiner Tätigkeit, als noch die Reproduktion ihn vorwiegend beschäftigte, radierte er so nebenher eine Anzahl Bildnisse; später, als er seit Beginn der neunziger Jahre die Originalradierung bevorzugte, ist nur noch wenig Figürliches entstanden. Seine Stärke liegt in der Land-