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die russische Regierung beabsichtige, eine Bahn von Lodz zur Grenze zu bauen, beeilten sich deutsche Industrielle, den Anschluß an diese Zukunftsbahn, aus preußischem Gebiet herzustellen. Nun ist aber seitens der russischen Regierung noch nichts gethan worden, was auf die In angriffnahme der Lodzer Bahn schließen ließe und die bereits längst errichtete Zweigbahn liegt in Folge dessen brach. Um nun diese letztere zu heben, haben die deut schen Unternehmer sich entschlossen, die betreffende Linie aus russischem Gebiet auf ihre eigenen Kosten zu er richten. Ein Bescheid der russischen Regierung auf diesen Vorschlag ist noch nicht emgetroffen, es ist aber bei dem russischen Verfahren in solchen Dingen zu erwarten, daß dasselbe ablehnend ausfallen wird. — Das große Loos der Sächsischen 94. Landes lotterie wird diesmal voraussichtlich auch die Gerichte beschäftigen. Ein hiesiger Kaufmann, der mit einem andern afsociirt ist, bereiste für das gemeinschaftliche Ge schäft während der Ziehung der noch nicht beendeten fünften Classe das Königreich Sachsen. Bei dieser Ge legenheit wurde er von einem Kunden, der stets bei ihm kauft, angegangen, doch auch einmal ihm etwas abzu kaufen, nämlich V, Loos zur laufenden Lotterie. Der Kaufmann ließ sich breit schlagen und nahm ein Achtel der Nummer 40242. Einige Tage darauf wurde diese Nummer mit dem ersten Hauptgewinn von 500,000 gezogen. Nun soll, wie wir hören, der Socius des Ge winners die Hälste des Gewinnes beanspruchen, wei das Loos auf der Geschäftsreise gekauft, wahrscheinlich auch aus der Geschäftskaffe bezahlt worden sei. Der Gewinner ist aber der Ansicht, er habe das Loos sür sich allein gekauft und es dürfte in dem eventuellen Pro zeß wohl lediglich auf das Zeugniß des Verkäufers da rüber ankommen, unter welchen Umständen der Gewinner bei ihm das Loos gekauft hat. — Zehn Schriftsetzer, welche bis vor Kurzem in der Allgemeinen deutschen Assoziations-Buchdruckerei(dem Ver lage der verbotenen „Berliner Freien Presse") beschäf tigt, durch die Folgen des Socialistengesetzes aber kon ditionslos geworden waren, haben in der jüngsten Haupt- Ziehung der Sächsischen Landeslotterie ein Viertel des Gewinnes von 30,000 Mark erzielt, also ein Jeder ca. 600 Mark gewonnen. — Zehn und Fünfzigpfennigstücke. An den neuen Münzen des deutschen Reichs bleibt noch immer viel aus zusetzen. Wie unbeliebt im Verkehr die Zwanzigpfennig stücke find, darüber hat kürzlich die Reichsbank einigen Ausschluß gegeben. Der bei der Umprägung der Fünf zigpfennigstücke beabsichtigte Zweck, einer Verwechselung derselben mit Zehnpfennigstücken vorzubeugen, ist wie allgemein bekannt, gänzlich verfehlt. Das veränderte Gepräge schützt nicht gegen Verwechselung, die lediglich Wegen der fast gleichen Größe beider Münzen geschieht. In Berliner Blättern taucht nun der Vorschlag auf, die Zehnpfennigstücke gänzlich zu cassiren und statt derselben die doppelte Anzahl Fünfpfcnnigstücke in Circulation zu setzen. Auf diese Weise werde das Publikum gründlich vor dem Schaden geschützt, der aus der Verwechselung Von Zehn- und Fünfzigpfennigstücken entstehe. Die Zebn- pfennigstücke seien leicht zu entbehren und die Fünf pfennigstücke für den Verkehr vollkommen ausreichend. Eine Verwechselung der Fünfpfennigftüäe mit Zwanzig pfennigstücken ist nicht zu befürchten. — Falsche goldene Fünfmarkstücke mit badischem Gepräge und der Jahreszahl 1877 sind neuerdings'in Umlaus gesetzt worden. Wie es scheint, haben die Fälscher ganz dünne Goldplättchen geprägt und dann mit Blei ausgesüllt, weshalb diese gesälschten Münzen so weich sind, daß Nägeleindrücke ganz leicht bemerklich erscheinen. Auch falsche Zweimarkstücke Hamburger Gepräges werden seit Kurzem in Circulation gebracht, woraus wir, zur Vorsicht mabnend, ebenfalls aufmerksam machen. — Das „Jllustrirte Sonntagsblatt" veröffentlicht das „Geheimmittel gegen Fallsucht", welches die Groß herzogin von Mecklenburg-Schwerin nach einem im groß herzoglichen Archiv aufbewahrten Recepte bereiten und an bittstellende Patienten unentgeldlich abgeben ließ. Das Geheimmittel ist jetzt von dem Prof. Himly in Kiel untersucht worden und besteht aus 91,rz Theilen PLonien- wurzel und 8,77 Theilen kohlensaurem Kali. Die Misch ung wird in 24 Pülverchen nebst einem Glas Mai blumenwasser genommen. Wien. Der ernste Widerstand den Graf Schuwaloff in Oesterreich und anderwärts gesunden wegen der Detail fragen, welche den Hauptinhalt seiner Mission bildeten, scheint Rußland zum Zurückweichen bestimmt zu haben. Das erste Resultat auf diesem Wege ist bereits, wie uns ein Privattelegramm aus Pest meldet, in der Dobrudscha- Frage erreicht. Rußland hat den Grasen Andrassy wissen lassen, daß es das Recht des Durchbruchs in der Dob- rudscha nur sür diejenige Zeit beanspruche, für welche ihm dies Recht in dem Berliner Vertrage für Rumänien über haupt gewährt ist. — Baron Philippovic wurde durch einstimmigen Beschluß der Stadtvertretung von Serajcwo zum Ehren bürger dieser Stadt ernannt. — Zwischen dem Großvezier und dem österreichischen Botschafter, Grasen Zichh, finden seit einigen Tagen lebhaste Verhandlungen statt. Von türkischer Seite wird behauptet, der Gegenstand derselben sei der sehr wahr scheinlich gewordene Abschluß eines österreichisch-türkischen Vertrages wegen einer etwaigen gemeinsamen Besetzung des Tistrictes von Novibazar. Dieser Vertrag würde ein besonderer Abkommen zur Grundlage erhalten, welches Oesterreich-Ungarn verbindlich machen solle, für gewisse, näher zu bestimmende Fälle der Türkei zur Seite zu stehen. Außerdem sollen neuerdings Unterhandlungen in Betreff der Besetzung Bosniens stattsinden, welche aber da die Pforte ihren bekannten früheren Standpunkt fast, gar nicht geändert hat, geringeAussicht auf Erfolg haben. Nichtsdestoweniger soll im Allgemeinen ein Unischwung der Pforte zu Gunsten Oesterreichs vorhanden sein. — Der Sultan soll ein Schreiben an den Kaiser Alexander gerichtet haben, in welchem er diesem seinen Dank ausspricht sür dessen^ Erklärung hinsichtlich der Ausführung des Berliner Vertrages und den Kaiser zu gleich ersucht, zur Unterdrückung des Ausstandes in Mace- donien beizutragen. DiesesSchreiben wird dem türkischen Botschafter in Petersburg, Chakir Pascha, welcher sich nach Livadia begeben soll, in Odessa zugestellt werden. Paris, 22. November. Die sranzösische Regierung hat verschiedenen deutschen Künstlern und Beamten an läßlich der Weltausstellung den Orden der Ehrenlegion verliehen. London. Zur englisch-afghanischen Angelegenheit liegen folgende Nachrichten vor: Ein Telegramm aus Lahore von vorgestern veröffentlicht den Bericht des Ober- kommandirenden der britischen Truppen, Browne, über die Einnahme von Alimusjid. Darnach wurden zehn Kanonen genommen und viele Gefangene gemacht, auch eine Anzahl Lastthiere erbeutet; zwei englische Offiziere wurden getödtet, einer verwundet; außerdem sind 30—40 Mann theils todt, theils verwundet. Die Abtheilung Browns rückt heute in der Richtung nach, Khane vor. Nach einem, dieselbe Angelegenheit betreffenden Telegramm der „Dayli News" aus Jamrood, 22. d. hat, die Gar nison von Alimusjid Proviantvorräthe und Waffen, da runter 21 Kanonen, zurückgelassen; ca 50 Verwundete wurden vorgesunden. Die Engländer machten sehr zahl reiche Gefangene, unter denselben befindet sich auch der Kommandant der Garnison von Alimusjid. — Der „Mor- ning Advertiser meldet, die Verluste im Khyberpasse wür den auf 300 Todte und Verwundete geschätzt. Auch einen kleinen Schritt vorwärts haben die Engländer bereits wieder gemacht: Die Civil und Military Ga zette" meldet, englische Kavallerie- und Infanterie-Ab- theilungen haben ohne Kampf Sibi, eine Ortschaft öst lich von Dadur, auf afghanischem Gebiete besetzt. „8a- boat Libi!" soll der Emir ausgerufen haben, indem er an die hinter ihm stehenden kaiserlich russischen Heere dachte. Inzwischen legt jedoch auch in England selbst die Opposition die Hände noch keineswegs mützig in den Schooß. Gladstone hat an das oppositionelle Komite in der afghanischen Frage ein Schreiben gerichtet, in welchem er die Regierung beschuldigt, die Parlamcntsacte vom Jahre 1858, deren Zweck es sei, zu verhindern, daß die Regierung vermöge der Benutzung indischer Gelder und Truppen der Kontrole des Parlamentes entgehe, verletzt zu haben. Ausgerichtet wird freilich mit solchen Plän keleien blutwenig werden. Lahore, 22. November. Die heute erlassene Pro- clamation des Vizekönigs recapitulirt die Geschichte der Beziehungen Indiens zu Afghanistan in den letzten 10 Jahren und hebt hervor, daß die britische Regierung den Emir von Zeit zu Zeit unterstützt habe und die Af ghanen Handelsfreiheit mit Indien genossen hätten. Diese Wohlthaten seien durch Uebelwollen und ein rück sichtsloses Betragen Seitens des Emirs vergolten worden. Letzterer habe durch Wort und That versucht, den Religionshaß zu schüren und einen Krieg gegen das englische Reich in Indien herbeizuführen. Den Anstreng ungen Englands, zur Erzielung eines freundschaftlichen Verkehrs Trotz bietend, habe er eine russische Gesandt schaft empfangen, dagegen gewaltsam den englischen Gesandten zurückgewiesen, dessen Ankunft rechtzeitig an gemeldet worden sei. Die lange Nachsicht der englischen Regierung habe der Emir als Schwäche angesehen und sich nun den gerechten Zorn Englands zugezogen. Die englische Negierung wolle die Unabhängigkeit Asghani- stans respectiren, sie könne aber nicht dulden, daß sich eine andere Macht in die inneren Angelegenheiten Afgha nistans mische. Der Emir allein trage die Verantwort lichkeit dafür, die Feindschaft der Freundschaft der Kaiserin von Indien vorgezogen zu haben. Ter Wittwer. Von Otto Girndt. (Fortsetzung und Schluß.) „Wohin?" „Zu Ihrem Vater?" Rudolph erschrack in allen Gliedern: „Um Gottes willen, was ist geschehen?" „Nichts Schlimmes!" beschwichtigte sie. „Er läßt Sie bitten, augenblicklich zu Lippold zu kommen." Die Miene des Hörers verfinsterte sich: „Zu Lippold ?" Das Mädchen achtete scheinbar nicht daraus: „Er erwartet Sie mit Bestimmtheit. Ich war zufällig bei meiner Freundin Marie und hörte, daß Ihr Vater nach Ihnen schicken wollte. Ich gehe vorbei, Herr Fischbach agte ich, ich werd' es Herrn Rudolph bestellen." „Ich danke Ihnen sehr Fräulein Pauline, aber was kann mein Vater so Dringendes wollen?" „Ich weih nur, daß es eben fürchterlich dringend lst, also leben Sie wohl!" Sie verschwand, ehe er noch eine Frage stellen konnte. Da drehte er sich kurz um, ließ sich den Hut reichen, gab dem Geschäftspersonal einige Aufträge sür den Fall, daß er in einer Stum. nicht wieder zurück sei, und warf sich draußen in die erste Droschke, deren er habhaft wurde, um schneller zum Ziele zu kommen. Während er aus dem halbversteinerten Polster hin und her gerüttelt saß, murmelte er kopfschüttelnd: „Komisch! Er citirt mich zu Lippold, und habe ihn doch merken lassen, daß mir der Diann zuwider ist?" Die Ursache blieb ihm räthselhaft, so angestrengt er auch grü belte. Da hielt die Carosse. Die weiße Perrücke hatte sich mit der mechanten Feder möglichst kurz gefaßt und soeben den letzten Schnör kel der Chiffre auf die Adresse gemalt, als es au der Thür läutete. In dem Glauben, es sei Marie, die Ein laß begehre, hieß er seinen Freund Lippold mit dem Oeffnen warten, bis er sein Geschreibsel in die Tasche praktizirt. Lippold widersprach zwar gleich, es müsse Jemand anders sein, denn seine Tochter pflege über den Hof in die Küche zu gehen, indeß Fischbach meinte Vor sicht könne nicht schaden. Nun erfolgte ein zweites Läuten, und fo gewaltig, daß der Schreiber felbst vom Stuhle in die Höhe fuhr. Lippold entriegelte den Eingang, Ru dolph stand vor ihm: „Wo ist mein Vater?" „Der Tausend, Du, mein Junge?" fragte Fischbach dagegen. „Gott sei Dank!" rief der Sohn und setzte gleich gültig hinzu: „Guten Tag Herr Lippold, ich zitterte schon, meinem Vater sei ein Unglück zugestoßen!" „Mir? wunderte sich der Bezeichnete. „Woher weißt Du denn überhaupt, daß ich hier bin?" Jetzt war es an Rudolph sich zu wundern: „Du hast mich ja Hals über Kopf herverlangt, Vater?" „Ich?" „Alle Hagel", ereiferte der junge Mann, „was fällt der Närrin ein? Pauline Braunschweig kommt in's Geschäft —" „Pauline?" rief der Vater dazwischen. „Ein Blitz mädel das!" „Du lachst, Vater? Ja, sei so gut und erkläre mir." „Beruhige Dich, mein Junge! Aiir geht auch erst allmählich ein Licht au f, was Fräülein Pauline mit der Schelmerei bezweckt ha den kann. Sie behauptete, Du wärst aus diesen Räumen ohne Grund weggeblieben." „Ohne Grund? O nein!" versetzte Rudolph rasch, indem er einen zornblitze: »den Blick seitwärts nach Lippold warf. „So laß einmal den Grund hören!" forderte der Vater. Statt dessen fragte Rudolph etwas leiser: Wo ist Fräulein Marie?" „Sie war," unterrichtete ihn der Vorige, „schon nicht mehr anwesend, als Panlinchen kam." „Dann hat die Hex;e doppelt gelogen!" grollte der vorrnalige Dragoner. „Du sollst Alles er fahren, Rudolph," wurde ihm in Aussicht gestellt, „wenn» Du unter uns Männern rund herausantwortest, ob D-u jemals daran gedacht, Marien zu meiner Tochter zu machen." „Ja lieber Vater!" erklärte der Sohn. „Ich habe daran gedacht und senke noch daran, aber — es geht nicht; denn man hei rathet nicht ein Mädchen allein, man heirathet die Angehörigen gewissermaßen mit. Ich muß mich ungeschminkt cmssprechen: ein Schwiegervater wie Herr Lippold paßt nicht für mich!" Dir Jnvective war zu stark für den Betroffenen. „Junger Dienschl" brauste Lippold auf, als wollte er ihm zu Leibe. Doch der jun,ze Mensch zeigte sich dem Gegner an Muth gewachsen m id in Worten überlegen ; denn er fuhr energisch sort: „<lvi e haben mich aus Ihrem Hause ver scheucht, Sie all> rin! Meine Gegenwart hielt sie eines Tages nicht ab, Ihre Tochter einer Bagatelle wegen in der heftigsten Wei je anzufahren. Das arme Kind schwieg, in mir aber, Her c Lippold, kochte es. Ich sagte mir, daß ich am ersten T, ige meiner Ehe Ihnen meine Thür ver bieten müßte. 5 Zn welche Lage käme dadurch Diarie?" Er hielt in ne. LHipold hatte die Augen niederge schlagen und w zr blaß geworden. Fischbach Vater deu tete auf ihn uni , sprach zu seinem Sohne: „Das hat ihm nur noch gefehl 4, er macht heute alle Stationen eines russischen Bade s durch." Dann klopfte er auf Lippold's Schulter: „Si./ chst Du, so windelweich mußtest Du werden!" Der hart Mitgenommene erwiderte Nichts, sah auch nicht w af, sondern schlich gekmckt in's Nebenzimmer. Seine Entferne ing benutzte Fischbach und setzte den ge spannt zuhörer den Rudolph von allen Vorsäüen seit dem verwichenen A .bend in Kenntniß. Das Auge des jungen Mannes wart - von Minute zu Minute Heller. Zuletzt um armte er den l Zerichterstatter: „Vater, ich heirathe Marien!" Dann lief er an die Seitenthür und rief hinein: „Herr Lippold!" Dieser kam wie ein folgsames Kind, das Taschen tuch am Gt sicht. „Hat Dir die Nase geblutet?" sragte Fischbach n ät leisem Spott. „Das Herz!" entgegnete der Andre, und seine Lider feuchteten sich noch einmal. „Aber Ihr seid kein Haar besser, als ich!" „Wa- z? Wir?" Fischbach warf den Kopf zurück. Auch Lippold richtete sich in die Höhe: „Heißt das Freundsch -ast, hinter meinem Rücken zu knurren und zu murren? Warum hat mir Keiner längst seine Meinung in's Gesi .cht gesagt?" Unf gesäumt erwiderte ihm Rudolph: „Ich wartete nur dar aus, Sie sollten meinen Vater einmal sragen, wa rum ich - so lange nicht hiergewesen. Aber täglich haben Sie Jf ^r Sechsundsechszig gespielt, ohne eine Sylbe von